Herzbericht 2024: So sieht die Realität in Deutschland aus Logo of esanum https://www.esanum.de

Herzbericht 2024: Versorgung mit Performance-Mängeln

Der Herzbericht 2024 fokussiert sich auf die Herzinsuffizienz. Die Kernprobleme: unzureichende Nutzung therapeutischer Möglichkeiten und gravierende Schwächen in der Prävention.

Herzerkrankungen: Deutschland fällt im Vergleich stark zurück

Deutschland ist in den letzten Jahren bei der Behandlung und Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen international und auch im Vergleich zu anderen schweren Krankheitsbildern zurückgefallen. Zur Verfügung stehende medikamentöse und invasive Therapien werden ebenso wie Reha-Maßnahmen nicht hinreichend stringent genutzt, kritisieren die Autoren des Herzberichts 2024 der Deutschen Herzstiftung. Insofern sei das geplante Gesunde Herz-Gesetz ein richtiger Ansatz, der aber durch weitere Maßnahmen der Verhältnisprävention – etwa hohe Verbrauchssteuern auf ungesunde Lebensmittel wie Softdrinks und mehr Schulsport – unbedingt ergänzt werden müsse. 

Der diesjährige Herzbericht setzt einen Schwerpunkt bei der Herzinsuffizienz, der unter allen kardiologischen Erkrankungen dritthäufigsten und unter allen Krankheitsarten sechshäufigen Todesursache mit 37.570 Todesfällen 2022; das ist ein Anstieg im Vergleich zu 2019 von 6,4 Prozent. Zugleich ist Herzinsuffizienz die wichtigste Hauptdiagnose für Hospitalisierungen, fast 417.000 in 2021. Aufgrund der starken Alterung der Bevölkerung werde Herzinsuffizienz zu eine der wichtigsten medizinischen und versorgungspolitischen Herausforderungen, so Professor Thomas Voigtländer, Vorsitzender der Deutschen Herzstiftung. Denn unter Menschen über 65 Jahre liegt die Zahl der Krankenhausaufnahmen als Folge von Herzinsuffizienz 13 mal höher als in der Gruppe der 45- bis 65-Jährigen. 

Ostdeutschland: doppelt so hohe Infarktmortalität wie im Westen

Nach wie vor existieren erhebliche, teils sich verschärfende regionale Unterschiede bei der Mortalität als Folge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Generell liegt die Zahl der Herzinfarkt-bedingten Todesfälle je 100.000 Einwohner im Osten bis zu doppelt so hoch wie im Westen. So lag 2020 die Infarktmortalität in Berlin mit 79,9/100.000 (Tendenz steigend, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt mit 68,5 und 65,2) fast dreimal so hoch wie in Nordrhein-Westfalen (32,8) oder Hamburg (33,6). Ursachen seien ein höheres Durchschnittsalter, eine deutlich weniger gesunde Lebensweise, insbesondere bei der Ernährung, möglicherweise aber auch eine weniger dichte kardiologische Versorgung. 

Tatsächlich ist die Kardiologen-Dichte regional unterschiedlich. Laut Daten der Bundesärztekammer versorgt ein Kardiologe im Schnitt 22.967 Einwohner. In Sachsen-Anhalt und Thüringen sind es 37.062 und 32.721 Einwohner. Andererseits: Noch geringer ist die Dichte der Herzspezialisten im Saarland (49.633 Einwohner), wo die Infarktmortalität nur geringfügig  über der der überdurchschnittlich gut versorgten Länder Bayern und Baden-Württemberg liegt. Und trotz überdurchschnittlicher Kardiologendichte (knapp 18.000 Einwohner auf einen Kardiologen) hat Berlin die höchste Zahl infarktbedingter Todesfälle.  

Therapeutisches Arsenal verbessert 

Dass Deutschland bei der kardiologischen Mortalität und daraus folgend der Entwicklung der Lebenserwartung im internationalen Vergleich schlecht dasteht, lässt sich nach Auffassung der Autoren des Herzberichts nicht mit dem zu Verfügung stehenden therapeutischen Instrumentarium erklären. Das habe sich in den letzten 20 Jahren deutlich verbessert. So habe sich die altersstandardisierte Mortalitätsrate der Herzinsuffizienz allein durch drei seit 1999 neu eingeführte Medikamentengruppen – MRA, ARNI und SGLT 2 – von 60/100.000 auf unter 40/100.000 um mehr als ein Drittel senken lassen. 

Therapeutische Erfolge der Kardiologie verursachen allerdings Folgeherausforderungen bei der zukünftigen Versorgung. Das gilt insbesondere für die rund 8.500 Kinder, die jedes Jahr mit einem angeborenen Herzfehler zur Welt kommen. Inzwischen, so Professor Ulrike Herberg, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie, erreichen inzwischen mehr als 90 Prozent von ihnen das Erwachsenenalter. Inzwischen ist die Zahl der Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler auf 360.000 gestiegen; sie alle bedürfen einer komplexen Dauerbehandlung. Die Sicherung des Behandlungserfolgs sieht Herberg als eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, um den Betroffenen eine Teilhabe am sozialen Leben und an der Arbeit zu sichern. 

Plädoyer für die Widerspruchslösung

Unbefriedigend bleibt nach wie vor eine sichere Versorgung von Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz, für die als letzte Möglichkeit nur noch eine Herztransplantation in Frage kommt. So ist die Zahl der Herztransplantationen zwischen 2017 und 2022 um 35 Prozent auf nur noch 655 zurückgegangen. Ursächlich ist der Mangel an Spenderorganen in Deutschland. So standen 2022 21 Kinder und 678 Erwachsene auf der Warteliste. Die Versorgung mit Organen aus dem Ausland – 2022: 68 importierte Spenderherzen – mildert die Lage nur wenig. Einmütig fordern alle kardiologischen Fachgesellschaften daher die Abschaffung der Zustimmungs- durch die Widerspruchslösung, für die der Bundestag derzeit einen neuen Anlauf nimmt. Dies müsse aber unbedingt durch eine Verbesserung der Arbeitsabläufe von der Suche und Entnahme von Spenderorganen in Kliniken flankiert werden. 

Das Fazit der Herzmediziner: Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden "zur Pandemie unseres Jahrhunderts" und eine Herausforderung für Wissenschaft und Versorgung bleiben. Die Kardiologie werde das von der Krankenhausreform am meisten betroffene Fachgebiet sein; der Abbau stationärer Kapazitäten müsse daher unbedingt von Investitionen in eine starke ambulante Versorgung flankiert werden. Das Gesunde-Herz-Gesetz sei ein Beitrag für bessere Prävention, insbesondere auch durch frühen und stringenten Einsatz von Statinen; das Gesetz müsse aber durch politische Entscheidungen zur Verhältnisprävention – Verbrauchssteuern, Schulsport – ergänzt werden. Wirksame Methoden der (Früh-Reha), insbesondere auch bei Hoch-Risiko-Patienten, werden nicht im erforderlichen Ausmaß genutzt.