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Begleitung am Lebensende heißt Sterbenden helfen

Ärzte sind fast immer beteiligt, wenn das Lebensende sich ankündigt. Dann geht es um Kommunikation, Mitgefühl und das Ausschöpfen aller sinnvoller Maßnahmen. Unsere Interviews geben persönliche Einblicke in den ärztlichen Alltag.

Sterbebegleitung ist nicht gleichbedeutend mit Sterbehilfe

Vor sechs Jahren habe ich meine Großmutter beim Sterben begleitet. Sie starb im Krankenhaus, wo ich mit ihr die letzten drei Nächte ihres Lebens verbrachte. In der ersten Nacht war sie noch wach, und wir sprachen über all die kleinen und großen Dinge, erinnerten uns an meine Kindheit, die Zeit, die wir miteinander verbracht haben und versicherten uns gegenseitig, dass wir immer aneinander gedacht hatten, in all den Jahren. In der zweiten Nacht verschlechterte sich ihr Zustand und sie realisierte, dass sie sterben würde. Wir wussten, dass wir Abschied nehmen mussten. Sie bat mich, sie nicht allein zu lassen, und natürlich blieb ich bei ihr, hielt ihre Hand, strich ihr die Haare aus dem Gesicht und tupfte Wasser auf ihre Lippen. Das war die Unterstützung, die ich ihr geben konnte. Irgendwann schlief sie ein und sollte nicht wieder zu Bewusstsein kommen. Noch die ganze nächste Nacht war ich dort. Ich saß an ihrem Bett und versuchte, jede kleinste Regung ihres Gesichts zu lesen. Hatte sie Schmerzen? Musste sie umgelagert werden? Von Zeit zu Zeit kam die Nachtschwester und sah nach dem Rechten. Ich verstand, dass sie ihr Möglichstes tat, aber ich sah auch, dass meine Großmutter immer wieder unruhig war und das Gesicht verzog. Sie starb schließlich am frühen Morgen. Es war kein sanfter, kein friedlicher Tod. Ich wusste, dass sie lieber zu Hause gestorben wäre und ich wünschte, ich hätte ihr das ermöglichen und die letzten Momente leichter machen können.

COVID-19 hat unser Verhältnis zum Sterben verändert

Damals ahnte ich noch nicht, dass ich mich mit dem Thema auch beruflich beschäftigen würde. Für mich war der Tod meiner Großmutter ein persönliches, ein privates Ereignis. Spätestens mit COVID-19 wurden Sterben und Begleitung am Lebensende aber zu einer öffentliche Angelegenheit. Plötzlich war der Tod auch in Europa wieder mitten im Leben angekommen. Er konnte nicht mehr in diskrete Räume verbannt und verdrängt werden. Menschen verloren ihre Angehörigen, ohne sich verabschieden zu können, Menschen starben in Krankenhäusern. Sie starben auf Quarantänestationen, in Altersheimen, und sie hatten niemanden an ihrem Bett sitzen, der ihre Hand halten und ihnen die Angst nehmen konnte. Die Politik sprach vom Sterben, die Wissenschaft lieferte Zahlen, Pflegepersonal kam in den Medien zu Wort. Der Tod wurde so allgegenwärtig wie viele es noch nie zuvor erlebt hatten. Natürlich gibt es Palliativversorgung, ambulante Hospizdienste, stationäre Hospize und die Diskussion um aktive und passive Sterbehilfe oder assistierten Suizid schon viel länger als die Pandemie. Sie hat das Sterben aber wieder sichtbar und bewusst gemacht. Den meisten Menschen wurde im Laufe der letzten zwei Jahre irgendwann klar, dass es jeden jederzeit treffen kann. 

Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, dem letzten Lebensabschnitt auch redaktionell einen größeren Raum zu geben und Ärztinnen und Ärzte aus der Schweiz, Frankreich, Italien und Deutschland zu Wort kommen zu lassen, die aus ganz unterschiedlichen Perspektiven über ihre Arbeit mit Menschen am Lebensende berichten. Allen gemein ist eine persönliche Perspektive, sei es eine Situation oder Entscheidung, die sie an ihre Grenzen brachte, die berufliche Konfrontation mit Angehörigen oder das Sterben einer nahestehenden Person. 

Medizinische, ethische und menschliche Aspekte sind vielfältig und komplex

Das Thema Begleitung am Lebensende ist so natürlich und unumgänglich wie komplex. In einer hochtechnisierten, gesetzlich gerahmten und medial vermittelten Realität gibt es keine einfachen Standpunkte und nur in den seltensten Fällen ein einfaches Sterben. Wir sind mit einer alternden Gesellschaft konfrontiert, die gleichzeitig immer weniger Möglichkeiten für privaten Rückzug und häusliche Pflege bietet. Aber auch junge Menschen leiden an lebensbedrohlichen Erkrankungen, und das macht den Umgang mit dem bevorstehenden Tod nicht leichter. Ärztinnen und Ärzte sind fast immer beteiligt, wenn das Lebensende sich ankündigt. Dann geht es um Kommunikation, Mitgefühl und das Ausschöpfen aller sinnvollen Maßnahmen, um das Leben so lebenswert wie möglich zu erhalten und Sterbenden die beste Versorgung und Unterstützung zu geben.

Es geht aber auch um die Frage, wann die sinnvollste Maßnahme eben genau die Einstellung derselben ist - und um die Verteilung von Verantwortung auf Patienten, Pflegepersonal und Ärzte. Besonders hinsichtlich eines selbstbestimmten Todes gibt es weltweit unterschiedliche Rahmenbedingungen und Gesetzeslagen. Auch die ethischen Positionen sind vielfältig, und selbst diejenigen, die Sterbehilfe in jeglicher Form ablehnen, wollen Sterbenden helfen. Unsere Interviewpartner gehen auf diese Besonderheiten ein, erklären, was ihrer Meinung nach ein guter Weg sein könnte, wo Handlungsbedarf besteht und mit welchen gesetzlichen, fachlichen und emotionalen Herausforderungen Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz, Frankreich, Italien und Deutschland konfrontiert sind. 

Junge Ärztinnen und Ärzte sollten auf belastende Situationen vorbereitet werden

Diese Beitragsserie soll vor allem Mut machen, sich mit dem Sterben zu beschäftigen, damit die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten und die gemeinsame Bewältigung dieser Lebensphase gelingen kann. In allen Interviews, die wir führten, wurde betont, wie wichtig es ist, sich diesem Thema anzunehmen. Denn es ist schwierig, ein Sterbezimmer zu betreten oder Gespräche mit Angehörigen zu führen. Immer noch wird dies in der medizinischen Ausbildung zu wenig behandelt, und junge Ärztinnen und Ärzte werden mit Situationen konfrontiert, auf die sie nicht ausreichend vorbereitet wurden. Das sollte sich ändern. Denn gut informiert und geschult zu sein, heißt auch, gut helfen zu können.