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Aktuelle CLL-Therapie: Was bedeutet leitliniengerecht?

Im September 2020 wurde die Onkopedia-Leitlinie zur chronischen lymphatischen Leukämie aktualisiert. Der zentrale Stellenwert, den die Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren mittlerweile in der Erstlinien- und Zweitlinientherapie einnehmen, kommt auch den Anforderungen in der aktuellen Pandemie-Situation entgegen.

Die Therapie der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) befindet sich in einem Wandel, bei dem zielgerichtete Ansätze neue Optionen eröffnen. Für die DGHO zählen die Fortschritte in der CLL-Therapie zu den „erfreulichsten Entwicklungen der modernen Onkologie“1 Die CLL-Leitlinie wurde im September 2020 aktualisiert2.

Leitlinienempfehlungen während der COVID-19-Pandemie

Im Zuge dieses letzten Leitlinien-Updates wurde das therapeutische Spektrum um einen BTK-Inhibitor der 2. Generation erweitert und der bisherige Therapiealgorithmus wurde auf Basis neuer Studiendaten angepasst. BTKi zählen heute zu den Standardtherapien bei der Behandlung der CLL und können auch in Zeiten von COVID-19 weiter eingesetzt werden. In der COVID-19-Leitlinie wird empfohlen, eine indizierte CLL-Therapie leitliniengerecht durch- bzw. fortzuführen, da die Kontrolle der Tumorerkrankung auch für die Infekt-Kontrolle von Vorteil ist.3 Der zentrale Stellenwert, den die Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren (BTKi) in der aktuellen Onkopedia-Leitlinie einnehmen, kommt den Anforderungen in der Pandemie-Situation praktischerweise entgegen: Eine unkomplizierte perorale Einnahme ermöglicht die Therapie von zu Hause aus und erfordert bei Ausbleiben von unerwünschten Ereignissen keine zusätzliche Reisetätigkeit für Laborkontrollen und Praxisbesuche.

BTKi der 2. Generation - bereits vor Zulassung in die Leitlinie aufgenommen

Zu den wichtigsten Neuerungen in der CLL-Leitlinie zählt die Aufnahme von Acalabrutinib – noch vor dessen EU-Zulassung, die Ende 2020 erfolgte. Der Zweitgenerations-BTKi wird für die Erstlinientherapie und für die Rezidivtherapie über alle Indikationssegmente hinweg empfohlen – unabhängig von einem Vorliegen genetischer Risikofaktoren. Der BCL2-Inhibitor Venetoclax zählt ebenfalls zu den Standardtherapien und wird in der Erstlinie in Kombination mit dem Anti-CD20-Antikörper Obinutuzumab eingesetzt, während er bei Vorliegen eines Rezidivs mit dem Anti-CD20-Antikörper Rituximab kombiniert wird.2

Eine antineoplastische Behandlung soll weiterhin erst bei einem Auftreten von Symptomen (Stadium Binet A, B) oder im Stadium Binet C initiiert werden. Die Wahl der Therapie richtet sich dabei vor allem nach dem Allgemeinzustand und den Komorbiditäten des Patienten sowie nach dem genetischen Risikoprofil. Bei einem Rezidiv spielen zudem die Art der Primärtherapie, die damit erreichte Remissionsdauer, die individuelle Verträglichkeit der Vortherapie und gegenüber der Erstdiagnose veränderte biologische Eigenschaften der CLL eine Rolle. Die Bedeutung der allogenen Stammzelltransplantation hat durch die Verfügbarkeit hocheffektiver und gut verträglicher Therapeutika stark abgenommen, da sie vor allem bei älteren Menschen mit einer hohen Rate therapieassoziierter Mortalität einhergeht. Der Einsatz dieser einzigen potenziell kurativen Option beschränkt sich deshalb auf Situationen mit relativ ungünstiger Prognose auch unter den modernen Therapiemöglichkeiten: CLL Hochrisiko I mit Resistenz gegenüber einer durchgeführten Chemoimmuntherapie (CIT), TP53-Mutation oder -Deletion und Sensitivität gegenüber Signalwegsinhibitoren (BTKI, Venetoclax); CLL Hochrisiko II mit Resistenz gegenüber CIT und gegenüber mindestens einem Signalwegsinhibitor (BTKI und/oder Venetoclax); Richter-Transformation (bei entsprechender Patienten-Fitness und Spendersituation).2

Prädiktive Bedeutung genetischer Risikomerkmale

Eine prädiktive Bedeutung wird weiterhin den bekannten genetischen Risikofaktoren zugeschrieben: del(17p13) bzw. TP53-Mutation, komplexer Karyotyp und unmutierer IGHV-Status. Ihre Bestimmung vor Therapiebeginn ist obligat und vor allem bezüglich der konventionellen Chemo- bzw. Chemoimmuntherapie von Belang, die in der CLL-Therapie zunehmend in den Hintergrund geraten ist. Grund dafür sind die zahlreichen Vorteile der zielgerichteten Therapien, etwa in Bezug auf die OS- bzw. PFS-Raten, die gute Wirksamkeit auch beim Vorliegen genetischer Risikofaktoren und die Verträglichkeit.2

Zielgerichtete Ansätze im Fokus

Im Fokus der Leitlinienempfehlungen für die Erst- und Zweitlinie (1L/2L) stehen die BTK-Inhibitoren Acalabrutinib und Ibubrutinib, die als Monotherapie (1L/2L) oder in Kombination mit einem Anti-CD20-Antikörper (1L) über alle Therapieindikationssegmente hinweg empfohlen werden. Alternativ kann der BCL2-Inhibitor Venetoclax in Kombination mit einem Anti-CD20-Antikörper (1L: Obinutzumumab; 2L: Rituxumab) eingesetzt werden.

