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ELEVATE TN: Fortschritt in der CLL-Therapie zur rechten Zeit

Der neue BTK-Inhibitor Acalabrutinib stand schon vor seiner europäischen Zulassung in der Onkopedia-Leitlinie. Basis dafür sind unter anderem die Ergebnisse der Phase-III-Studie ELEVATE TN, die während der COVID-19-Pandemie noch stärker ins Gewicht fallen.

Im November 2020 hat das Therapiespektrum für Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) relevanten Zuwachs bekommen: Mit Acalabrutinib (Calquence®) wurde ein hochselektiver Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor (BTKi) der 2. Generation in der EU zugelassen. Acalabrutinib ist indiziert

Acalabrutinib: schon vor Zulassung in der Leitlinie

Bereits seit September 2020 wird Acalabrutinib als neue Option in der Onkopedia-Leitlinie zur Behandlung der CLL geführt – noch vor der erfolgten EU Zulassung.2 Die Evidenzbasis für die vorzeitige Empfehlung als Erstlinientherapie in der aktualisierten Leitlinienversion bilden unter anderem die überzeugenden Ergebnisse der Zulassungsstudie ELEVATE TN.3 Angesichts ihrer Bedeutung für die therapeutische Praxis lohnt sich ein genauerer Blick auf die Studiendetails.

In dieser offenen Phase-III-Studie wurden die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Acalabrutinib als Monotherapie und in Kombination mit Obinutuzumab bei therapienaiven CLL-Patienten im Vergleich mit der Chemoimmuntherapie Chlorambucil plus Obinutuzumab untersucht. Das Studienkollektiv umfasste 535 nicht vorbehandelte Teilnehmer. Haupteinschlusskriterien waren: Alter≥ 65 Jahre oder 18–65 Jahre mit Komorbiditäten (KrCl 30–69 ml/min oder CIRS-G > 6); Behandlungsbedürftigkeit nach iwCLL-Kriterien 2008; ECOG PS ≤ 2; ausreichende hämatologische, hepatische und renale Funktion. Ausgeschlossen waren Patienten mit schweren kardiovaskulären Erkrankungen oder unter antikoagulativer Medikation mit Warfarin oder anderen Vitamin-K-Antagonisten.3

Studiendesign ELEVATE TN: offene, randomisierte, multizentrische Phase-III-Studie

Modifiziert nach Sharman et al 20203

Obinutuzumab (i.v.) und Chlorambucil (p.o.) wurden jeweils über 6 Zyklen verabreicht. Acalabrutinib wurde von den Patienten in einer Dosierung von täglich zweimal 100 mg bis zum Krankheitsprogress oder dem Auftreten inakzeptabler toxischer Effekte oral eingenommen.3

Primärer Endpunkt der Studie war das progressionsfreie Überleben (PFS) unter der Kombination Acalabrutinib plus Obinutuzumab (A + G), wichtigster sekundärer Endpunkt das PFS unter der Monotherapie mit Acalabrutinib – jeweils im Vergleich mit Chlorambucil plus Obinutuzumab (Clb + G) und beurteilt von einem unabhängigen Untersuchungsausschuss (IRC). Weitere sekundäre Endpunkte waren das Gesamtüberleben (OS), die Zeit bis zur nächsten Behandlung (TTNT) und die Gesamtansprechrate (ORR).3

Hohe Wirksamkeit

Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 28,3 Monaten zeigte sich im Vergleich mit der Chemoimmuntherapie eine stark verbesserte PFS-Rate nach 24 Monaten in beiden Interventionsarmen (Clb + G vs. A + G bzw. vs. A: 47 % vs. 93 % bzw. 87 %; Hazard Ratio 0,1 bzw. 0,2). Das bedeutet eine relative Risikoreduktion um 90 % bzw. 80 % unter der Kombinations- bzw. Monotherapie mit Acalabrutinib.3

Die therapeutischen Vorteile waren über alle vordefinierten Subgruppen hinweg zu beobachten, inklusive der Patienten mit genetischen Risikomerkmalen wie del(17p), TP53-Mutation, unmutiertem IGHV-Status und komplexem Karyotyp.3

