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Acalabrutinib bei CLL: eine „one-fits-all“-Lösung?

Bei der Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie stehen mittlerweile zielgerichtete Ansätze im Fokus. Die Monotherapie mit Acalabrutinib bietet sich als eine leitliniengerechte Option über ein breites Spektrum von Therapiesituationen an.

Die Therapie der CLL befindet sich im Wandel. Während die Chemoimmuntherapie (CIT) bis vor wenigen Jahren als Goldstandard eine „one-fits-all“-Lösung mangels Alternativen darstellte, stehen heute zielgerichtete Therapien im Fokus. Sie haben sich in zahlreichen Studien als wirksamer und zugleich verträglicher als die CIT erwiesen.1,2 Chemotherapiefreie Regime dominieren inzwischen die empfohlenen Therapieschemata für die Erstlinie und bei Rezidiv bzw. Refraktärität. Dabei führt die aktuelle Onkopedia-Leitlinie zur CLL die Monotherapie mit Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren (BTKi) in allen Indikationssegmenten als eine empfohlene Option auf.3

Ob Erstlinie oder Folgetherapie: Acalabrutinib ist eine leitliniengerechte Option

Auch wenn die BTKi damit schon fast in die Nähe eines „one-fits-all“-Status bei der CLL rücken, kann die Auswahl der am besten geeigneten Therapie im Einzelfall eine Herausforderung sein. Von Bedeutung sind auch – und während der noch anhaltenden Pandemie ganz besonders – praktische Aspekte des Therapiemanagements und der Therapietoleranz.1

Der erfolgreiche Einsatz des ersten BTKi-Vertreters Ibrutinib wird im realen Versorgungsgeschehen durch Dosisreduktionen und hohe Abbruchraten gefährdet, die in erster Linie durch intolerable Nebenwirkungen bedingt sind.4 In einer großen Real-World-Analyse beendeten 41 % der Patienten die Anwendung von Ibrutinib vorzeitig, in mindestens 50 % der Fälle aufgrund toxischer Effekte.5 Zu häufig genannten Gründen für einen Therapieabbruch zählen u. a. Arthralgie, gastrointestinale Beschwerden, Vorhofflimmern, Infektionen und Hautausschlag.4,5

Die Ibrutinib-Toxizität ist vermutlich zumindest teilweise auf seine Off-Target-Aktivität zurückzuführen, da Ibrutinib neben der BTK auch andere Kinasen wie ITK, TEC und EGFR inhibiert.6 Diese Problematik war Ausgangspunkt für die Entwicklung von Acalabrutinib: Der erste BTKi der 2. Generation weist eine höhere Selektivität für die BTK auf mit dem Ziel eines optimierten Verträglichkeitsprofils dank verminderter Off-Target-Effekte.6

Acalabrutinib (Calquence®) wurde in den USA im November 2019 und in Europa ein Jahr später im November 2020 für die Behandlung von therapienaiven oder vorbehandelten CLL-Patienten zugelassen.7,8 Drei typische, fiktive Fallbeispiele verdeutlichen das weite Einsatzspektrum von Acalabrutinib im Behandlungsalltag und die Vorteile gegenüber dem BTKi der 1. Generation:

Die drei Fallbeispiele* für einen indizierten Einsatz von Acalabrutinib bilden die wichtigsten Therapiesituationen im Behandlungsalltag ab:

  1. Als Erstlinientherapie kann Acalabrutinib den Anspruch nach einer langfristig wirksamen und gut verträglichen Therapie erfüllen. Wie die Ergebnisse nach 4 Jahren Follow-up von 46,9 Monaten zeigen, bietet Acalabrutinib in Kombination mit Obinutuzumab oder als Monotherapie ein überzeugendes progressionsfreies Überleben (PFS) bei konsistentem Sicherheitsprofil.9,10
  2. Bei Therapieumstellung wegen Ibrutinib-Intoleranz zeigen Patienten ein hohes Ansprechen auf den BTKi der 2. Generation bei guter Verträglichkeit.11
  3. Bei Krankheitsprogression nach systemischer Vorbehandlung ist Acalabrutib wirksam – auch bei Patienten mit genetischen Hochrisiko-Merkmalen wie unmutiertem IGHV-Status.12

Die Evidenzbasis für die effektive und sichere Anwendung von Acalabrutinib in diesen Indikationsbereichen wurde mit einer Vielzahl von Studien mit unterschiedlichem klinischen Setting geschaffen.1 An erster Stelle sind hier die Zulassungsstudien ELEVATE-TN9 (therapienaive CLL) und ASCEND12 (rezidivierte/refraktäre CLL) zu nennen, deren fortlaufende Auswertungen die starke Wirksamkeit und gute Verträglichkeit des BTKi der 2. Generation belegen.

