USA: Zahlreiche Cannabis-Derivate legal Logo of esanum https://www.esanum.de

Cannabis-Derivate: Wirkung und Anwendung im Überblick

Seit 2018 ist der Hanfanbau in den USA legal. Doch was bedeutet das konkret? Wie unterscheiden sich verschiedene Cannabis-Derivate in ihrer Wirkung und Anwendung?

Zwei führende US-Immunologen zu deren Vorzügen und potentiellen Risiken

Überall in den USA, an Tankstellen, in Supermärkten und im Internet, sind gegenwärtig tausende US-Cannabis-Abkömmlinge frei zugänglich und ohne Verschreibung erhältlich. 

Sind sie legal und sicher? Oder öffnen wir gerade die Büchse der Pandora?

Das amerikanische Immunologen-Ehepaar Dr. Mitzi und Dr. Prakash Nagarkatti arbeitet schon seit 20 Jahren daran und bezieht klar Stellung: Sie konzentrierten sich in ihrer Forschung auf die Effekte von Marihuana-Cannabinoiden auf Entzündungen und Krebs. Beide gaben mir per SKYPE freundlicherweise zusätzliche Informationen und beantworteten meine Fragen. 

Es handelt sich bei den verkäuflichen Derivaten vor allem um delta-8 tetrahydrocannabiol (delta 8 THC), delta-10 THC und CBD  (Cannabidiol). Die Nagarkattis sehen zwar großartige Vorzüge, befürchten aber gleichzeitig, dass noch zu wenig zur Sicherheit und ihren psychoaktiven Eigenschaften bekannt ist.


Vergleich von Strukturen und Eigenschaften von CBD und delta-9-THC (nach P und M Nagarkatti); engl. antiemetic = Antiemetikum, wirkt gegen Erbrechen und Übelkeit

Unterschiede zwischen Marihuana und Hanf 

Cannabis sativa, der Gewöhnliche oder Echte Hanf, enthält mehr als 100 Verbindungen, die als Cannabinoide bezeichnet werden. Das am besten untersuchte Cannabinoid, das delta-9-tetrahydrocannabinol (delta-9 THC), ist psychoaktiv, also verantwortlich für den Rausch assoziiert mit Marihuana. Das Cannabidiol (CBD) ist im Gegensatz dazu nicht psychoaktiv.

Marihuana und Hanf sind zwei verschiedene Varietäten der Cannabis-Pflanze. In den USA werden gesetzlich Cannabis-Pflanzen mit mehr als 0.3% delta-9 THC als Marihuana klassifiziert, mit weniger als 0.3% delta-9 THC als Hanf. Das heutige Mariuhana hat von 10 % bis 30 % von delta-9 THC, während Hanf 5 % bis 15 % CBD enthält. 

2018 genehmigte die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) die Anwendung von CBD zur Behandlung von Epilepsie. Außerdem können Hanfpflanzen kommerziell für Textilien, Papier, Nahrung, Futter, Bioenergie, bioabbaubare Plastik und als Baumaterial verwendet werden. Als der US-Kongress 2018 den „Agriculture Improvement Act “ verabschiedete, wurde Hanf aus der Kategorie der unter Kontrolle unterliegenden Pflanzen gestrichen. Das machte ab 2018 den Hanf-Anbau legal. Als danach CBD aus Hanf den Markt sättigte, suchten die Produzenten andere Formen von CBD. 

So erschienen delta-8, delta-9 und delta-10 THC auf dem Markt. Der chemische Unterschied zwischen ihnen liegt in der Position der Doppelbindung in der Kohlenstoffkette: Delta-8 am 8. C-Atom, delta-9 am 9. C-Atom, delta-10 am 10. C-Atom. Diese kleinen Unterschiede verursachen die unterschiedlichen psychoaktiven Effekte.

Delta-9 THC ist nun das primäre Cannabiol, das Marihuana seinen psychoaktiven Effekt verleiht.

Das delta-9 THC

Das delta-9 THC wurde als erste Form 1964 aus Cannabis isoliert. Es interagiert mit dem CB1-Rezeptor im Gehirn. Er wirkt wie ein Schloss mit dem Schlüssel delta-9 THC. Damit werden bestimmte Zellfunktionen aufgeschlossen. Delta-9 THC imitiert die Endocannabinoide, die unser eigener Körper ganz natürlich produziert. Delta-9 THC beeinflusst und reguliert also die gleichen Hirnfunktionen wie Appetit, Lernen, Gedächtnis, Angst, Depression, Schmerz, Schlaf, Stimmung, Körpertemperatur und Immunreaktionen. 

Die amerikanische FDA ließ 1985 delta-9 THC für chemotherapie-induzierte Nausea und Erbrechen bei Krebspatienten zu und 1992, um den Appetit bei HIV/AIDS-Patienten zu stimulieren. Die amerikanische Nationale Akademie der Wissenschaften (NAS) berichtet, dass Cannabis effektiv chronische Schmerzen bei Erwachsenen lindert, ebenso wie Muskelversteifung bei Multipler Sklerose, einer Autoimmun-Erkrankung.  Dieser Bericht hält auch die positive Beeinflussung der Fibromyalgie fest. Eine Kombination von delta-9 THC und CBD war effektiv bei Muskelversteifung und Spasmen bei Multipler Sklerose. 

