Wichtigste Entscheidungen aus der Gesundheitspolitik: KW 25 Logo of esanum https://www.esanum.de

Wochenrückblick Gesundheitspolitik: Wichtigste Entscheidungen aus KW 25

Entscheidungen aus der Politik, Umfrage-Ergebnisse und Neuigkeiten aus der medizinischen Forschung: Was waren die wichtigsten gesundheitspolitischen Entscheidungen in Kalenderwoche 25?

Bundestag beschließt Lieferengpass-Gesetz 

Der Bundestag hat am 23.06. das Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln (ALBVVG) beschlossen. Sowohl in der Industrie als auch bei Krankenkassen ist das Gesetz in seiner Wirksamkeit umstritten. Die wichtigsten Regelungen im Einzelnen:

  • Für Kinderarzneimittel werden die Festbeträge abgeschafft; Hersteller können ihre Preise einmalig um bis zu 50 Prozent erhöhen; künftig dürfen keine Festbetragsgruppen mehr mit Kinderarzneimitteln gebildet werden.
  • Bei Rabattverträgen für Antibiotika müssen im Rahmen der Ausschreibungen Wirkstoffhersteller in der EU berücksichtigt werden.
  • Für die Zuzahlungsbefreiung bei festbetragsgerelten Arzneimitteln reicht es künftig, wenn der Preis um 20 und nicht mehr 30 Prozent unter dem Festbetrag liegt.
  • Bei Nichtverfügbarkeit eines Generikums dürfen Apotheker ein wirkstoffgleiches anderes abgeben; sie und der Großhandel erhalten für den Austausch einen Zuschlag; müssen statt einer Großpackung mehrere Kleinpackungen an den Patienten abgegeben werden, erhöht dies die Zuzahlung nicht.
  • Für versorgungskritische Arzneimittel können Preis/Festbetrag im Fall einer Marktverengung einmalig um 50 Prozent angehoben werden.
  • Für Rabattarzneimittel wird eine sechsmonatige Bevorratung vorgeschrieben. Auch Krankenhausapotheken müssen ihre Vorräte an parenteral anzuwendenden Arzneimitteln und Antibiotika zur intensivmedizinischen Versorgung entsprechend aufstocken. Das gilt auch für Krebsarzneimittel, die von Apotheken als Zubereitung in der Krebstherapie angewendet werden, wenn ein Engpass absehbar wird. 
  • Das BfArM erhält zusätzliche Informationsrechte gegenüber Herstellern und Klinikapotheken. Es wird ein Frühwarnsystem zur besseren Erkennung von Lieferengpässen eingerichtet.
  • Die Regeln zur Preisbildung von Reserveantibiotika werden so angepasst, dass Anreize zur Entwicklung für die Hersteller entstehen.

Weitere Regelungen in diesem Gesetz:

  • Die telefonische Krankschreibung wird wieder möglich, wenn der Versicherte dem Arzt bekannt ist und es sich nicht um eine schwere Symptomatik handelt. 
  • Notfallsanitäter dürfen Betäubungsmittel nach standardisierten ärztlichen Vorgaben verabreichen, wenn dies bei Unfällen zur akuten Schmerzbehandlung notwendig ist und kein Arzt greifbar ist.
  • Drugchecking: Es werden Modellvorhaben gestartet, um Drogennutzer besser aufzuklären und zu beraten sowie den Schaden von Drogengebrauch einzudämmen.

Der Branchenverband Pro Generika hält das Gesetz für wenig wirksam, in Teilen sogar kontraproduktiv: Letzteres gelte für die wenige Tage vor Verabschiedung eingefügte Verpflichtung zum Aufbau von Sechs-Monats-Vorräten; die ohnehin schon limitierten Kapazitäten würden damit weiter gestresst. Lieferengpässe seien nicht Mangel an Vorräten entstanden, sondern aufgrund nicht mehr vorhandener Produktionsapazitäten. Von den Preislockerungen sei insgesamt nur ein Prozent der Generika betroffen. Auf diese Weise werde die Abhängigkeit von China nicht oder nur halbherzig reduziert. Der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen mahnt eine Strategie an und fordert, Lieferketten einem Stresstest zu unterwerfen, die Diversifikation der Produktionsstrukturen zu fördern und strategische Produktionsreserven zu schaffen. Längerfristig könnten auch die heute noch patentgeschützten Arzneimittel, für die keine Engpässe bestehen, knapp werden, wenn der Patentschutz abläuft. 

