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Wochenrückblick Gesundheitspolitik: GKV-FinG verabschiedet

Das umstrittene GKV-FinG wurde nun vom Bundestag verabschiedet – mit letzten Änderungen.

GKV-Finanzstabilisierungs-Gesetz mit Änderungen verabschiedet

Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen hat der Bundestag am Donnerstag das umstrittene Finanzstabilisierungsgesetz verabschiedet. Durch Mobilisierung von Finanzreserven der Kassen und des Gesundheitsfonds, ein unverzinsliches Darlehen des Bundes, zusätzlichen Beitragsbelastungen von 0,3 Prozentpunkten für die Versicherten und durch Kürzungen bei Ärzten, Apothekern und insbesondere der Pharma-Industrie soll das erwartete Defizit von 15 bis 17 Milliarden Euro kompensiert werden. Eine langfristige Konsolidierung der Kassenfinanzen ist damit allerdings nicht möglich.

Am Mittwoch hatte der Gesundheitsausschuss letzte Änderungen beschlossen. Dies betrifft die Neupatientenregelung. Zwar entfällt die erst vor gut zwei Jahren eingeführte Entbudgetierung der Vergütungen für Neupatienten, was massive Proteste aller Ärzteorganisationen ausgelöst hatte; dafür soll es aber gezielte Anreize geben, wenn Patienten von Hausärzten oder von Terminservicestellen vermittelt werden. Trotz dieses Teilerfolgs sieht sich die KBV enttäuscht. Die zugestandenen Anreize seien keine ausreichende Kompensation. Die Entscheidung des Gesetzgebers sende das Signal, "dass Praxen zwar der Lastesel der Versorgung sind, aber im Gegensatz zu den Krankenhäusern keine angemessene finanzielle Ausstattung bekommen", sagte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen.

Am stärksten belastet unter den Leistungserbringern ist die pharmazeutische Industrie. So wird das Preismoratorium bis 2026 verlängert; es gilt seit August 2010.  Für patentgeschützte Wirkstoffe wird ein Preisabschlag von fünf Prozent für zwei Jahre eingeführt. Die Grenze, ab der Orphan Drugs eine komplette Nutzenbewertung durchlaufen müssen, sinkt von 50 auf 20 Millionen Euro. Werden neue Wirkstoffe kombiniert eingesetzt, wird ein Extra-Abschlag erhoben. Insgesamt werden die Bedingungen für die Bildung des Erstattungsbetrages verschärft. In der Summe kann dies die Hersteller mit bis zu drei Milliarden Euro belasten. 

Wesentliche Ursachen des für das nächste Jahr erwarteten Fehlbetrags sind der Wegfall des Corona-bedingt gezahlten Bundeszuschusses von 14 Milliarden Euro und die Kostenwirkungen der in der vergangenen Legislaturperiode beschlossenen Gesetze. Insofern – und darüber sind sich alle Beteiligten einig – beseitigt das GKVFinG die Ursachen des strukturellen Defizits der Krankenkassen nicht kausal und nachhaltig.

Corona-bedingte Übersterblichkeit auch im zweiten Pandemie-Jahr

Aufgrund von Übersterblichkeit ist die Lebenserwartung der Menschen international insgesamt gesunken, je nach Art der Pandemiebekämpfung und in Abhängigkeit von den erreichten Impfquoten im vergangenen Jahr allerdings mit starken Unterschieden. Das zeigt eine Studie von Professor Jonas Schöley vom Max-Planck-Institut für Demographie in Rostock und Kollegen aus Oxford. Untersucht wurden die Veränderungen der Lebenserwartung in 27 europäischen Ländern sowie in Chile und den USA.

Nur in wenigen Ländern Westeuropas – Frankreich, Belgien, Schweiz, Schweden – gelang es, die Lebenserwartung wieder auf das Vor-Pandemie-Niveau zu stabilisieren. Besonders krass war die Entwicklung in Belgien: Hier sank die Lebenserwartung 2020 um vier Jahre auf das Niveau von 1940 – dem Jahr des Überfalls durch Hitler-Deutschland. Ursache: die völlige Überlastung des Gesundheitssystems. Durch eine sehr hohe Impfquote, insbesondere bei Älteren, gelang es, 2021 wieder das Vor-Krisen-Niveau zu erreichen.

In Deutschland waren die Verluste in beiden Pandemiejahren im internationalen Vergleich mit 5,7 Monaten moderat. Aufgrund der mäßigen Impfbereitschaft stieg der Verlust im vergangenen Jahr mit 3,1 Monaten jedoch stärker als 2020, dem ersten Pandemiejahr, das Deutschland vergleichsweise milde getroffen hatte.  

Im zweiten Pandemiejahr zeigt sich überdies eine höchst disparate Entwicklung in West- und Osteuropa. 

Schöley führt aus: 

"Besonders deutlich wird dies am Beispiel Bulgariens: 2021 lag die Lebenserwartung 3,6 Jahre unter dem Niveau vor der Pandemie. Mehr als 25 Prozent davon ist auf eine erhöhte Sterblichkeit bei den 40- bis 60-Jährigen zurückzuführen." 

