Die am Donnerstag von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vorgestellte Digitalisierungsstrategie 2030 für das Gesundheitswesen ist auf ein beachtliches Echo gestoßen und war am Donnerstagabend und Freitag Top-Thema in den deutschen Leitmedien. Die Kommentierung fiel allerdings kontrovers aus: "Digitalisierung rettet Leben", meinte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Gut, dass er loslegt", lobte die "Süddeutsche Zeitung", während Springer-Medien wie "Welt" und "Morgenpost" die Schaffung des "gläsernen Patienten" und einen "Zwang zur Digitalisierung" durch die geplante Opt-Out-Regelung kritisierten.
Auch bei den Organisationen im Gesundheitswesen fielen die Positionierungen unterschiedlich aus. Die Bundesärztekammer bewertet die Zielsetzung der Strategie als durchaus sinnvoll, vor allem, wenn dabei auf den medizinischen Nutzen abgezielt wird, vermisst aber eine ausformulierte Umsetzungsstrategie. Die Opt-Out-Regelung erfordere Vertrauen der Bürger und eine praktikable Umsetzung von Widerspruchsmöglichkeiten. Die BÄL bezweifelt, ob die Umwandlung der gematik in eine staatliche Digital-Agentur dabei helfen wird, die bisherigen Probleme zu lösen.
Die KBV warnt vor einer überhasteten Umsetzung von digitalen Anwendungen, ohne Ziele, Abläufe, geschweige denn die Versorgungsrealität in den Praxen ausreichend einzuplanen. Die verpflichtende Einführung der ePA ab dem 1. Juli 2022 hält die KBV für unrealistisch. Die ePA sei zu wichtig, als dass durch ein unausgereiftes Produkt ein wichtiges Instrument bei Ärzten und Patienten beschädigt werden dürfe. Die KBV sei aber zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) "unterstützt die Kernpunkte der Digitalisierungsstrategie ausdrücklich“. Das gilt auch für die Opt-Out-Regelung. Es sei zu begrüßen, dass Gesundheitsdaten nicht nur der ePA, sondern auf der Basis des Gesundheitsdatennnutzungsgesetzes auch aus anderen Quellen (Register) für Forschungszwecke genutzt werden können und damit ein nationaler Datenraum entstehe. Eindringlich mahnt die DKG aber auch einen Plan zur Finanzierung des Digitalisierungsprozesses an.
Die Deutsche Hochschulmedizin begrüßt, dass mit Lauterbachs Strategie "neuer Schwung" in den Digitalisierungsprozess kommt. "Die ePA wird uns helfen, Patienten besser zu versorgen. Gleichzeitig werden wir so umfassend wichtige Versorgungsdaten für die Forschung nutzen können", sagte Professor Jens Scholz, Vorsitzender des Verbandes der Universitätsklinika. Grundlage für regionale Versorgungsnetzwerke, die von den Universitätsklinika koordiniert werden, sei eine starke IT-Infrastruktur in den Level 3U-Krankenhäusern. Die ePA sei dazu allerdings nur ein erster Schritt.
Auch der Medizinische Fakultätentag (MFT) unterstützt die BMG-Strategie "mit Nachdruck": Sie baue bürokratische Hemmnisse ab und stelle Forschung für Patienten auf eine neue Grundlage, so MFT-Präsident Professor Matthias Frosch. Von herausragender Bedeutung sei, dass datenschutzrechtliche Bürokratie im föderalen System abgebaut werde, ohne Patientenrechte zu verletzen.
Die Strategie des BMG setze die „richtigen Impulse“, sagt der Vorsitzende des Bundesverbandes Managed Care, Professor Lutz Hager. Der Perspektivwechsel weg von technologischen Fragen hin zu nutzenstiftenden Anwendungen sei für alle im Gesundheitswesen Tätigen und Patienten ein "entscheidender Fortschritt". Insbesondere die vom BMC geforderten digitalen DMPs bergen ein "immenses Potential für eine qualitativ bessere und effizientere Versorgung von 7,8 Millionen Patienten".