Mit dem Mundspray Nabiximols wurde 2011 das erste Medikament auf Cannabisbasis auch in Deutschland zugelassen. Es enthält einen standardisierten Cannabisextrakt aus THC und CBD im Verhältnis von 1:1 und ist für die Behandlung von spastischen Beschwerden bei Patienten mit Multipler Sklerose vorgesehen. Seitdem ist mit Nabilon ein weiterer Wirkstoff auf Cannabis-Basis zugelassen worden. 

Delta-9 THC kann auch einen anderen Cannabinoid-Rezeptor aktivieren, CB2, der hauptsächlich in Immunzellen exprimiert wird. Untersuchungen der Nagarkattis haben gezeigt, dass CB2 hocheffektiv bei Autoimmunkrankheiten wie MS und Colitis wirkt und auch bei Lungenentzündungen, die durch bakterielle Toxine hervorgerufen werden, positive Effekte erzielt. Allerdings wurde delta-9 THC noch nicht durch die FDA zugelassen für die Behandlung von Schmerz, Schlafstörungen, Fibromyalgie und Autoimmunerkrankungen. Das hat zu Selbstmedikationen durch Patienten geführt.

Delta-8 THC, ein chemischer Cousin von delta-9 THC

Delta-8 THC wird in sehr geringen Konzentrationen in der Cannabis-Pflanze gefunden. Das delta-8 THC, das in den USA vermarktet wird, ist ein Hanf-CBD-Derivat.

Delta-8 THC bindet CB1 Rezeptoren weniger stark als delta-9 THC und ist dadurch weniger psychoaktiv. Patienten und Ärzte bevorzugen dieses, wenn sie einen größeren Rausch vermeiden wollen. Aber an CB2-Rezeptoren bindet delta-8 THC ähnlich stark wie delta-9 THC. Und weil die Aktivierung von CB2 eine kritische Rolle bei der Unterdrückung von Entzündungen spielt, könnte delta-8 THC künftig bevorzugt werden, da es weniger psychoaktiv ist. Tierexperimente aus dem Labor der Nagarkattis  haben gezeigt, dass delta-8 THC effektiv bei Multipler Sklerose wirkt.

Der Verkauf von delta-8 THC, besonders in Bundesstaaten, wo Marihuana illegal ist, wird heiß diskutiert. Die US-Bundesbehörden betrachten alle Verbindungen, die aus Marihuana isoliert sind oder synthetische Formen (ähnlich zu THC) als „Schedule I controlled substances”. Das bedeutet, dass sie momentan nicht für medizinische Anwendungen akzeptiert werden und ein beträchtliches Missbrauchspotential besitzen.

Hanf-Produzenten argumentieren, dass delta-8 THC legalisiert werden müsse, weil es von CBD aus legal kultivierten Hanf-Pflanzen stammt. In den kalifornischen Cannabis-Shops sind Cannabis-Kaugummis am populärsten.

Delta-10 THC ante portas

Delta-10 THC, ein anderer Cousin von delta-9 und delta-8, kommt gerade auf den Markt. Allerdings weiß man noch nicht viel über dieses neue Cannabinoid, das auch vom Hanf CBD stammt. Man berichtet über euphorische Stimmungen und bessere Konzentrationsfähigkeit. Der HIGH-Effekt soll geringer als bei delta-8 THC sein. Fast nichts ist über die medizinischen Eigenschaften von delta-10 THC bekannt. Trotzdem wird es vermarktet mit Vorteilen für die Gesundheit wie die gut untersuchten Cannabinoide.

Die Zukunft der Cannabinoid-Derivate

Forschung und klinische Tests mit Marihuana oder delta-9 THC wurden durch ihre Klassifikation als Schedule 1-Substanzen behindert. Zusätzlich schaffen die psychoaktiven Eigenschaften von Marihuana und delta-9 THC Seiteneffekte auf Hirnfunktionen. Das HIGH stößt nicht bei allen Konsumierenden auf Zufriedenheit: Krankheitsgefühl oder Unwohlsein können die Folge sein. Das schränkt den Nutzen in der klinischen Behandlung ein.

Andererseits sind delta-8 THC und delta-10 THC sowie andere potentielle  Cannabinoide, isoliert oder synthetisiert, sehr vielversprechend. Mit ihrer starken Affinität zu den CB2-Rezeptoren und geringeren psychoaktiven Eigenschaften bieten sie interessante neue therapeutische Möglichkeiten.

Dr.Prakash Nagarkatti & Dr. Mitzi Nagarkatti

Die Immunologen Dr. Mitzi und Dr. Prakash Nagarkatti arbeiten als Professoren für Pathologie, Mikrobiologie und Immunologie an der University of South Carolina. Seit 20 Jahren konzentrierten sich in ihrer Forschung auf die Effekte von Marihuana-Cannabinoiden auf Entzündungen und Krebs.

Referenzen:

- Reinhard Renneberg (2023): Biotechnologie für Einsteiger, 6.Auflage, SAV Heidelberg (im Druck)

- Interview Reinhard Renneberg mit Dr. Mitzi und Dr. Prakash Nagarkatti

- https://theconversation.com/profiles/mitzi-nagarkatti-1044072

- https://theconversation.com/profiles/prakash-nagarkatti-1032253