Dass Covid-19 nicht nur ein hohes Risiko für (vulnerable) Ältere ist, ist in den USA zu beobachten: Hier gelang es zwar, die Sterblichkeit der über 80-Jährigen auf das Niveau vor der Pandemie zu normalisieren – allerdings stieg die Sterblichkeit bei Jüngeren derart stark, dass die Lebenserwartung insgesamt ein zweites Jahr in Folge um 2,7 Monate sank.

Die Studie liefert auch einen eindeutigen starken (negativen) Zusammenhang zwischen der Impfquote und den verlorenen Lebensjahren. Besonders eng ist die Korrelation bei den über 60-Jährigen: Für diese Gruppe liegt R-Quadrat bei 0,74.  Die schlechtesten Werte hat Bulgarien mit einer Impfquote von gut 20 Prozent bei den Älteren, deren Lebenserwartung 2021 um fast vier Jahre sank. Die besten Werte weisen Schweden und Island auf, mit Impfquoten von knapp 90 bis 95 Prozent und einem Verlust an Lebenserwartung von 0,2 bis 0,3 Jahren. 

Zertifizierte Krebszentren behandeln besser

Krebspatienten, die in zertifizierten onkologischen Zentren behandelt werden, haben deutlich höhere Überlebenschancen. Dies geht aus Ergebnissen des Forschungsprojekts "WiZen – Wirksamkeit der Versorgung in onkologischen Zentren" des Innovationsausschusses des Gemeinsamen Bundesausschusses hervor. Auf der Basis von Abrechnungsdaten der AOK und von vier klinischen Krebsregistern wurden die Behandlungs-Outputs zertifizierter Zentren mit denen nichtzertifizierter Kliniken für Brustkrebs, Lungenkrebs, Prostatakrebs, Bauchspeichendrüsenkrebs, Dickdarmkrebs sowie für Tumoren des Zentralnervensystems, des Kopf-Hals-Bereichs und zu gynäkologischen Tumoren verglichen. Die Ergebnisse können nun dazu führen, dass der Bundesausschuss in Richtlinien zur Qualitätssicherung Mindestanforderungen für Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität festlegt. Ferner werden die Ergebnisse speziell zur Verknüpfbarkeit von GKV-Daten und Daten der klinischen Krebsregister an die Bundesministerien für Gesundheit sowie Bildung und Forschung weitergeleitet.

Beschlüsse des GBA zu neuen Leistungen, Zweitmeinung und außerklinischer Intensivpflege

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat am Donnerstag beschlossen, dass auch niedergelassene Radiologen künftig stereotaktische Radiochirurgie zur Behandlung von Patienten mit Hirnmetastasen erbringen können. Grundlage des Beschlusses ist eine Bewertung der Studienlage, wonach sich die Methode als effektiv und im Vergleich zu Alternativen als schonend für die umliegenden Hirnareale erwiesen hat. Der Beschluss des Bundesausschusses ist Voraussetzung dafür, dass der Bewertungsausschuss von KBV und GKV die Leistung in den EBM aufnimmt. Dies könnte in der ersten Jahreshälfte 2023 geschehen, womit die Leistung ab dem 1. Juli in der ambulanten Versorgung verfügbar wäre. Profitieren können die zehn bis 20 Prozent der Patienten mit Lungen-, Brust- oder Hautkrebs, bei denen sich Hirnmetastasen entwickelt haben.

Ferner hat der Bundesausschuss beschlossen, dass Patienten ab dem 1. Januar 2023 eine Zweitmeinung vor einer Cholezystektomie beanspruchen können. Der elektive Eingriff wird in Deutschland jährlich etwa 200.000mal durchgeführt – mehr als im internationalen Vergleich.  Vertragsärzte mit entsprechender Qualifikation – primär Gastroenterologen und Chirurgen – können nach Inkrafttreten des Beschlusses bei ihrer KV einen Antrag stellen, um eine Genehmigung für die Zweitmeinungsberatung zu erhalten.

Für die Verordnung von Leistungen der außerklinischen Intensivmedizin, die der GBA im November 2021 beschlossen hat, sind nun vor dem Hintergrund personeller Engpässe in der qualifizierten ambulanten Pflege die Übergangsregelungen verlängert worden. So können nun Verordnungen, die vor dem 1. Januar 2023 noch nach der Richtlinie zur häuslichen Krankenpflege ausgestellt werden, bis zum 31. Oktober 2023 gültig bleiben. Betroffen sind beispielsweise beatmungspflichtige Patienten, bei denen frühzeitig und regelmäßig geprüft werden muss, ob eine Entwöhnung in Frage kommt.

Auf Antrag der Patientenvertretung wurde beschlossen, ein Beratungsverfahren zur Aufnahme eines Screenings für Vitamin B12-Mangel und weiterer Zielerkrankungen im Rahmen des Neugeborenen-Screenings zu starten.