CLL und COVID-19: Wie hat sich das therapeutische Vorgehen geändert? Logo of esanum https://www.esanum.de

CLL und COVID-19: Wie hat sich das therapeutische Vorgehen geändert?

Sind CLL-Patienten durch SARS-CoV-2 besonders gefährdet? Sollte eine CLL-gerichtete Therapie eingeleitet bzw. fortgeführt werden? Was empfehlen die Experten?

Die Versorgung von Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) erfolgt seit etwa einem Jahr unter den herausfordernden Rahmenbedingungen der COVID-19-Pandemie. Mittlerweile sind einige Kenntnisse über das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 und seine Auswirkungen auf die Risikosituation verschiedener Patientenpopulationen sowie die Behandlungserfordernisse im Praxisalltag gewonnen worden.

Management von CLL-Patienten unter Pandemie-Bedingungen: Was wird empfohlen?

Patienten mit aktiven hämatologischen Neoplasien wie der CLL haben ein gesteigertes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf und eine erhöhte Mortalität.1 Die aktuelle Onkopedia-Leitlinie zu COVID-19 bei Patienten mit Blut- und Krebserkrankungen enthält knapp gefasste Hinweise zur CLL-Therapie unter den gegenwärtigen Pandemie-Bedingungen.1 Dort wird auch auf eine Publikation2 mit Empfehlungen einer internationalen Expertengruppe verwiesen.

Onkopedia-Leitlinie zu COVID-19 bei Patienten mit Blut- und Krebserkrankungen1

In der aktuellen Onkopedia-Leitlinie „Coronavirus-Infektion (COVID-19) bei Patienten mit Blut- und Krebserkrankungen“ finden sich im Kapitel 6.2 Hinweise zu einzelnen Krankheitsentitäten. Die Empfehlungen wurden von den verantwortlichen Autoren der jeweiligen Onkopedia-Leitlinien erarbeitet. Der CLL ist Kapitel 6.2.13 gewidmet.1

Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19:

CLL-Patienten haben oft eine eingeschränkte Immunkompetenz und damit ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf. Zu den Risikofaktoren zählen Alter, Komorbiditäten, sekundäres AK-Mangelsyndrom und immunsuppressive Therapien.

Betreuung angesichts der Bedrohung durch COVID-19:

Eine leitliniengerechte Therapie soll durch- bzw. fortgeführt werden, da eine kontrollierte Tumorerkrankung grundsätzlich besser für die Infekt-Kontrolle ist. Der Beginn einer Erstlinien- oder Rezidivtherapie kann verzögert werden, wenn die Erkrankung asymptomatisch ist und nur geringer Therapiedruck besteht – etwa bei einem langsamen Anstieg der Lymphozyten. Hierbei sind weitere Risikofaktoren, die Krankheitsdynamik und die regionale Versorgungssituation zu berücksichtigen.

Bei einer Hypogammaglobulinämie mit funktionellem Antikörpermangel wird gemäß der Onkopedia-Leitlinie zu sekundären Immundefekten die Substitution von Immunglobulinen entsprechend den EMA-Kriterien empfohlen. Sofern das Risiko einer Therapie-induzierten Neutropenie besteht, ist die supportive Gabe von G-CSF indiziert.

Bei Nachweis von SARS-CoV-2 sind die Patienten umgehend zu isolieren. Die Entscheidungen zum weiteren Vorgehen werden individuell getroffen und orientieren sich auch an der Symptomatik. Eine symptomatische COVID-19-Erkrankung kann das Verschieben der onkologischen Behandlung in Analogie zum Vorgehen bei anderen Virusinfektionen, wie z. B. Influenza, erforderlich machen.

Patienten mit CLL wird eine besonders achtsame Befolgung der allgemeinen Regeln empfohlen.

EMA = Europäische Arzneimittel-Agentur; G-CSF = Granulozyten-Kolonie stimulierender Faktor.

Experten-Empfehlungen zum CLL-Management während der COVID-19-Pandemie2

Experten aus den USA und Europa haben ihre Empfehlungen in einem Leitlinienartikel mit dem Titel „How We Manage Patients With Chronic Lymphocytic Leukemia During the SARS-CoV-2 Pandemic“ im August 2020 im EHA-Organ HemaSphere veröffentlicht. Die Empfehlungen basieren auf Daten aus verschiedenen Publikationen und der klinischen Praxis und werden von den Autoren auch tabellarisch zusammengefasst:2

Allgemeine Überlegungen:

Die Expertengruppe geht davon aus, dass bei Patienten mit CLL aufgrund ihrer Immundefizienz das Infektionsrisiko sowie die Morbidität und die Mortalität durch COVID-19 erhöht sind, ähnlich wie bei Patienten mit anderen Malignomen.