Durchweg zustimmend sind auch die Statements der Krankenkassen. Das gilt insbesondere mit Blick auf das geplante Opt-Out-Verfahren für die ePA. Das sei eine notwendige Voraussetzung dafür, dass sich die ePA flächendeckend etablieren könne und genutzt werde, heißt es in einer Erklärung des vdek. Wichtig sei, dass die ePA auch regelmäßig von Ärzten, Krankenkassen, Apothekern und anderen Leistungserbringern befüllt werde. Benutzerfreundlichkeit und Anwendung müssten daher vereinfacht werden. Auf Kritik stößt hingegen die geplante Verstaatlichung der gematik: "Der Staat bestimmt und die GKV bezahlt – so geht das nicht", sagte Dr. Jörg Meyers-Middendorf vom vdek-Vorstand.
Positiv haben auch die Verbände der pharmazeutischen Industrie reagiert. Das gilt insbesondere für den bislang verwehrten Zugang zu pseudonymisierten Gesundheitsdaten für Forschungszwecke. Es wird anerkannt, dass die SPD-geführte Gesundheitspolitik in diesem Punkt einen Paradigmenwechsel vollziehen will. Insbesondere werden von der Industrie auch die Möglichkeiten der Verknüpfung von Daten aus verschiedenen Quellen gewürdigt. In den vergangenen Jahren ist Deutschland als Standort klinischer Prüfungen im internationalen Vergleich, auch innerhalb Europas, deutlich zurückgefallen, zum Teil aus Datenschutzgründen, zum Teil wegen eines extrem bürokratischen Prozederes bei der Genehmigung klinischer Prüfungen durch Ethikkommissionen.
Bei Gesamtausgaben von 289 Milliarden Euro (plus 4,4 Prozent) haben die Krankenkassen das Jahr 2022 mit einem Überschuss von 451 Millionen Euro abgeschlossen. Zum Jahresende betrugen die Finanzreserven der Kassen noch 10,4 Milliarden Euro, das Zweifache der gesetzlichen Mindestreserve. Der Gesundheitsfonds verbuchte einen Überschuss von 4,3 Milliarden Euro, so dass dessen Liquiditätsreserve auf 12 Milliarden Euro stieg. Ursächlich ist eine stärkere Erhöhung der Beitragseinnahmen, als es der Schätzerkreis prognostiziert hatte. Allerdings werden aufgrund der Bestimmungen des GKVFinG in diesem Jahr 4,7 Milliarden Euro aus dieser Reserve den Kassen extra zufließen.
Die Entwicklung 2022 war im dritten Jahr stark von der Corona-Pandemie bestimmt: Über den Gesundheitsfonds finanzierte der Bund pandemiebedingte Ausgaben für Impfungen und Tests in einem Volumen von 21,4 Milliarden Euro.
Die regulären Leistungsausgaben der Kassen stiegen um 4,3 Prozent. Überproportional wuchsen die Ausgaben für Schutzimpfungen (14,6 Prozent, ohne Corona-Schutzimpfungen, die vom Bund gesondert finanziert wurden), Fahrtkosten (11 Prozent) sowie für Vorsorge- und Reha-Leistungen (10,7 Prozent). Der Anstieg der Ausgaben für Heilmittel von sieben Prozent wird auf Vergütungsveränderungen zurückgeführt. Leicht über dem Durchschnitt der Gesamtausgabenentwicklung liegen die Ausgaben für Arzneimittel mit 43,8 Prozent; das BMG hofft nun darauf, dass die Instrumente des GKVFinG die Dynamik bremsen wird. Deutlich unter dem Durchschnitt liegen die Ausgaben für ärztliche Behandlung mit 3,4 Prozent und für Krankenhausbehandlung mit 2,8 Prozent. Bei den Kliniken sei dies auf eine stagnierende oder sogar rückläufige Mengenentwicklung zurückzuführen.