Erstlinie:

Erstlinientherapie der CLL

Therapiestruktur für die Erstlinientherapie der CLL ( Abbildung 5, Legende siehe dort) in der aktuellen Onkopedia Leitlinie2

Zweitlinie:

Folgetherapien bei Rezidiv und Refraktärität der CLL

Therapiestruktur bei Rezidiv und Refraktärität der CLL (Abbildung 6, Legende siehe dort) in der aktuellen Onkopedia Leitlinie2

Mit den zielgerichteten Inhibitor-Therapien, die in die B-Zellrezeptor-Signalübertragung oder die Regulation des programmierten Zelltodes eingreifen, hat die Chemoimmuntherapie ihre frühere Bedeutung bei der Therapie der CLL weitgehend eingebüßt. Optimale Kombinationen und Sequenzen der verschiedenen Wirkstoffe sind bisher nicht etabliert, an Kombinationstherapien wird bereits geforscht.2

BTKi-Monotherapie als Therapieoption in der COVID-19-Pandemie

Der zentrale Stellenwert der BTKi in der leitliniengerechten CLL-Therapie erweist sich unter den Bedingungen der gegenwärtigen Pandemie-Situation als besonders günstig. Um das SARS-CoV-2-Infektionsrisiko zu mindern, sind bei Behandlungsbedarf systemische Therapien gefragt, die weniger Klinikaufenthalte erfordern und/oder weniger immunsuppressiv sind. Deshalb empfehlen Experten der führenden onkologischen Fachgesellschaften in den USA und Europa, den Einsatz von Chemo(immun)therapien, oder zielgerichteten Therapien in Kombination mit Anti-CD20-Antikörpern wenn möglich zu vermeiden, da der Einsatz von Anti-CD20-Antikörpern mit einem erhöhten Infektionsrisiko einhergeht. Sie plädieren bei neuem Therapiebeginn stattdessen für den Einsatz der BTKi Acalabrutinib oder Ibubrutinib als Monotherapie und für die uneingeschränkte Fortsetzung einer bereits begonnenen Behandlung bei Patienten ohne COVID-19-Diagnose.4

BTKi-Therapie 2.0: Acalabrutinib

Acalabrutinib (Calquence®) ist ein hochselektiver BTKi der zweiten Generation und seit November 2020 in der EU zugelassen

  • als Monotherapie oder in Kombination mit Obinutuzumab zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit nicht vorbehandelter CLL sowie
  • als Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen CLL-Patienten, die mindestens eine Vorbehandlung erhalten haben.5

Acalabrutinib hat sich in den Zulassungsstudien ELEVATE-TN und ASCEND als hochwirksam erwiesen - bei einem gut handhabbaren Verträglichkeitsprofil und einer geringen Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse.6-7 In einem direkten Vergleich mit Ibrutinib zeigte sich Acalabrutinib hinsichtlich der Inzidenz von Vorhofflimmern überlegen.8 Die leitliniengerechte und oral applizierbare Monotherapie mit Acalabrutinib ist auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie eine empfehlenswerte und gut durchführbare Therapieoption - sowohl für die Erstlinientherapie, als auch in der Rezidivsituation.4


Quellen

  1. Onkopedia CLL aktualisiert. News vom 08.04.2019 (dgho.de; Zugriff am 26.02.2021)
  2. Wendtner CM et al. Onkopedia-Leitlinie Chronische Lymphatische Leukämie (CLL). Stand: September 2020. https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/chronische-lymphatische-leukaemie-cll/@@guideline/html/index.html
  3. von Lilienfeld-Toal M et al. Coronavirus-Infektion (COVID-19) bei Patienten mit Blut- und Krebserkrankungen. Onkopedia Leitlinien. Stand: Januar 2021. zur Leitlinie
  4. Rossi D et al. How we manage patients with chronic lymphocytic leukemia during the SARS-Cov-2 pandemic. Hemasphere 2020;4:e432
  5. Fachinformation Calquence®, Stand November 2020
  6. Sharman JP et al. Acalabrutinib with or without obinutuzumab versus chlorambucil and obinutuzmab for treatment-naive chronic lymphocytic leukaemia (ELEVATE TN): a randomised, controlled, phase 3 trial. Lancet 2020;395(10232):1278-91
  7. Ghia P et al. ASCEND: Phase III, Randomized Trial of Acalabrutinib Versus Idelalisib Plus Rituximab or Bendamustine Plus Rituximab in Relapsed or Refractory Chronic Lymphocytic Leukemia. J Clin Oncol 2020;38(25):2849-61
  8. Calquence met primary efficacy endpoint in head-to-head trial against ibrutinib in chronic lymphocytic leukaemia. News release. AstraZeneca. Published January 25, 2021

Abkürzungen:
Anti-CD20-AK = Anti-CD20-Antikörper
BCL-2 = B-Zell-Lymphom-2 (Protein)
BTKi = Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren
CLL = chronische lymphatische Leukämie
DGHO = Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie
IGHV = Immunglobulinschwerketten-Gene

DE-34471\21