PFS-Raten nach 24 Monaten

Modifiziert nach Sharman et al 20203

In den Acalabrutinib-Armen war das mediane PFS im Unterschied zum Vergleichsarm (22,6 Monate) noch nicht erreicht. Um signifikante Unterschiede beim Gesamtüberleben festzustellen, reichte der kurze Follow-up-Zeitraum nicht aus. In allen drei Therapie-Armen waren die OS-Raten vergleichbar hoch und das mediane OS nicht erreicht, wobei sich ein Trend zugunsten der Therapiearme mit Acalabrutinib abzeichnete (geschätztes OS nach 24 Monaten: jeweils 95 % für A + G und A; 92 % für Clb + G).3

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ein Cross-over erlaubt war: Patienten aus dem Vergleichsarm (Clb + G) konnten bei einer vom IRC bestätigten Krankheitsprogression in die Acalabrutinib-Gruppe wechseln. Im Studienverlauf benötigten 31 % der Patienten unter Clb + G eine zusätzliche Therapie. 82 % von ihnen stiegen auf eine Monotherapie mit Acalabrutinib um. Dagegen hatten nach 28,3 Monaten nur 3 % der Patienten in der A+G-Gruppe und 6 % in der A-Gruppe eine Folgetherapie begonnen.3

Das Gesamtansprechen lag unter A + G bei 94 % und unter der Monotherapie mit Acalabrutinib bei 86 %, im Vergleich zu 79 % unter Clb + G.3

Gute Verträglichkeit

Die meisten unerwünschten Ereignissen (UE), die in der ELEVATE TN-Studie beobachtet wurden, waren leichtgradig (Grad 1 oder 2). Zu den häufigsten UE zählten Blutungen (A + G vs. A vs. Clb + G: 43 % vs. 39 % vs. 12%), Kopfschmerzen (40 % vs. 37 % vs. 12 %), Diarrhö (39 % vs. 35 % vs. 21 %) und Neutropenie (32 % vs. 11 % vs. 45 %). Als schwere Nebenwirkungen (Grad ≥ 3) traten nur Neutropenien häufiger in Erscheinung (30 % vs. 10 % vs. 41 %) – und dabei deutlich seltener unter Acalabrutinib allein im Vergleich zu den beiden anderen Gruppen.3

Häufige unerwünschte Ereignisse (≥ 15 %, alle Grade)

Modifiziert nach Sharman et al 20203 (Clb = Chlorambucil; G = Obinutuzumab)

Die Kopfschmerzen waren niedriggradig und vorübergehend. Sie traten tendenziell früh im Studienverlauf auf und führten weder zu Studienabbrüchen noch zu Dosisreduktionen. Infusionsbedingte Ereignisse ereigneten sich unter A + G deutlich seltener als unter Clb + G.

Unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse

Modifiziert nach Sharman et al3

Die Blutungsereignisse waren ebenfalls zumeist niedriggradig und traten am häufigsten in Form von Kontusionen und Petechien auf. Vorhofflimmern und Bluthochdruck waren in den Acalabrutinib-Gruppen (A + G bzw. A) nur zu geringen Prozentsätzen vertreten, die sich auf vergleichbarem Niveau wie in der Clb+G-Gruppe bewegten.3

Ein weiterer positiver Befund mit Blick auf die Verträglichkeit: Trotz der längeren Behandlungsdauer mit den Acalabrutinib-Therapien (27,7 Monate vs. 5,6 Monate mit Clb+G) war die Häufigkeit von UE-bedingten Therapieabbrüchen nicht höher als unter dem Chemoimmuntherapie-Regime.3

Höhere Selektivität zielt auf bessere Verträglichkeit

Die Ergebnisse der ELEVATE TN-Studie deuten darauf hin, dass Acalabrutinib den Anspruch bei der Entwicklung eines potenten und hochselektiven BTKi der 2. Generation in die klinische Praxis umsetzen kann. Seit der Markteinführung von Ibrutinib im Jahr 2013, spielt die Klasse der oralen BTKi eine tragende Rolle im CLL-Therapiespektrum. Allerdings limitieren gerade im Behandlungsalltag das Auftreten unerwünschter Ereignisse das Erfolgspotenzial des BTKi der ersten Generation. So brechen bis zu 50 % der mit Ibrutinib behandelten Patienten die Therapie ab. Außerhalb von klinischen Studien sind dafür Unverträglichkeiten mit einer Abbruchrate von bis zu 23 % verantwortlich.4-8

