Diabetes verkürzt Lebenszeit erheblich Logo of esanum https://www.esanum.de

Herausforderung Diabetes-Therapie im Alter

Ein großes Problem bei geriatrischen Diabetespatienten: die Multimorbidität. Wie kann sie verhindert werden? Die S2K-Leitlinie "Diabetestherapie im Alter" beschäftigt sich mit den verschiedenen Komorbiditäten. Ein Überblick.

Multimorbidität spielt wichtige Rolle bei Diabetes-Therapie im Alter

Ein großes Problem der Diabetestherapie im Alter ist die Multimorbidität der Patienten. Das Management kardiovaskulärer Risikofaktoren bei Diabetes ist neben der Einstellung der Blutglukosewerte essentiell. Der geriatrische Diabetespatient sollte als Ganzes - mit all seinen Erkrankungen - betrachtet werden. Bahrmann stellte bei der Diabetes-Herbsttagung 2022 die wichtigsten Komorbiditäten vor:

Erhebliche Verkürzung der Lebenszeit durch Diabetes mellitus

Eine amerikanische Forschungsgruppe um Narayan zeigte bereits 2003, dass Diabetes die Lebenszeit erheblich verkürzt. Für im Jahr 2000 geborene Personen lag das geschätzte Lebenszeitrisiko, an Diabetes mellitus zu erkranken bei 38,5% für das weibliche und bei 32,8% für das männliche Geschlecht. Bei Frauen konnte durch alle Altersgruppen hinweg ein erhöhtes Restrisiko beobachtet werden. Die Verkürzung der Lebenszeit lag für Frauen - bei denen ein Diabetes mellitus im Alter von 40 Lebensjahren diagnostiziert worden war - bei 14,3 Jahren. Für Männer hingegen betrug die Lebenszeitverkürzung 11,6 Jahre, wenn bei ihnen der Diabetes im Alter von 40 Jahren entdeckt worden war.

Bahrmann betonte, dass Frauen bzw. Männer, bei denen in der Studie ein Diabetes im Alter von 70 diagnostiziert worden war, dennoch eine mittlere Lebenserwartung von rund 11 bzw. 10 Jahren hatten. Aus diesem Grund sollte eine korrekte Einstellung der Blutglukosewerte auch beim geriatrischen Patienten erfolgen. In der Zeitspanne -von rund 10 bis 11 Jahren- könnten diabetische Komplikationen, sowie Folgeerkrankungen wie z.B. eine schmerzhafte Polyneuropathie auftreten.2,5

HbA1c-Zielbereich im Alter

Bahrmann legte besonderen Wert auf die Definition des HbA1c-Zielbereiches. Der Zielbereich sei für die Blutglukoseeinstellung im Alter zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der damaligen evidenzbasierten Leitlinie (2004) noch nicht in Studien geklärt worde. Die Leitlinie beruhte auf Expertenenempfehlungen, die einen Zielwert des HbA1c im Alter von 7-8% vorschlugen. Eine später im "The Lancet" publizierte Studie bei jüngeren Diabetikern konnte eine Übersterblichkeit für folgende Situationen aufzeigen:

Die besagte Interventionsstudie der Forschungsgruppe um Currie hatte das Überleben in Abhängigkeit vom HbA1c-Wert bei Typ-2-Diabetikern (≥ 50 Lebensjahre) untersucht. Sie konnten eine erhöhte Gesamtmortalität und ein vermehrtes Auftreten kardialer Ereignisse bei zu niedrigen und hohen mittleren HbA1c-Werten beobachten. Bahrmann betonte, dass die Interventionsstudie die damalige Expertenenempfehlungen (mit dem Zielbereich des HbA1c im Alter von 7-8 %) bekräftigte.2,6

Was raten die Leitlinien zur Diabetestherapie im Alter?

Bahrmann stellt in ihrem Vortrag dem Auditorium folgende Frage: "Wohin geht der Weg bei Multimorbidität? Was sagen die Leitlinien dazu?". Zur Beantwortung dieser Frage zog sie verschiedene Leitlinien heran. Bei der Diabetestherapie im Alter sollte der behandelnde Arzt nicht nur das chronologische Alter, sondern auch die Funktionalität der Patienten beachten. Vor allem auf kognitive Defizite müsste hier geachtet werden, da sie ein Problem bei der Insulintherapie darstellen würden. In der S2k-Leitlinie Diabetes mellitus erfolgte daher eine Neueinteilung der Patienten für die Therapieplanung:

Bahrmann stellte dem Auditorium die aktuellen Praxisempfehlungen der DDG vor. Die Therapieziele richteten sich auch hier nach der Funktionalität der Patienten. Die Zielbereiche für den HbA1c wurden als "Korridore nach Funktionalität unter strikter Vermeidung von Hypoglykämien" dargestellt:

Individueller Therapieziele und begrenzte Aussagekräftigkeit des HbA1c-Wertes im Alter

Bahrmann sprach in ihrem Vortrag die Vereinbarung individueller Therapieziele an. Der angestrebte HbA1c-Zielwert hänge Bahrmann zufolge vom Alter, vom körperlichen Zustand, von Begleiterkrankungen, von der Therapieadhärenz und Notwendigkeit einer Therapieeskalation ab. Bei der Individualisierung der HbA1c-Ziele sollte immer auch eine individuelle Nutzen-Schadens-Abwägung erfolgen. Wichtig war Bahrmann, dass der HbA1c-Wert im Alter und auch bei eingeschränkter Nierenfunktion nur eine begrenzte Aussagekräftigkeit besäße. So könnte er "falsch" hoch sein bei z.B. Eisenmangel-, Infekt- und Tumoranämie, bei terminaler Niereninsuffizienz und auch nach Organtransplantation. "Falsch" hohe Werte hingegen könnten bei erhöhtem Erythrozyten-Turnover, bei Folsäuremangel, bei hämolytischer Anämie und nach Bluttransfusion auftreten.2

Quellen:
  1. https://www.diabinfo.de/leben/diabetes-im-alltag/alter-und-pflege.html
  2. Bahrmann, Anke, PD Dr. med., Leitlinie Diabetes im Alter- was für Ziele raten NVL, S2k- Leitlinie und
    Praxisempfehlungen? Therapie des Diabetes mellitus im Alter, RheinMain CongressCenter Wiesbaden, 26.11.2022, 09:00 - 10:30 Uhr.
  3. S2k-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Verlaufskontrolle des Diabetes mellitus im Alter. 2. Auflage AWMF-Registernummer: 057-017.https://www.ddg.info/fileadmin/user_upload/05_Behandlung/01_Leitlinien/Evidenzbasierte_Leitlinien/2018/LL_Alter_Gesamtdokument_20180713.pdf
  4. https://www.leitlinien.de/themen/diabetes
  5. Narayan K. M. et al. Lifetime risk for diabetes mellitus in the United States. JAMA. 2003 Oct 8;290(14):1884-90. 
  6. Currie C. J. et al. Survival as a function of HbA(1c) in people with type 2 diabetes: a retrospective cohort study. Lancet. 2010 Feb 6;375(9713):481-9.
  7. Zeyfang et al. Praxisempfehlungen der DDG. Diabetologie 2022.