esanum: Frau Prof. Wülfing, der Oktober ist Brustkrebsmonat, ursprünglich eine Aufklärungskampagne aus Amerika. Braucht Brustkrebs eigentlich mehr internationale Aufmerksamkeit?
Es gibt sehr viele Veranstaltungen und Kongresse weltweit, die Brustkrebs wissenschaftlich ins Visier nehmen: z.B. der Krebskongress im November, der Senologiekongress im nächsten Juli und der ASCO. Der für Brustkrebsspezialisten wohl wichtigste Kongress ist der SABCS in San Antonio.
esanum: Sie können sicher nicht überall sein – welcher Kongress und welche Fragen sind für Sie besonders wichtig?
Wo man selbst als Gynäkologin und Onkologin teilnimmt, hängt natürlich mit dem eigenen Schwerpunkt zusammen. Die deutschen Kliniken werden die Dinge eher auf dem DGGG und dem DGS präsentieren, die sie selbst erarbeitet haben. Ihre real life Daten sind total wichtig. Sie geben Aufschluss über den Einsatz und den Umgang mit den Substanzen im Alltag. Wir hatten in den letzten Jahren viele Neuzulassungen in der Senologie. Es geht um Immuntherapien, CDK4/6 Inhibitoren, PARP-Inhibitoren und neue Anti-Her2-Therapien. Das sind unsere Hoffnungsträger. Mit jeder Studie, jedem Datensatz, setzen wir das Therapie-Puzzle besser zusammen. Ich erwarte bei den nächsten Kongressen vor allem weitere Informationen zu den neueren Substanzen wie Subgruppenanalysen. Und Studien dazu, welche Patientinnen in welcher Reihenfolge sinnvoll zu behandeln sind.
esanum: Auf dem nächsten Senologiekongress werden Sie Ihre eigene DiGA PINK! Coach vorstellen. Worum geht es?
Der Senologiekongres ist der entscheidende Kongress für Senologen. Deshalb möchte ich dort natürlich unbedingt unsere PINK!-Daten vorstellen. Die Ergebnisse unserer Pilotstudie konnten wir bereits dieses Jahr beim Senologiekongress zeigen - wir haben dafür sogar einen Preis bekommen. Daher hoffe ich, dass wir im nächsten Jahr zusammen mit der Ludwig-Maximilians-Universität München die Daten unserer aktuellen Studie zeigen können, die aktuell an sieben Brustzentren angelaufen ist.
esanum: Was bietet Ihre DiGA PINK! Coach den Patientinnen?
Sie enthält die Bereiche Bewegung, Ernährung und mentale Gesundheit. Es gibt Tipps, wie zum Beispiel Bewegung hilft. Bewegung ist der Dreh- und Angelpunkt, gerade auch bei den Nebenwirkungen der Antihormontherapie. Auch Yoga und kognitive Verhaltenstherapie sind evidenzbasierte Dinge, die man tun kann. In der App ist auch ein Nebenwirkungschatbot integriert, der die Patientin darüber aufklärt, welche Beschwerden mit welchen (Vor-)Therapien zusammenhängen können, sodass sie diese besser einordnen kann. Und der den Patientinnen intelligente Tipps und Tricks an die Hand gibt.
esanum: Wie ist die Idee zu PINK! entstanden?
Sie entstand aus der Not der Patientinnen, die wir jeden Tag sehen. Schon zum Zeitpunkt der Diagnose fangen sie an, zu googlen, weil in den Kliniken und Praxen die Zeit fehlt, alle Fragen immer wieder im Detail zu beantworten. Die Patientin fragt sich: Was mache ich jetzt? Wie mache ich alles richtig? Nach der Therapie ist der Gedanke häufig: Ich will das nie wieder haben, ich will nie wieder krank sein. Und dann beginnt im Internet das Geschäft mit der Angst, entsprechende Ratgeber verkaufen sich gut. Die Patientinnen kaufen Kurkumakapseln, chinesische Heilpilze, Algenextrakt, Vitamincocktails: alles nicht evidenzbasiert und nicht sinnvoll. Und das ist der zweite Ansatzpunkt von PINK!. Wir wollen die Patientin an die Hand nehmen, ihr Sicherheit geben ihr Tag für Tag sagen, was sie für sich machen kann. Und das evidenzbasiert. Wir wollen, dass sie sich regelrecht gecoacht fühlt.
esanum: Welche Informationen sind in der Brustkrebs-Nachbehandlung für Hausärztinnen und Allgemeinmediziner relevant?
