Online-Pressekonferenz zur 34. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Andrologie 8.–10. September 2022, Gießen
Aktuell werden nur circa 5 % aller Männer mit Einschränkungen der Samenqualität sowie bis zu 25 % der Männer ohne Samenzellen im Ejakulat (Azoospermie) anhand genetischer Auffälligkeiten identifiziert. Dies ist insbesondere vor einer Kinderwunschbehandlung relevant, um deren Risiken und Erfolgsaussichten abschätzen zu können.
In den vergangenen drei Jahren wurden im Zusammenhang mit der männlichen Fertilität rund 120 Gene beschrieben, die mit 104 klinischen Phänotypen der Fruchtbarkeitsstörung assoziiert sind. Neue Methoden der Gendiagnostik ermöglichten die Entdeckung dieser neuen Gene, welche die Infertilität beim Mann maßgeblich mit beeinflussen können.
Die genetischen Auffälligkeiten sind dabei mit unterschiedlichen Schweregraden der Infertilität assoziiert. Bei Patienten mit Azoospermie erklären sie beispielsweise in einigen Fällen die Ursachen für die "Produktionsstörung" und erlauben eine Prognose, wie erfolgreich eine Spermiengewinnung aus den Hoden verlaufen könnte.
Ganz anders verhält es sich bei Patienten am anderen Ende des Spektrums, die in der mikroskopischen Samenuntersuchung überhaupt keine Veränderungen aufweisen – also normale Werte haben und trotzdem unfruchtbar sind. Bei diesen Männern konnten zusätzliche Genveränderungen im CatSper-Gen identifiziert werden, die einen Bauplandefekt der Spermien anzeigen. Die Spermien der betroffenen Männer sehen optisch normal aus und sind zudem normal beweglich. Bei ihnen ist jedoch die Funktion eines Ionenkanals (CatSper) gestört, weshalb die Spermien die Eizellenhülle nicht durchdringen und die Eizelle somit auch nicht befruchten können.
Paare, bei denen der Mann die zugrundeliegende Genveränderung besitzt, können daher ausschließlich mittels assistierter Befruchtung durch die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) erfolgreich Eltern werden.
Der Test auf diese besondere Genveränderung erspart dem Paar viele vergebliche Behandlungsversuche. Mittlerweile steht mit dem CatSper-Test ein "Spermienschnelltest" zur Verfügung, der das Fehlen des Ionenkanals im Rahmen einer Routineuntersuchung erkennt. So wird die Diagnose genetisch gesichert und die richtige Behandlungsempfehlung abgeleitet. Dieser Test sollte prinzipiell als SOC für infertile Männer in die moderne genetische Diagnostik mit einbezogen werden, so die Entwickler des Tests.
Bisher stand in der Reproduktionsmedizin zudem häufiger das Alter der Frau im Mittelpunkt, wenn es um Risiken für die Schwangerschaft und das ungeborene Kind ging. In jüngster Zeit jedoch gibt es auch mehr und mehr Untersuchungen, die das Alter der Väter in einen Zusammenhang mit potenziellen Risiken für die Kinder bringen. Auch dabei spielt die Genetik eine besondere Rolle.
Anders als Frauen sind Männer prinzipiell bis ins höchste Alter zeugungsfähig und laut Guinness Buch der Rekorde ist der Australier Les Colley mit 92 Jahren und 10 Monaten der bis dato älteste Vater aller Zeiten. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen aber, dass die männliche Zeugungsfähigkeit mit zunehmendem Alter nachlässt. So kommt es bei vielen Männern mit zunehmendem Alter zu einer Abnahme des Ejakulatvolumens, der Spermienanzahl bzw. -konzentration, der Spermienmotilität sowie zu einer Verschlechterung der Spermienmorphologie. Einer der Gründe dafür ist u.a. die strukturelle Schädigung der testikulären Architektur im Rahmen der Hodenalterung.
Mit längerer Lebenszeit steigt aber auch die Wahrscheinlichkeit für urogenitale Infektionen im Bereich der Samenwege, von denen man heute sehr genau weiß, dass diese zu einer entsprechenden Schädigung der Spermienqualität führen können. Außerdem nimmt mit dem höheren Alter des Vaters dessen Expositionszeit gegenüber mutagenen und toxischen Substanzen in der Umwelt und Nahrung zu. Diese führen dann zu einer zunehmenden Anzahl von Keimzell-Mutationen, zur DNA-Fragmentation und zu negativen epigenetischen Veränderungen, die auf die Nachkommen übertragen werden können.
Es gibt derzeit starke Hinweise dafür, dass bereits ab einem Lebensalter des Vaters von 40 – 50 Jahren ein statistisch höheres Risiko für eine Fehlgeburt besteht. Der Faktor ist allerdings deutlich weniger relevant als das Alter der Frau. Daneben erhöht sich mit zunehmendem Alter des Vaters das Risiko für eine Frühgeburt sowie ein niedrigeres Geburtsgewicht.
Bei allen Verfahren der assistierten Reproduktion – wie z. B. bei der in-vitro-Fertilisation (IVF) oder bei der intrazytoplasmatischen Spermien-Injektion (ICSI) – führt das höhere Alter des Vaters zu schlechteren Ergebnissen als bei jüngeren Vätern mit Fertilitätsstörungen. Verschiedene wissenschaftliche Studien konnten ferner zeigen, dass die Kinder älterer Väter ein statistisch höheres Risiko für psychische Erkrankungen wie Autismus, Schizophrenie und bipolare Störungen haben. Die exakten Pathomechanismen sind aber in den meisten Fällen noch unbekannt.
Auch klar definierte genetische Störungen wie die Trisomie 21 (= Down-Syndrom) oder das Apert-Syndrom (= Mutation des FGFR-2 Gens auf dem Chromosom 10, welches zu vielfältigen körperlichen Fehlbildungen führt) kommen bei Nachkommen älterer Väter statistisch häufiger vor. Bestimmte Stoffwechselstörungen unter anderem im Zusammenhang mit Adipositas werden wahrscheinlich ebenso durch ein höheres Alter des Vaters begünstigt. Gleiches gilt für angeborene Herzkrankheiten bei Kindern und Gaumenspalten.
Aufgrund dieser neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse wird inzwischen in der Gesellschaft und auch unter Expertinnen und Experten über die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit des Einfrierens von Spermien zu einem vermeintlich "optimalen" Zeitpunkt diskutiert – ganz im Sinne eines "Social Freezing" bei Männern.
Für die Praxis wichtig: Schon heute sollten im Rahmen einer Kinderwunsch-Beratung und –Behandlung auf jeden Fall auch das Alter des Vaters und dessen mögliche nachteilige Folgen für das Kind besprochen werden. Da zudem insbesondere in Akademikerkreisen in der EU und in Deutschland Eltern bei Geburt ihres ersten Kindes immer älter sind, werden zusätzlich weitere wissenschaftliche Untersuchungen zum Einfluss des Alters auf die Genetik und die Fertilität bei Mann und Frau gefordert.
Quelle:
Online-Pressekonferenz zur 34. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Andrologie 8.–10. September 2022, Gießen