Die Ersatzkassen begrüßen zwar die verbesserte Transparenz, befürchten allerdings aufgrund der Modifikationen der Festbeträge und Rabattverträge Mehrkosten "in Milliardenhöhe". Allein aus den Rabattverträgen ziehen die Kassen mehr als fünf Milliarden Euro an Rückerstattungen. 

Lauterbach legt Pläne für Gesundheitskioske vor

Das Bundesgesundheitsministerium hat kurz vor dem Start in die parlamentarische Sommerpause einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune (GVSG) vorgelegt. Kommunen und Krankenkassen sollen danach Gesundheitsregionen bilden, innerhalb derer in sozial benachteiligten Regionen/Stadtteilen Primärversorgungszentren (Gesundheitskioske) eingerichtet werden können. Ferner sollen die Länder über die Zulassungsausschüsse mehr Einfluss auf die vertragsärztliche Versorgung erhalten. Drei Viertel der Kosten der Gesundheitskioske – laut Referentenentwurf rund 400.000 Euro jährlich – sollen die Kassen übernehmen, den Rest die Kommunen. Das sieht die GKV eher kritisch. Von Ärzteseite wird die Ausgestaltung dieser Pläne kritisch gesehen – sie befürchten den Aufbau einer neuen Versorgungssäule und zusätzliche Schnittstellen, die die Versorgung eher erschweren und komplizierter machen. 

Dabei gibt es Projekte des GBA-Innovationsfonds, die sich bewährt haben und gerade in sozialen Brennpunkten durch niedrigschwellige Angebote die Versorgung vulnerabler Gruppen verbessern können. Ein Beispiel ist ein Projekt, das in Hamburg-Billstedt gemeinsam mit einem Netzwerk von Haus- und Fachärzten organisiert worden war. 

Mit dem geplanten Gesetz sollen außerdem Beteiligungsrechte im Gemeinsamen Bundesausschuss erweitert werden: für die Patienten, durch die Einbindung der Pflegeberufe in sie betreffende Angelegenheiten sowie für wissenschaftliche Fachgesellschaften und Hebammen.      

BfArM wird Zentralstelle für Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erhält eine neue und für die Forschung mit Gesundheitsdaten zentrale Aufgabe: Dort soll eine nationale Koordinierungsstelle für die gesamten Gesundheitsdaten aufgebaut werden. Diese Daten befinden sich etwa in den Krebsregistern der Länder oder in der elektronischen Patientenakte (ePA), die noch im Entstehen ist. Über diese Koordinierungsstelle sollen Daten leichter auffindbar und zugänglich werden. Der Kreis der möglichen Nutzer ist weit gezogen und umfasst neben Ärzten und Wissenschaftlern auch die industrielle Forschung.

Dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung soll dadurch Rechnung getragen werden, dass Patienten der Nutzung ihrer (anonymisierten) Daten widersprechen können (Opt-out-Regelung). Eine zentrale Rolle dabei spielt die ePA, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit Nachdruck vorantreiben will. Diese soll GKV-Versicherten nun ab dem 15. Januar 2025 zur Verfügung stehen. Patienten sollen dabei auch einen Anspruch haben, ausgewählte alte Daten in die Akte aufnehmen zu lassen. Zuständig dafür ist die jeweilige Krankenkasse. Die Krankenkassen weisen kritisch auf den enormen Aufwand für die Kassen hin, die sich diese Daten bei Ärzten und in Kliniken beschaffen müssten. Das von Lauterbach angepeilte Ziel ist, dass im Lauf des Jahres 2025 80 Prozent aller Versicherten über eine ePA verfügen.

Uneingeschränkte Zustimmung zu Lauterbachs Digitalisierungs- und Versorgungplänen kommt nur vom Bundesverband Managed Care: "Mit den vorgelegten Entwürfen kündigt sich ein großer Schritt nach vorn für die Weiterentwicklung der Versorgung an", so der BMC-Vorstandsvorsitzende Professor Lutz Hager. Seine Organisation werde auf die Fortsetzung des eingeschlagenen Weges drängen.

KBV warnt vor eRezept ab Januar 2024

Die KBV warnt vor dem Hintergrund noch nicht geklärter möglicher technischer Probleme vor einer überhasteten Einführung des eRezepts ab Jahresanfang 2024. Ein Test, ob das eRezept tatsächlich funktionstüchtig ist, habe es in den Apotheken bislang nicht gegeben. Man dürfe nicht außer Acht lassen, dass es sich um eine Massenanwendung mit rund 480 Millionen Rezepten jährlich zu tun habe, warnt KBV-Vorstand Dr. Stephan Hofmeister. Es sei überdies ein Unding, Ärzten Verpflichtungen und Sanktionen aufzuerlegen, die sie nicht beeinflussen könnten.