Bei vergleichbarer Wirksamkeit hat Acalabrutinib gegenüber dem Erstgenerations-BTKi Ibrutinib den Vorteil einer höheren Selektivität für die BTK bzw. geringen Off-Target-Effekten: In-vitro-Untersuchungen ergaben eine nur minimale Inhibition eng verwandter Kinasen wie EGFR, ITK und TEC. Mit der höheren Targetselektivität des Zweitgenerations-BTKi wird somit eine relevante Bedarfslücke im klinischen Behandlungsalltag adressiert.4,9

Pharmakotherapeutischer Fortschritt mit besonderer Relevanz in Pandemiezeiten

Die Rahmenbedingungen während der COVID-19-Pandemie steigern die Relevanz solcher pharmakotherapeutischer Fortschritte noch zusätzlich: So raten Experten der American Society of Hematology dazu, in COVID-19-aktiven Gebieten Therapien zu bevorzugen, die ambulant durchgeführt werden können und weniger Klinikaufenthalte und Laborleistungen erfordern.10

Die BTKi-Therapie mit Acalabrutinib erweist sich hier aufgrund der oralen Darreichungsform und dem in der Regel möglichen Verzicht auf engmaschige Kontrollen als vorteilhaft. Da sie in der Erstlinientherapie über alle Therapiesegmente hinweg auch als Monotherapie empfohlen wird, erleichtert sie gerade in der Pandemie-Situation die Vermeidung von Infusionstherapien mit Anti-CD20-Antikörpern wie Rituximab und Obinutuzumab, ebenso wie die Einleitung einer Venetoclax-Therapie, die mehrfache, ausgedehnte Klinikaufenthalte mit Laboruntersuchungen erfordern kann. Dank der positiven Ergebnisse der ASCEND-Studie hat Acalabrutinib zudem auch in der Zweitlinientherapie einen zentralen Stellenwert.2

Fazit für die Praxis:


Quellen

  1. Fachinformation Calquence®, Stand November 2020
  2. Wendtner CM et al. Onkopedia-Leitlinie Chronische Lymphatische Leukämie (CLL). Stand: September 2020. https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/chronische-lymphatische-leukaemie-cll/@@guideline/html/index.html
  3. Sharman JP et al. Acalabrutinib with or without obinutuzumab versus chlorambucil and obinutuzmab for treatment-naive chronic lymphocytic leukaemia (ELEVATE TN): a randomised, controlled, phase 3 trial. Lancet 2020;395(10232):1278-91
  4. Bond DA, Woyach JA. Targeting BTK in CLL: Beyond Ibrutinib. Curr Hematol Malig Rep 2019;14:197-205.
  5. Mato AR et al. Toxicities and outcomes of 616 ibrutinib-treated patients in the United States: a real-world analysis. Haematologica 2018;103(5):874-9.
  6. Sharman JP et al. Understanding Ibrutinib Treatment Discontinuation Patterns for Chronic Lymphocytic Leukemia. Blood [ASH Abstract] 2017;130:4060.
  7. Jain P et al. Long-term outcomes for patients with chronic lymphocytic leukemia who discontinue Ibrutinib. Cancer 2017;123(12):2268-73.
  8. Mato AR et al. Outcomes of front-line ibrutinib treated CLL patients excluded from landmark clinical trial. Am J Hematol 2018;93(11):1394-1401.
  9. Herman SEM et al. The Bruton Tyrosine Kinase (BTK) InhibitorAcalabrutinib Demonstrates Potent On-Target Effects and Efficacy in Two Mouse Models of Chronic Lymphocytic Leukemia. Clin Cancer Res 2017;23(11):2831-41.
  10. American Society of Hematology. COVID-19 and CLL: Frequently Asked Questions. https://www.hematology.org/covid-19/covid-19-and-cll (Zugriff am 08.02.2021)

Abkürzungen:
CIRS-G = Cumulative Illness Rating Scale for Geriatrics
Clb = Chlorambucil
ECOG PS = ECOG Performance Status (Eastern Cooperative Oncology Group)
G = Obinutuzumab
iwCCL = International Workshop on Chronic Lymphocytic Leukemia
HR = Hazard Ratio
IGHV = Immunglobulinschwerketten-Gene
KI = Konfidenzintervall
KrCL = Kreatinin-Clearance
ORR = objective Ansprechrate
OS = Gesamtüberleben
PFS = progressionsfreies Überleben
TTNT = Zeit bis zur nächsten Behandlung

DE-32945/21