  • Die Expertengruppe begrenzt das Expositionsrisiko der Patienten gegenüber einer potenziellen nosokomialen Infektion mit SARS-CoV-2 durch eine Minimierung der Arzt- (und Klinik-) besuche, Verschieben der routinemäßigen Kontrolluntersuchungen im Krankenhaus und durch verstärkten Einsatz kontaktloser, telemedizinische Maßnahmen (Remote-Check-in).
  • Gibt es keine neue oder zunehmende Symptomatik, wird auf das Routinelabor häufig verzichtet. Falls es doch benötigt wird, bietet sich die Probennahme lokal bzw. zu Hause an.

Management von Patienten, die während der Pandemie eine CLL-Therapie erhalten:

  • Die Experten testen asymptomatische CLL-Patienten auf SARS-CoV-2 (RT-PCR aus nasopharyngealem Abstrich) 24–72 Stunden vor dem Start der CLL-Therapie.
  • Während der Therapie werden die CLL-Patienten entweder telefonisch oder an der Klinikpforte nach möglichen, auch atypischen Anzeichen einer COVID-19-Infektion gefragt.

Management von Patienten unter CLL-Therapie ohne COVID-19-Anzeichen:

  • Die Experten führen zielgerichtete Therapien bei CLL-Patienten ohne COVID-19-Symptome wie unter Normalbedingungen fort – ausgenommen Therapien mit Anti-CD20-Antikörpern.
  • Bei CLL-Patienten, die bereits prophylaktische Immunglobulin-Infusionen erhalten, werden die Infusionen seltener durchgeführt oder durch subkutane Formulierungen ersetzt, sofern diese verfügbar sind und die Patienten sie zu Hause selbst anwenden können.
  • Die Expertengruppe ermutigt dazu, das Impfprogramm in der Behandlungseinrichtung aufrechtzuerhalten und insbesondere die Grippe- und Pneumokokkenimpfungen durchzuführen, sofern dies noch nicht erfolgt ist.

Management von Patienten unter CLL-Therapie mit COVID-19-Diagnose:

  • Die Experten halten es für einen vernünftigen Ansatz, bei einer COVID-19-Diagnose die CLL-Therapie zu unterbrechen, bis sich die Patienten von der Infektion erholt haben.
  • Sie empfehlen, die zielgerichtete Therapien wiederaufzunehmen, wenn alle folgenden Bedingungen zutreffen:
    • Der CLL-Patient mit COVID-19-Diagnose ist seit mindestens 48 Stunden symptomfrei.
    • Seit dem Symptombeginn sind mindestens 14 Tage vergangen.
    • Mindestens zwei konsekutive PCR-Tests im Abstand von etwa einer Woche sind negativ ausgefallen.

Tumorkontrolle dient auch der Infektkontrolle

Auch unter Pandemie-Bedingungen wird das therapeutische Vorgehen unter Abwägung der damit verbundenen Risiken letztlich immer individuell entschieden. Dabei sind neben diversen Risikofaktoren auch die Krankheitsdynamik und die regionale Pandemie- und Versorgungssituation zu berücksichtigen. Bei asymptomatischer CLL und geringem Therapiedruck kann eine Verschiebung des Beginns einer Erstlinien- oder Rezidivtherapie in Frage kommen. Angesichts eines verdoppelten Mortalitätsrisikos bei COVID-19-Patienten mit aktiver Krebserkrankung, dient die Tumorkontrolle auch der Infektkontrolle. Deshalb raten die Onkopedia-Autoren, eine bereits begonnene CLL-Therapie leitliniengerecht fortzusetzen. Im Fall einer symptomatischen COVID-19-Erkrankung kann die onkologische Behandlung verschoben werden.1

Experten setzen auf Therapien ohne zusätzliche Laborkontrollen und Praxisaufenthalte

Um das SARS-CoV-2-Infektionsrisiko zu mindern, präferieren Experten bei Behandlungsbedarf Therapien, die weniger Praxisaufenthalte und Laborleistungen erfordern und weniger immunsuppressiv sind. Der Einsatz von Therapien wie Chemo(immun)therapien, oder Idelalisib plus Rituximab ist demnach aufgrund des vermutlich erhöhten Infektionsrisikos eher zu meiden. Auf Basis der vorhandenen Evidenz plädieren die Experten stattdessen für den Einsatz der Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren (BTKi) Acalabrutinib oder Ibrutinib als Monotherapie:2 Im Vergleich zur Chemo(immun)therapie führen die beiden BTKi nicht zu einer Lymphopenie, die ein bekannter Risikofaktor für einen schweren Verlauf von COVID-19 ist. Des Weiteren kann die Einnahme unkompliziert von zu Hause aus erfolgen, vermehrte Laborleistungen und Praxis-/Klinikaufenthalte sind nicht erforderlich.

