Die Berlinerin Jahrgang 1939 hat sich Zeit ihrer professionellen Tätigkeit dafür eingesetzt, die Arbeitsbedingungen für Ärztinnen zu verbessern, und sie tut das auch jetzt noch. Als Fachärztin für Anästhesiologie und Professorin an der Berliner Charité war sie lange auch im Fakultätsrat vertreten, war Frauenbeauftragte und hatte 8 Jahre lang das Amt der Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes inne, für den sie nun als Senior Consultant tätig ist. Sie hat den Studiengang "Health and Society - International Gender Studies" gegründet und die Einrichtung einer Professur für Frauenspezifische Gesundheitsforschung durchgesetzt. Sie ist eine der Persönlichkeiten, die sich nicht einschüchtern lassen, die auch bei starkem Gegenwind hör- und sichtbar bleiben – und unbequem.
Als sie 2004 in Pension ging, wurde ihr die Verdienstmedaille der Charité verliehen: "Da waren nämlich alle froh, dass ich endlich weg bin", lacht sie. Für ihr Engagement erhielt sie 2010 sogar das Bundesverdienstkreuz.
Das größte Problem in der Medizin, erklärt Prof. Kaczmarczyk, sei die doppelte Diskriminierung von Frauen. Einerseits die strukturell verankerte, die Frauen innerhalb von Institutionen systematisch benachteilige. Andererseits die subtile, die mehr oder weniger offensichtlich durch Einschüchterung von Frauen und Bevorzugung von Kollegen im Arbeitsalltag wirksam sei. Noch immer werde Mutterschaft zum Anlass und Argument genommen, den Karriereweg von Frauen zu stören. Obwohl es Möglichkeiten gebe, Schwangerenarbeitsplätze in Kliniken einzurichten und Ärztinnen eine schnelle Rückkehr in den Beruf zu ermöglichen, würden Klinikleitungen dies oft nicht tun und damit den Weg von Frauen an die Spitze systematisch behindern. Die Angst der Ärztinnen vor Benachteiligung gehe in der Folge oft so weit, dass sie ihre Schwangerschaft so lange wie möglich verheimlichten. Dabei hätten bis vor einigen Jahren auch Männer eine Ausfallzeit gehabt, wenn sie den Wehrdienst absolvieren mussten - offenbar sei dies jedoch keine Karrierebremse gewesen, so Kaczmarczyk.
Überhaupt ende die Qualifikationszeit für Ärztinnen und Ärzte mit der Facharztprüfung. Die könnten Frauen auch nach einer Schwangerschaft noch leicht erreichen. Der Geschlechterkampf jedoch beginne erst richtig danach, wenn es ums Publizieren ginge. Gabriele Kaczmarczyk kennt die Praktiken und benennt sie auch. Die gegenseitige Begünstigung von Ärzten bei Publikationen, beispielsweise. Mit den Bewerbungsunterlagen kämen dann oft enorm lange Publikationslisten: "Da braucht der Bewerber erst mal ein halbes Jahr, um alle Papers zu lesen, in denen er als Co-Autor aufgeführt wird", beschreibt Kaczmarczyk die Vetternwirtschaft. Hingegen würden Doktorandinnen oft nicht mal dann erwähnt, wenn sie tatsächlich ihre Daten zur Verfügung stellten, die dann von ihrem Professor veröffentlicht würden. In solchen Fällen habe sie als Frauenbeauftragte damit gedroht, das Vorgehen vor den Fakultätsrat zu bringen. Die Angst vor dem Skandal führe dann häufig zu mehr oder weniger guten Kompromissen, indem z.B. eine Nennung der Autorin in der nächsten Publikation versprochen werde. Hört sich schlimm an? Ist es auch. Gabriele Kaczmarczyk nennt es "absurd", wie der Konkurrenzkampf um Veröffentlichungen geführt wird: "Es ist ein Geschlechterkampf; es geht um Macht und auch um Geld."
Hinzu käme die männliche Angst vor der weiblichen Übernahme, wenn Frauen erst einmal in einflussreiche Positionen gelangten. Anstatt zusammenzuarbeiten, würde gegen die Frauen agiert. Dabei hätten sich gemischte Führungsteams in anderen Berufsfeldern schon längst etabliert und als fruchtbar erwiesen. Top-Sharing, so Kaczmarczyk, sei ein probates Mittel, um Frauen den Weg in Führungspositionen zu erleichtern und auch Männern zu einer besseren Work-Life-Balance zu verhelfen. Es werde aber in der Medizin noch kaum angeboten.