Hausärzte müssen hunderte Krankheiten überblicken. Da ist es eine große Herausforderung, auch beim Brustkrebs den Überblick zu haben. Wenn die Hausärztin weiß, was der Behandlungspfad ist beim Her2-positiven, beim triple-negativen und beim hormon-empfindlichen Brustkrebs, dann ist das sehr gut. Wenn man weiß, wie die Medikamente grob funktionieren und was sie an Nebenwirkungen machen, ist richtig viel gewonnen.
esanum: Steht die Nachbehandlung von Brustkrebs eher auf wackeligen Füßen?
Die meisten Brustzentren bieten keine Nachsorge an. Die hausärztliche, beziehungsweise fachärztliche Versorgung, funktioniert ganz anders als ein Zentrum. Hausärzte kennen die Familiensituation, die Vorerkrankungen, das Gesamtbild - aber Brustkrebsexperten können sie natürlich nicht sein. Wenn Patientinnen nicht mehr jeden Tag zur Untersuchung und Therapie im Zentrum sind, die Experten als Ansprechpartner wegfallen, entsteht der Eindruck: da passiert ja gar nichts mehr gegen meinen Krebs. Der Körper muss das jetzt allein schaffen. Eine Anti-Hormontherapie wird von der Patientin nicht als so wirksam wahrgenommen, weil sie denkt: die Chemotherapie ist vorbei, jetzt nehme ich nur noch so eine Tablette. Die wird häufig nicht als wirksame Therapie geschätzt.
esanum: Stichwort Hormontherapie - wie standardisiert ist die Verordnung? Halten sich alle an die Leitlinien?
Seit die Aromatasehemmer bei der postmenopausalen Patientin gesetzt sind, ist eigentlich immer nur die Frage: verträgt die Patientin sie oder muss man zu Tamoxifen wechseln oder fängt man gleich mit Tamoxifen an? Doch viel wichtiger als die Frage nach der Substanz ist, dass überhaupt die Anti-Hormontherapie erfolgt und durchgehalten wird. Da ist unsere ärztliche Aufklärung über die Bedeutung und Wirksamkeit entscheidend! Und eine gute Anleitung, wie man mit Nebenwirkungen klarkommen kann.
esanum: Macht ein Medikamentenwechsel Sinn, wenn die Nebenwirkungen zu stark sind?
Unbedingt! Die Aromatasehemmer bestehen nicht nur aus Wirkstoff, sondern auch aus Trägerstoffen. Und da habe ich festgestellt, dass eine Patientin mit einem Hersteller besser zurechtkam als mit einem anderen. In Zeiten von Rabattverträgen ist das manchmal schwierig durchzusetzen. Aber man kann z.B. immer überlegen, von den Aromatasehemmern auf Tamoxifen zu wechseln. Entscheidend ist, dass die Frau überhaupt etwas nimmt.
esanum: Gibt es Argumente für zweifelnde Patientinnen, die Sie hausärztlichen Kollegen empfehlen können?
Bei einer hormonempfindlichen Mammakarzinompatientin kann man für eine gute Prognose nichts Besseres als eine Anti-Hormontherapie geben - plus Bewegung, plus gute Ernährung. Bei unangenehmen Nebenwirkungen ist die Argumentation: Wir gucken uns das ein paar Wochen an und wenn es nicht geht, können wir auch über eine Pause reden und dann weiter schauen. Auch ein Substanzwechsel kann dazu führen, dass die Therapie besser vertragen wird. Wenn die Patientin merkt, dass Nebenwirkungen verschwinden, ist viel im Hinblick auf die Compliance gewonnen. Man kann der Patientin sagen: jede Woche, die Sie die Therapie nehmen, ist ein Gewinn für Sie. Und der Effekt hält auch nach Ende der Einnahme der Therapie noch lange an. Nach fünf Jahren Anti-Hormontherapie profitiert die Patientin bis zu zehn Jahren. Das ist ein sehr langfristiger Benefit.