Acalabrutinib versus Chemoimmuntherapie: ELEVATE-TN und ASCEND

In den beiden multizentrischen Phase-III-Studien lag der Altersmedian bei 70 bzw. 68 Jahren. Zu den Einschlusskriterien zählten ein ECOG PS ≤ 2 und eine ausreichende hämatologische, hepatische und renale Funktion, bei ELEVATE-TN zudem eine bestehende Komorbidität (CIRS > 6 und/oder Kreatinin-Clearance 30–69 ml/min) für Patienten unter 65 Jahre. Jeweils ausgeschlossen waren Patienten mit schwerer kardiovaskulärer Erkrankung (außer kontrollierter asymptomatischer Arrhythmie). Eine gleichzeitige Gabe von neuen oralen Antikoagulantien war erlaubt, nicht aber die Gabe von Warfarin oder vergleichbaren Vitamin-K-Antagonisten.9,12

Hochrisikomerkmale traten bei den Studienteilnehmern mit folgenden Häufigkeiten auf (ELEVATE-TN bzw. ASCEND): 17p-Deletion 10 % bzw. 18 %; 11q-Deletion 17 % bzw. 25 %; unmutierter IGHV-Status 67 % bzw. 77 %; TP53 mutiert 11 % bzw. 26 %; komplexer Karyotyp 17 % bzw. 32 % (jeweils im Acalabrutinib-Arm; innerhalb der Studien waren die Patientencharakteristika in den verschiedenen Behandlungsarmen gut ausgeglichen).9,12

Die ELEVATE-TN-Studie untersuchte die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Acalabrutinib als Monotherapie (A) und in Kombination mit Obinutuzumab (G) bei therapienaiven CLL-Patienten im Vergleich mit der Standard-Chemoimmuntherapie Chlorambucil (Clb) plus Obinutuzumab (Ergebnis: relative Risikoreduktion [RR] des progressionsfreien Überlebens [PFS] um 90 % mit A+G bzw. 80 % mit A).9

Die ASCEND-Studie diente dem Vergleich zwischen Acalabrutinib und den Kombinationen Idelalisib (Id) plus Rituximab (R) oder Bendamustin (B) plus Rituximab bei Patienten mit rezidivierter/refraktärer CLL nach mindestens einer systemischen Vorbehandlung (RR PFS: 69 %). Es handelt sich dabei um die erste randomisierte Studie, in der zwei B-Zell-Rezeptor-Inhibitoren gegeneinander antraten: BTKi in Monotherapie versus PI3Kδ-Inhibitor/Rituximab-Kombination.12

Primärer Endpunkt beider Studien war das progressionsfreie Überleben. Die überzeugenden Ergebnisse führten zur entsprechenden Zulassung von Acalabrutinib und zu seiner – schon vorher vollzogenen – Aufnahme in die Onkopedia-Leitlinie.3 Besonders relevant im Hinblick auf die individuelle Therapieentscheidung sind dabei vor allem zwei Aspekte:

Acalabrutinib statt Ibrutinib

Dabei scheint sich auch die im Labor und Tiermodell nachgewiesene Vermeidung relevanter Off-Target-Effekte13,14 in der Praxis zu bestätigen, was im Vergleich zum Erstgenerations-BTKi Ibrutinib ein differenziertes Nebenwirkungsprofil bedeutet. Dies bietet Patienten, die eine Ibrutinib-Therapie nach mehreren Monaten wegen nicht mehr tolerabler Nebenwirkungen (z. B. dauerhafte Gelenkschmerzen, siehe Fallbeispiel 2) abbrechen, die Chance auf Umstellung und erfolgreiche Fortführung der BTKi-Therapie mit Acalabrutinib. Die Ansprechraten sind dabei sowohl im Erstlinientherapie-Setting als auch bei rezidivierter/refraktärer CLL hoch (76 %15 bzw. 73 %11), ebenso wie die Wahrscheinlichkeit, dass die mit der Ibrutinib-Intoleranz assoziierten Nebenwirkungen nicht mehr oder mit geringerem Schweregrad auftreten (72 % bzw. 13 %)14.

Eine Netzwerk-Metaanalyse16 bestätigte das gute kardiovaskuläre Sicherheitsprofil von Acalabrutinib mit geringeren Raten an Anämien, Thrombozytopenien und kardiovaskulären Nebenwirkungen als unter Ibrutinib. Mit der Phase-III-Studie ELEVATE-RR17 wurde schließlich erstmals ein Head-to-Head-Vergleich zweier BTKi bei der CLL unternommen. Studienteilnehmer waren vorbehandelte CLL-Patienten mit zytogenetischen Hochrisiko-Anomalien wie 17p-Deletion und 11q-Deletion. Ausschlusskriterium war die gleichzeitige Anwendung von Protonenpumpen-Inhibitoren17, die vermieden werden sollte (was auch für starke CYP3A-Inhibitoren/-Induktoren gilt)7.