Maßgeblich stabilisiert wurde die Finanzlage der Krankenkassen durch einen ergänzenden Bundeszuschuss in Höhe von 14 Milliarden Euro, der zusätzlich an den Gesundheitsfonds gezahlt wurde und der 2023 nicht mehr zur Verfügung steht. Zusammen genommen mit den Erstattungen des Bundes im Rahmen der Pandemie leisteten die Steuerzahler damit im vergangenen Jahr einen Beitrag von rund 50 Milliarden Euro für die finanzielle Stabilisierung des Gesundheitswesens.
Nordrhein-Westfalen, Bayern und Schleswig-Holstein haben den Augsburger Staatsrechtler Professor Ferdinand Wollenschläger mit einem Gutachten beauftragt, mit dem die Grundgesetzkonformität der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geplanten Krankenhausreform überprüft werden soll. Es geht um die Frage, inwieweit die mit den 5 Versorgungslevels (1i, 1n, 2, 3 und 3 U) in der Bundesgesetzgebung vorgeschriebenen Zuordnung von insgesamt über 120 Leistungsbereichen verfassungsrechtlich unzulässig in die Länderhoheit für die Krankenhausbedarfsplanung eingreifen könnte. Schon in der letzten Beratungsrunde der Bund-Länder-Kommission für die Klinikreform zeichnete sich deutlich ab, dass es bei der Zuordnung von Levels und Leistungsbereichen Öffnungsklauseln geben soll. Dabei existieren allerdings kontroverse Auffassungen darüber, ob und wie präzise und abschließend solche Öffnungsklauseln in einem Bundesgesetz definiert werden könnten und damit die Freiheitsgrade der Länder eingeengt werden oder ob Abweichungen von bundeseinheitlichen Vorgaben allein nach den Vorstellungen der Länder möglich sein sollen.
In der Tarifauseinandersetzung um die Gehälter der Ärzte an kommunalen Krankenhäusern hat der Marburger Bund seine Mitglieder zu ganztägigen Warnstreiks am 21. Und 30. März aufgerufen. Zentrale Kundgebungen sind zuerst in Hamburg, dann in München geplant. Nach zwei Verhandlungsrunden hätten die Arbeitgeber keine Bereitschaft gezeigt, konstruktiv eine Einigung im Tarifkonflikt anzustreben. Der Marburger Bund fordert ab dem 1. Januar 2023 einen Inflationsausgleich ab der letzten Gehaltserhöhung im Oktober 2021 sowie darüber hinaus eine lineare Erhöhung der Gehälter um 2,5 Prozent. Die Arbeitgeber haben kein Gegenangebot vorgelegt. Betroffen sind etwa 55.000 Klinikärzte.
Nach einer Umfrage des Medizinischen Fakultätentages hat die Zahl der geförderten WissenschaftlerInnen in der Medizin einen neuen Höchststand erreicht. Grund dafür sind Förderprogramme, die dem wissenschaftlichen Nachwuchs eine Berufsausübung ermöglicht, die die Forschung mit der klinischen Tätigkeit der Ärztinnen und Ärzte ermöglicht. Nahezu alle Fakultäten hätten diese Förderprogramme etabliert.
Gleichwohl sieht der Fakultätentag noch Handlungsbedarf: Die Landesärztekammern müssten die Forschungszeit im Rahmen der fachärztlichen Weiterbildung anerkennen; möglich sei dies bislang auf Basis der geltenden Weiterbildungsordnungen nur an einem Drittel der Universitätsstandorte. Ferner müsse die Finanzierung der Clinical Scientists-Programme verstetigt und konsolidiert werden. Es sei zu befürchten, dass kurzfristige Sparmaßnahmen zu Lasten solch langfristig wirkender Programme gingen.
Prof. Dr. med. Dr. phil. Eva Winkler ist neue Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission (ZEKO) bei der Bundesärztekammer. Sie löst Prof. Dr. jur. Jochen Taupitz ab, der auf eigenen Wunsch aus dem Amt schied. Taupitz war Gründungsmitglied der ZEKO. Stellvertretender Vorsitzender der Kommission wurde Prof. Dr. phil. Dirk Lanzerath. Weitere Vorstandsmitglieder sind Prof. Dr. jur. Volker Lipp, Prof. Dr. med. Dr. phil. Sabine Salloch und Prof. Dr. med. Jan Schildmann.