Die BTKi-Therapie wird in der CLL-Erstlinientherapie über alle Therapiesegmente hinweg auch als Monotherapie empfohlen. Ihr kommt zusätzlich auch in der Rezidivtherapie ein zentraler Stellenwert zu.3 Im Pandemie-Kontext erweisen sich die orale Darreichungsform und die im Regelfall gegebene Verzichtbarkeit auf engmaschige Kontrollen als besonders vorteilhaft. Der BCL2-Inhibitor Venetoclax erfordert hingegen bei Einleitung der Therapie mehrfache, zeitaufwendige Klinikaufenthalte mit Laboruntersuchungen und kommt laut Expertenmeinung deshalb insbesondere für die wenigen Patienten infrage, für die BTKi nicht geeignet sind.2

Nach Meinung des Co-Autors Prof. Mazyar Shadman haben die im Sommer 2020 publizierten Expertenempfehlungen im Licht neuer Evidenz weiterhin Bestand. Zudem betonte der Hämatoonkologe von der Medizinischen Fakultät der Universität Washington in einem Interview kürzlich die Gefahren des Zuwartens bei CLL-Patienten mit sofortigem Behandlungsbedarf. Wie sich in einigen Fällen gezeigt hat, kann dies ein erheblich komplizierteres Therapiemanagement nach sich ziehen.4

DGHO empfiehlt COVID-19-Schutzimpfung

Ein weiterer wichtiger Hinweis des Experten betrifft die COVID-19-Schutzimpfung. Bezüglich ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit für immunsupprimierte Patienten besteht noch Forschungsbedarf, gleichwohl sollte sie CLL-Patienten angeboten werden. Der Schutz einer COVID-19-Impfung kann bei immunsupprimierten Patienten geringer ausfallen. Deshalb empfiehlt die DGHO in einer aktuellen Stellungnahme, „bei Patienten nach B-Zell-Depletion (…) – in Analogie zu anderen Schutzimpfungen – einen zeitlichen Abstand von mindestens 3, besser von > 6 Monaten zur letzten Therapie“ einzuhalten.5

ASH 2020: Vorteile für Acalabrutinib

Seit kurzem ist Acalabrutinib (Calquence®) auch in der EU für die CLL-Therapie zugelassen.6 Dieser bisher einzige BTKi der zweiten Generation wird in der Onkopedia-Leitlinie als Erstlinien- und als Folgetherapie empfohlen – unabhängig vom Vorliegen genetischer Risikofaktoren.3 Auf dem virtuellen ASH-Kongress im Dezember 2020 wurden neue vorteilhafte Daten für Acalabrutinib präsentiert:

  • Die Auswertung einer gepoolten Analyse von vier Studien zeigte: Kardiale Ereignisse unter einer Acalabrutinib-Monotherapie (mediane Exposition: 24,9 Monate) führten nur in 0,9 % der Fälle zu einem Therapieabbruch.7
  • Eine Netzwerk-Metaanalyse aus 29 Studienarmen stützt zudem das vorteilhafte Sicherheitsprofil von Acalabrutinib im retrospektiven Vergleich zum Erstgenerations-BTKi Ibrutinib – insbesondere hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse wie Vorhofflimmern und Bluthochdruck.8

Mit seiner hohen Wirksamkeit und dem guten Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil ermöglicht Acalabrutinib die Einleitung bzw. Fortführung einer leitliniengerechten CLL-Therapie – auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie.


Quellen

  1. von Lilienfeld-Toal M et al. Coronavirus-Infektion (COVID-19) bei Patienten mit Blut- und Krebserkrankungen. Onkopedia Leitlinien. Stand: Januar 2021. zur Leitlinie
  2. Rossi D et al. How we manage patients with chronic lymphocytic leukemia during the SARS-Cov-2 pandemic. Hemasphere 2020;4:e432
  3. Wendtner CM et al. Onkopedia-Leitlinie Chronische Lymphatische Leukämie (CLL). Stand: September 2020. https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/chronische-lymphatische-leukaemie-cll/@@guideline/html/index.html
  4. Stern V. Experts Offer Roadmap for Treating CLL During the Pandemic. Medscape, December 23,2020. (medscape.com; Zugriff am 22.02.2020)
  5. DGHO. Empfehlungen zur COVID-19-Schutzimpfung bei Patienten mit Blut-und Krebserkrankungen. 17.12.2020 (PDF-Link)
  6. Fachinformation Calquence®, Stand November 2020
  7. Brown JR et al. Pooled Analysis of Cardiovascular Events from Clinical Trials Evaluating Acalabrutinib Monotherapy in Patients with Chronic Lymphocytic Leukemia (CLL). ASH 2020, Abstract 3146. (zum Abstract)
  8. Hilal T et al. Adverse Events in Clinical Trials of Ibrutinib and Acalabrutinib for B-Cell Lymphoproliferative Disorders: A Systematic Review and Network Meta-Analysis. Blood 136(Suppl_1):23

Abkürzungen:
ASH = American Society of Hematology
BCL-2 = B-cell lymphoma 2
BTKi = Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor
CLL = chronische lymphatische Leukämie
COVID-19 = Corona Virus Disease 2019
EHA = European Hematology Association
SARS-CoV-2 = severe acute respiratory syndrome coronavirus 2

DE-35236\21