Die ersten, mit Spannung erwarteten Ergebnisse wurden beim ASCO 2021 präsentiert. Sie belegen einerseits die ebenbürtige Wirksamkeit von Acalabrutinib im direkten Vergleich mit Ibrutinib bezüglich des progressionsfreien Überlebens als primärem Studienendpunkt und andererseits das günstigere Verträglichkeitsprofil: Unter Acalabrutinib war insbesondere die Rate für Vorhofflimmern signifikant niedriger und weniger Patienten mussten aufgrund von unerwünschten Ereignissen die Therapie abbrechen als unter Ibrutinib.17

Fazit:

*Die Fallbeispiele sind in Anlehnung an reale Fälle konstruierte Beispiele.


Quellen

  1. Patel K, Pagel JM. Current and future treatment strategies in chronic lymphocytic leukemia. J Hematol Oncol 2021;14(1):69
  2. Bewarder M et al. Current Treatment Options in CLL. Cancers 2021;13(10):2468
  3. Wendtner CM et al. Onkopedia-Leitlinie Chronische Lymphatische Leukämie (CLL). Stand: September 2020
  4. Hou J. Dose reductions and discontinuations with chronic lymphocytic leukemia (CLL) patients receiving ibrutinib in community and academic settings. Blood 2020;136 (Suppl_1):12-3
  5. Mato AR et al. Toxicities and outcomes of 616 ibrutinib-treated patients in the United States: a real-world analysis. Haematologica 2018;103(5):874-9
  6. Fakhri B, Andreadis C. The role of acalabrutinib in adults with chronic lymphocytic leukemia. Ther Adv Hematol 2021;12:2040620721990553
  7. Fachinformation Calquence®, Stand: November 2020
  8. Project Orbis: FDA approves acalabrutinib for CLL and SLL. FDA, November 21, 2019. https://www.fda.gov/drugs/resources-information-approved-drugs/project-orbis-fda-approves-acalabrutinib-cll-and-sll (Zugriff am 02.07.2021)
  9. Sharman JP et al. Acalabrutinib with or without obinutuzumab versus chlorambucil and obinutuzumab for treatment-naive chronic lymphocytic leukaemia (ELEVATE TN): a randomised, controlled, phase 3 trial. Lancet 2020;395(10232):1278-91
  10. Sharman JP et al. Acalabrutinib ± obinutuzumab versus obinutuzumab + chlorambucil in treatment-naïve chronic lymphocytic leukemia: Elevate-TN four-year follow up. J Clin Oncol 2021; 39 (suppl 15; abstr 7509). DOI: 10.1200/JCO.2021.39.15_suppl.7509
  11. Rogers KA et al. Phase 2 study of acalabrutinib in ibrutinib-intolerant patients with relapsed/refractory chronic lymphocytic leukemia. Haematologica 2021. doi:10.3324/haematol.2020.272500
  12. Ghia P et al. ASCEND: Phase III, Randomized Trial of Acalabrutinib Versus Idelalisib Plus Rituximab or Bendamustine Plus Rituximab in Relapsed or Refractory Chronic Lymphocytic Leukemia. J Clin Oncol 2020;38(25):2849-61
  13. Barf T et al. Acalabrutinib (ACP-196): A Covalent Bruton Tyrosine Kinase Inhibitor with a Differentiated Selectivity and In Vivo Potency Profile. J Pharmacol Exp Ther 2017;363(2):240-52
  14. Herman SEM et al. The Bruton’s tyrosine kinase (BTK) inhibitor acalabrutinib demonstrates potent on-target effects and efficacy in two mouse models of chronic lymphocytic leukemia. Clin Cancer Res 2017;23(11):2831-41
  15. Awan FT et al. Acalabrutinib monotherapy in patients with chronic lymphocytic leukemia who are intolerant to ibrutinib. Blood Adv 2019;3(9):1553-62
  16. Hilal T et al. Adverse Events in Clinical Trials of Ibrutinib and Acalabrutinib for B-Cell Lymphoproliferative Disorders: A Systematic Review and Network Meta-Analysis. Blood 2020;136(Suppl_1):23
  17. Byrd JC et al. First results of a head-to-head trial of acalabrutinib versus ibrutinib in previously treated chronic lymphocytic leukemia. J Clin Oncol 2021;39(15_suppl):7500

Abkürzungen:
BTKi = Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor
CIRS-G = Cumulative Illness Rating Scale for Geriatrics
Clb = Chlorambucil
ECOG PS = ECOG Performance Status (Eastern Cooperative Oncology Group)
G = Obinutuzumab
iwCCL = International Workshop on Chronic Lymphocytic Leukemia
HR = Hazard Ratio
IGHV = Immunglobulinschwerketten-Gene
KI = Konfidenzintervall
KrCL = Kreatinin-Clearance
ORR = objektive Ansprechrate
OS = Gesamtüberleben
PFS = progressionsfreies Überleben
TTNT = Zeit bis zur nächsten Behandlung

DE-37919/21