Die Einen bemängeln die Unabhängigkeit medizinischer Informationen und Forschung, die Anderen sehen mit der Verpflichtung zur Erklärung von Interessenskonflikten und der Aufdeckung geflossener Geldbeträge die Angelegenheit als ausreichend offengelegt. Doch wie unabhängig können medizinische Bildung und Praxis überhaupt sein? Würden ohne Sponsoring die Teilnahmekosten für Weiterbildungen und Kongresse nicht exorbitant in die Höhe schnellen? Welche Konzepte wären darüber hinaus denkbar, die Unterstützung seitens der Pharmaindustrie gerade für die Forschung und die Kongressausrichtung gerechter zu verteilen? Der Urologe Dr. Christoph Pies wagt einmal gemeinsam mit der esanum-Redaktion einen hörbaren Gedankenaustausch und den Blick in die Zukunft ärztlicher Weiterbildung.
Der Transparenz-Codex, den sich die Pharmaindustrie vor einigen Jahren selbst auferlegt hat, sorgt seitdem dafür, dass fließende Geldmittel für Vortragstätigkeiten oder auch die Höhe des Kongress-Sponsorings für jeden nachvollziehbar und klar einsehbar sind.
Doch bedeutet das Wissen über die Höhe eines Sponsorings keineswegs Unabhängigkeit, oder? Auf der anderen Seite wird aber ebenso deutlich, dass viele verschiedene Firmen ihre jeweiligen Interessen auf Kongressen und Fortbildungsveranstaltungen die Fördertöpfe füllen und sich ihre Interessen damit auch gegenseitig neutralisieren. Doch bedeutet das Sponsoring von Seiten vieler Firmen Neutralität und Unabhängigkeit?
Häufig fallen gerade Forschungsfelder, die keinen großen monetären Rückhalt seitens der Pharmaindustrie genießen – weil zu wenig lukrativ –, durch das Raster. So werden z. B. Themen rund um die Onkologie oder moderne bildgebende Verfahren überproportional auf Kongressen abgebildet, während Themen wie Harninkontinenz oder Psychosomatik aufgrund einer geringeren Zahl oder fehlender Sponsoren deutlich unterrepräsentiert sind. Auf diese Weise bildet ein Kongress "unfreiwillig" nicht die tatsächliche Praxiserfahrung vieler Kolleginnen und Kollegen ab.
Stattdessen könnten Kongress-Sponsoren zukünftig auch gemeinsam in einen Fördertopf einzahlen, aus dem anschließend die Gelder für die Kongressausrichtung entnommen sowie Vortragshonorare und Forschungspreise finanziert würden.
Dadurch wäre es möglich, dass eben doch auch unterrepräsentierte Themen und Forschungsansätze sichtbarer werden und so ein großer medizinischer Kongress etwas näher an der tagtäglichen Versorgungspraxis wäre – ein Vorteil nicht nur für die Ärztinnen und Ärzte, sondern insbesondere auch für deren Patientinnen und Patienten.
Der Urologe Dr. Christoph Pies studierte Medizin in Bochum und Düsseldorf. Nach der Facharztausbildung und seiner Oberarzttätigkeit arbeitete er viele Jahre als niedergelassener Urologe. Bereits seit 2017 ist er neben der Patientenversorgung ebenso als Buchautor, Berater und Podcaster aktiv.