Viele talentierte, motivierte und top ausgebildete Frauen streben in das Gesundheitswesen. In den wirkmächtigeren Führungsebenen sind sie jedoch weiterhin schwer zu finden. Sie arbeiten zwar fleißig und ohne sie könnte die Medizin ihre Aufgabe für die Gesellschaft niemals erfüllen, jedoch habilitieren sie seltener, veröffentlichen seltener wissenschaftliche Publikationen, bekommen seltener Professuren. In den Klinikleitungen der deutschen Universitäten sind nur 13 Prozent Frauen als Hochschullehrerinnen zu finden. Die gynäkologischen Ordinaria kann ich an einer Hand abzählen.
Wenn ich mich selbst frage, warum das so ist, sehe ich mich auf Konferenzen oder in Besprechungen sitzen, um mich herum Dutzende Männer, die sich mit ihrem eigenen Wording in ihrem ganz eigenen Stil, verständigen. Sie wirken fast wie in einer eigenen Welt. Natürlich kann ich mich dieser Sprache bedienen. Ich habe sie über Jahre gelernt, so wie andere Fremdsprachen. Aber ich bin eben keine Native Speakerin.
Abgesehen von der Sprache erschweren auch die Spielregeln das Weiterkommen der Frauen. Wir haben ein Spiel, so wie ein Gesellschaftsspiel, z.B. "Monopoly". Das Spiel heißt "Führungsetage Krankenhaus". Die Regeln haben irgendwann einmal Männer geschaffen. Und wir Frauen merken nun: Moment mal, die Spielregeln sind für mich nicht so gut. Sie passen nicht zu mir, zu meinen Ideen, zu meiner Familiensituation, zu meinen Wünschen, wie ich arbeiten will.
Ich saß zum Beispiel oft am späten Nachmittag in Chefarzttreffen, es wurden Brötchen mit Mett gereicht und man sprach über Probleme, denen man im Alltag ausgesetzt war. Man muss sich das wie eine Selbsthilfegruppe vorstellen. Während sich also Chefarzt XY noch ein Brötchen nimmt, werde ich zunehmend nervöser, ich weiß, ich muss (und will) noch Hausaufgaben korrigieren, Abendessen auf den Tisch bringen. Mein Mann und ich teilen uns den Tag so, dass er für die Kinder morgens zuständig ist und ich nachmittags - und außerdem Mett? Wirklich?
Nun gibt es Frauen, die versuchen, diese Spielregeln zu ändern. Das sind die anstrengenden Frauen, die nerven und anecken. Und ein anderer Teil sagt sich: das ist mir zu doof. Ich will nicht jeden Tag um meine Rechte streiten, das ist mühsam, nicht sinnstiftend und den Ärger nicht wert. Man braucht schon eine latente Kriegerinnenmentalität, um sich dem verstaubten System entgegenzustellen. Ich habe mich oft gefragt, was die anderen Chefärzte eigentlich nach diesen Treffen noch tun. Ich schätze diese Kollegen natürlich, es sind kluge Menschen, mit denen ich sehr gerne arbeite. Auch deswegen habe ich irgendwann gefragt: was machst du eigentlich nach dem Mettbrötchen und was machen deine Kinder gerade? Das Bild war eindeutig: keiner von ihnen musste sich um Kinder oder Haushalt kümmern. Einer der Chefärzte sagte, er sähe wegen der Arbeit seine Kinder meist nur am Wochenende. Ein anderer ging erst nach Hause, wenn die Kinder im Bett waren, um nicht zu stören.
Chefarztrunden sind politisch. Ich habe meine Probezeit als Chefärztin abgewartet - das ist mir relativ schwergefallen. Aber durch die sechs Monate Mettbrötchen musste ich durch. Dann bat ich darum, dass man die Chefarztkonferenzen vorverlegt und früher beendet. Die Reaktionen waren: Schmunzeln, Unverständnis, Witze auf meine Kosten (lasst uns mal Dienstagnachmittag treffen, ach, Mandy Mangler kann dann nicht, haha.) bis hin zu offener Aggression. Habe ich alles ausgehalten. Die Konferenzen fangen jetzt um 14.30 Uhr an.
Das war eine Gelegenheit, Spielregeln zu ändern. Veränderungen implizieren, dass das Alte verbesserungswürdig war und dadurch sind sie auch schmerzhaft. Wenn man sie aber als Teil einer Evolution betrachtet, die uns als Gesellschaft stärker und besser werden lässt, dann sind sie vielleicht nicht mehr so angstbehaftet. So können und müssen wir Regeln an die Lebensrealität der Frauen anpassen, damit diese sich für Führungspositionen interessieren und sich verwirklichen können - damit die Medizin tatsächlich weiblicher wird.