Neuer AOP-Vertrag, neue Versorgungslücken? Logo of esanum https://www.esanum.de

Neuer AOP-Vertrag: Gefährdung der Patientensicherheit?

Der neue Vertrag für ambulantes Operieren kommt einem Paradigmenwechsel bei endoskopischen Leistungen gleich. Gastroenterologische Fachgesellschaften schlagen Alarm.

Problematische Ambulantisierung komplexer endoskopische Leistungen

Der neue AOP-Vertrag bedeutet vor allem für die Fachrichtung Gastroenterologie massive Veränderungen: Der Vertrag beinhaltet eine Ambulantisierung zahlreicher komplexer endoskopische Leistungen – etwa Ableitungen aus dem Gallen- und Bauchspeicheldrüsengang, ERCP oder die endoskopische Entfernung breitflächiger Adenome im Magen-Darm-Trakt – die bislang stationär erbracht wurden. Gegenüber esanum äußern sich Professor Dr. med. Jörg Albert, Vorsitzender der DGVS Kommission für Medizinische Klassifikation und Gesundheitsökonomie, und Dr. med. Ulrich Tappe, 1. Vorsitzender des Berufsverbandes Niedergelassener Gastroenterologen Deutschlands e.V. (bng), zu den größten Problemen, die sich aus einer solchen Ambulantisierung ergeben:

"Die Probleme ergeben sich daraus, dass derzeit eine stationäre Behandlung für ein gewisses Klientel der Patientinnen und Patienten nicht mehr zur Verfügung steht. Die benannten Kontextfaktoren führen dazu, dass nur Schwersterkrankte berechtigt eine stationäre Behandlung erhalten dürfen. Hier sind Pflegeargumente führend und keine medizinische Sachlichkeit." 

Etliche Behandlungen bedürfen einer geregelten Nachbeobachtung, die derzeit im stationären Setting gewährleistet sei – dieses falle in Zukunft zunächst vollständig weg. Eine Risikostratifizierung, so Albrecht und Tappe, brauche aber eine entsprechende Nachbeobachtungszeit. Ebenfalls schwierig seien soziale Faktoren, die in den jetzigen Kriterien beziehungsweise Kontextfaktoren einer stationären Aufnahme nicht abgebildet sind. "Sprachschwierigkeiten, kognitive Defizite oder eben auch nur hohes Alter sollten eine stationäre Aufnahme oder aber eine adäquate Nachbeobachtungszeit berücksichtigen. Derzeit sind diese Patientinnen und Patienten in dem neuen AOP-Katalog nicht mehr abgebildet."

Behandelnde Ärzte tragen unverändert Verantwortung für komplette Patientenversorgung

Trotz aller Änderungen tragen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte unverändert die Verantwortung für die komplette Patientenversorgung nach der Entlassung ins häusliche Umfeld und seien für Komplikationen auch juristisch haftbar. Dieses ungelöste ärztliche Haftungsproblem begünstige allerdings die Entstehung einer Versorgungslücke, so Albert – im schlimmsten Fall unterbleibe eine notwendige medizinische Behandlung, wenn die Nachsorge nach dem ambulanten Eingriff nicht gesichert sei.

Kontextfaktoren wie etwa Pflegegrad oder motorische bzw. kognitive Funktionseinschränkungen sollen von nun an bestimmen, wann ambulante Leistungen nach dem AOP-Katalog doch stationär durchgeführt werden dürfen. Laut aktuellen Regelungen soll das aber erst ab Pflegegrad 4 oder schwersten Funktionseinschränkungen der Fall sein. Tappe und Albert zufolge ist diese Einteilung allerdings nicht ausreichend und für viele Patienten unzutreffend – gerade bei Patienten in hohem Alter, mit Demenz oder bei körperlichen sowie geistigen Beeinträchtigungen betrachten die Mediziner die Einstufungen des Katalogs als medizinisch nicht vertretbar und sehen dringenden Nachbesserungsbedarf.

Dringende Nachbesserungen im AOP-Vertrag erforderlich

"Die Fachgesellschaft DGVS hat zusammen mit den Berufsverbänden ALGK und bng einen Leistungs-Katalog erstellt, der aufzeigt, welche Untersuchungen, die derzeit im stationären Sektor erbracht werden, ambulant gemacht werden können. Eine Vielzahl von Untersuchungen könnte hier aus dem stationären Bereich herausgelöst werden."

Voraussetzung hierfür sei allerdings eine qualitätsgesicherte und mit den erforderlichen Strukturen versehene Behandlung. Hierfür sei eine kostendeckende Vergütung unabdingbar. Als Beispiel könne die Endosonographie genannt werden – eine Leistung, die sicherlich ohne medizinische Vorbehalte ambulant erbracht werden könnte. Die derzeitige Vergütungsstruktur spreche allerdings aufgrund der hohen Investitionskosten gegen eine Vergütung über das EBM-System. "Leistungen, die in dem derzeitigen AOP erbracht werden, bedürfen auch einer sachgerechten Vergütung."

Patientenwohl und Versorgungssicherheit müssen an erster Stelle stehen

Aber durch welche Maßnahmen ließe sich eine sachgerechte Vergütung der Leistungen des AOP-Kataloges realisieren?

"Die Kalkulationskosten der erbrachten Leistungen liegen auf dem Tisch. Diese sind seit Jahren gut dokumentiert und können als Berechnungsgrundlage zur Verfügung gestellt werden. Ambulantisierung bedeutet ja, dass stationäre Leistung, die nach DRG vergütet wird, in die ambulante Versorgung überführt wird. Das bedeutet auch, dass erst einmal von den im stationären Bereich angefallenen Kosten ausgegangen werden muss – abzüglich der sogenannten ‚Hotelkosten‘." 

Die Eingriffe bei Patienten, die vom niedergelassenen Facharzt in die Klinik eingewiesen wurden, seien nicht den Eingriffen bei Patienten gleichzusetzen, die dieser Facharzt ambulant täglich durchführt, sondern brächten in der Regel einen deutlich höheren Aufwand – etwa eine längere Untersuchungsdauer, eine höhere Personaldichte. – mit sich, so Albert und Tappe. Werde nun das EBM-System auf diese Patienten und Eingriffe unkritisch angewendet oder im EBM-System lediglich pauschal der Punktwert angepasst, so sei eine Vergütung der reellen Kosten oft nicht gegeben. Dies sei aber erforderlich, damit die Behandlungen auch durchgeführt werden können. 

Derzeit seien zudem die Inflations- und Energiekostensteigerung ein klares Beispiel dafür, dass auch die Leistungskosten steigen müssen. "Es geht hier nicht um einen finanziellen Anreiz, sondern um eine sachgerechte Kostenerstattung. Ferner sind die Nachbeobachtungskosten sowie der Schweregrad zu kalkulieren und in die Erstattung mit einzubeziehen." Tappe, Albert und ihre Kolleginnen sowie Kollegen aus der Gastroenterologie sind sich einig: "Wir begrüßen und unterstützen die Bemühungen um die Ambulantisierung." Bei allen Initiativen müsse jedoch das Patientenwohl und die Versorgungssicherheit an oberster Stelle stehen.