Frauen würden, wenn sie denn gefördert werden, häufig auf "Orchideenfächer" gesetzt, die weder Einfluss, Macht noch Geld brächten. Auch fände man sie häufig in den vorklinischen Fächern, für die Gleiches gelte. Der Report "Medical Women on Top", den Gabriele Kaczmarczyk im Auftrag des Deutschen Ärztinnenbundes erstellt hat, bezieht sich demnach auf ausgesuchte klinische Fächer. Hier stagniert der Anteil von Klinikdirektorinnen in 14 Fächern der deutschen Universitätsmedizin seit 2019 bei 13%. Das heißt, dass 87% der Lehre und Forschung in diesen Fächern von Männern bestimmt wird. Ein enttäuschendes Ergebnis, das dennoch vorsichtig Anlass zur Hoffnung gibt: Der Anteil an Oberärztinnen stieg auf 37%. 2016 waren es noch 31%.
Ein Fach, in dem neuerdings mehr Oberärztinnen und auch Professorinnen zu finden sind, ist die Gynäkologie. Dort werde der Druck von unten größer, beschreibt Kaczmarczyk die Entwicklung, nicht ohne zu erwähnen, dass sie während ihrer Zeit als Frauenbeauftragte den größten Kampf mit den Gynäkologen auszufechten hatte: "Es gibt kein Fach in der Medizin, in dem Männer so viel Macht über Frauen haben wie in der Gynäkologie", beschreibt sie das Fach als den medizinischen Ort, an dem der Geschlechterkampf am härtesten geführt wird. In der Chirurgie seien Frauen ebenfalls sehr häufig mit subtiler Diskriminierung konfrontiert, da die Arbeitsbedingungen oft den weiblichen Verpflichtungen jenseits des OPs entgegenstünden: Frauen kümmern sich noch immer mehr um die Familie als Männer. Kaczmarczyk zitiert Astrid Bühren, die ehemalige Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes: "Kennen Sie einen Chefarzt, der seine Schwiegermutter pflegt?" Auch heute noch eine berechtigte Frage.
Frauen werde oftmals von männlichen Kollegen die Unterstützung bei der Besetzung des OP-Plans und der Durchführung von Operationen versagt. Das erschwere und verzögere den Weg zur Facharztprüfung. Zusätzlich würden sie subtil demoralisiert, indem sie sich Fragen nach ihrer Eignung gefallen lassen müssten.
Auf die Frage, ob sich denn in der Haltung der Kollegen etwas verändere, sagt Gabriele Kaczmarczyk: "Ja, bei den jungen Kollegen schon". Auch die Universitäten setzten mehr auf Frauenförderung in allen Fächern, es gebe Mentoring-Programme und Workshops zur Förderung weiblicher Führungskräfte. In den Kliniken selbst sieht sie keine wirkliche Verbesserung, im Gegenteil, die Arbeitsbedingungen verschlechterten sich. Viele junge Ärztinnen würden sich daher auch nicht auf Führungspositionen bewerben wollen. Dabei sei an Universitätskliniken mit weiblicher Leitung das Interesse und Bemühen groß, Frauen in Führungsrollen zu bringen.
Was rät Gabriele Kaczmarczyk jungen Ärztinnen, um wirksam strukturelle und subtile Diskriminierung zu eliminieren? "Mehr Selbstbewusstsein", sagt sie, "den Kollegen und dem Chef gegenüber, Bedingungen stellen, mehr verhandeln, Unterstützung einfordern; den eigenen Wert kennen und ihn auch ins Spiel bringen." Und Zusammenhalt. Frauen seien zwar gut in der Vernetzung, aber nicht so sehr darin, Seilschaften zu bilden, und die würden benötigt. "Ich sage immer, Vernetzen ist schön. Das ist wie eine Hängematte, in der man sich schaukelt. Da passiert aber nicht viel. Was Frauen brauchen, sind Seilschaften, bei denen die Eine die Andere hochzieht. Das fällt den Frauen noch schwer. Frauen denken immer, die Leistung zählt, aber die zählt doch überhaupt nicht. Was zählt, ist die Selbstdarstellung und der Bekanntheitsgrad. Da muss man eben mal in die Fakultätsratssitzung gehen, sich vorne hinsetzen und sich das anhören, was man interessant findet. Und dann wieder gehen. Das wirft Fragen auf, denn das wird alles beobachtet. Frauen müssen anders auftreten, Präsenz zeigen. Wenn sie die Rolle, die ihnen angeboten wird, einfach annehmen, ohne sie zu hinterfragen, geraten sie in eine Sackgasse."