"Man sollte den Mut haben, auf seinen Rechten zu beharren, vor der Personalabteilung und dem Chef, dann kann man auch weiterarbeiten und sogar operieren, wenn man sich viel einsetzt." Dieses oder ähnliche Statements schwangerer Ärztinnen sind typisch für die Beschreibung des Umgangs von Klinikleitungen mit den Schutzvorschriften für schwangere Frauen am Arbeitsplatz. Sie sind Teil einer Umfrage unter fast 4800 Ärztinnen, die in der Zeit zwischen 2016 und 2022 schwanger waren. Durchgeführt wurde die Umfrage im November/Dezember vergangenen Jahres als Initiative des Marburger Bundes, des Deutschen Ärztinnenbundes, der Initiative Operieren in der Schwangerschaft (OPidS), der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, des Verbandes Leitender Krankenhausärzte und des Verbandes Die Chirurginnen.
Den größten Teil der Befragten bildet die Gruppe der Ärztinnen in Weiterbildung mit fast konstant 66 Prozent, etwas mehr als ein Fünftel sind Fachärztinnen, knapp zehn Prozent Oberärztinnen, drei bis vier Prozent studieren noch oder sind im PJ. Knapp ein Viertel absolvieren eine Weiterbildung in der Inneren Medizin, 14 Prozent sind angehende Chirurginnen, 10 Prozent sind in der Gynäkologie. Um beurteilen zu können, ob und welche Veränderungen es im Zeitablauf gibt – auch als mögliche Folge einer Novellierung des Mutterschutzgesetzes mit Wirkung ab 2018 – wurden vier Zeiträume gesondert betrachtet: 2016/17 (vor Novellierung), 2018/19 (nach Novellierung und vor Corona), 2020/21 (während der Pandemie) und 2022 (am Ende der Pandemie).
Ärztinnen melden ihre Schwangerschaft meist recht früh: zwischen 27 und 35 Prozent im zweiten Monat, weitere 33 bis 40 Prozent im dritten Monat. Der Anteil früher Meldungen war in den Pandemiejahren 2020/21 mit 71 Prozent besonders hoch.
Das Motiv, dem Arbeitgeber die Schwangerschaft zu offenbaren, ist häufig das Ziel, der gesetzlichen Schutzbestimmungen teilhaftig zu werden. Das gilt insbesondere für die wachsende tägliche Arbeitsbelastung; der Anteil der darüber klagenden Ärztinnen ist im Beobachtungszeitraum von 15 auf 29 Prozent gestiegen.
Aber: Jede zweite Ärztin hat auch Bedenken, ihre Schwangerschaft zu melden – aus Sorge vor Beschäftigungsverboten, die die Weiterbildung verzögern. Dieser Anteil ist im Zeitablauf von 44 auf 55 Prozent gestiegen – "ein trauriges Ergebnis", so die Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. Susanne Johna. Die häufigsten Befürchtungen sind: Einschränkung der Weiterbildung, OP-Verbot, Tätigkeitsverbot, negative Reaktionen der Chefs, Unverständnis bei Kollegen, Personalnot.
Generell sind Arbeitgeber verpflichtet, bei gemeldeter Schwangerschaft eine arbeitsplatz- und personenabhängige individuelle Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, die zu einer Anpassung des Arbeitsplatzes, Beschäftigungseinschränkungen, aber auch zu Beschäftigungsverboten führen kann. Das muss den zuständigen Behörden gemeldet werden, die dann – nicht selten mit erheblicher Verspätung – (nicht bindende) Empfehlungen aussprechen. Eine solche Gefährdungsbeurteilung wurde allerdings nur von etwas mehr als 60 Prozent der Arbeitgeber durchgeführt. Zwei Drittel dieser Beurteilung erfolgen individuell.
Während die Novellierung des Mutterschutzrechts ab 2018 kaum Veränderungen bei den ergriffenen Schutzmaßnahmen brachte, sorgte die Pandemie für verschärfte Vorkehrungen: War vor der Pandemie die häufigste Maßnahme eine Einschränkung der Tätigkeit (57 Prozent) und ein betriebliches Beschäftigungsverbot mit elf Prozent die Ausnahme, so wurde dies 2020/21 mit 48 Prozent die häufigste Schutzmaßnahme; das änderte sich auch nicht im vergangenen Jahr mit einem Anteil der betrieblichen Beschäftigungsverbote von 46 Prozent.
Besonders stark sind angehende Chirurginnen von Beschäftigungseinschränkungen betroffen: Fast 80 Prozent durften seit Pandemiebeginn überhaupt keine Eingriffe mehr durchführen, bei weiteren 13 Prozent waren die fachspezifischen Tätigkeitsmöglichkeiten eingeschränkt. Vor der Pandemie wurde das totale OP-Verbot in 65/57 Prozent der Fälle ausgesprochen.
Vor allem seit Beginn der Pandemie ist der Ablauf der Weiterbildung von Ärztinnen massiv gestört: Der Anteil der Ärztinnen, die trotz Einschränkungen und dem Wechsel zu anderen Tätigkeiten anrechnungsfähige Weiterbildungsinhalte erwerben konnten, ist von 57 auf 32 Prozent dramatisch gesunken, der Anteil derer, die überhaupt keine anrechnungsfähigen Inhalte erwerben konnten, hat sich auf 47 und zuletzt 43 Prozent fast verdreifacht. Als Folge dessen rechnen zwei Drittel der Frauen mit negativen Auswirkungen auf ihre Karrierechancen, die sich zudem durch sich anschließende Elternzeiten weiter verschlechtern können.
Eine wesentliche Ursache, so kritisieren Johna sowie Dr. Maya Niethard von der Initiative Operieren in der Schwangerschaft und Dr. Christiane Groß vom Deutschen Ärztinnenbund, sei die undifferenzierte, nicht individuelle und auf den jeweiligen Arbeitsplatz abgestimmte Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitgeber. Hier sind es regelhaft die Personalabteilungen, die die Beurteilungen verantworten, nicht die Behörden. Ob die Personalabteilungen die Expertise von Ärzten nutzen und ob Betriebsärzte oder die vorgesetzten Ärzte immer ausreichend informiert zur Beurteilung der Risiken bei Schwangerschaft sind, ist ebenfalls zweifelhaft.
Die Verzögerungen in der Weiterbildung mindern auch die ärztliche Arbeitskapazität. Und sie führen dazu, dass die ohne schon extrem lange Weiterbildungsdauer von durchschnittlich zehn Jahren (Ärztekammer Hessen) bei Frauen ein Jahr länger dauert als bei ihren männlichen Kollegen.