Es reicht! Charité-Ärzte streiken für bessere Arbeitsbedingungen Logo of esanum https://www.esanum.de

"Wir Ärzte von der Charité setzen jetzt ein Stoppzeichen"

Der Warnstreik für die Verbesserung der Arbeitssituation von Ärzten an der Charité war ein Erfolg. Dr. Aymen Meddeb war mittendrin und berichtet von seinen eigenen Erfahrungen.

Wir zahlen mit unserer Gesundheit

Unser erster Warnstreik war ein Erfolg. Über ein Drittel der Kolleginnen und Kollegen waren dabei. Mehr als 1000 Ärzte der Charité.

Es geht um den hausinternen Tarifvertrag der Charité für Ärzte. Der wird alle zwei Jahre neu verhandelt. Bisher gab es beim Gehalt immer einen linearen Anstieg von ca. zwei Prozent. Diesmal wurden 1,4 Prozent angeboten. Lächerlich! Bei einer Inflation von fast 10 Prozent! Der Ball wird dabei zwischen Politik und Vorstand hin und her geschoben. Das Prestige und das Renommee der Charité werden hier ausgenutzt. Ärztemangel kennt die Charité nicht. Wenn ich morgen kündige, bewerben sich sofort zehn Ärzte auf die Stelle. Dennoch sitzen wir am längeren Hebel. Wenn ein Drittel der Ärzte nicht zufrieden ist und sie alle gehen würden – die sind nicht so einfach ersetzbar.

Hinzu kommt der Streit um die Dienste: in den zweieinhalb Jahren Corona haben wir eine extrem hohe Bereitschaft gezeigt, bei Bedarf zusätzliche Dienste zu übernehmen. Statt vier waren es oft sechs, sieben Nachtdienste. An Überstunden hat man sich längst gewöhnt. Aber 22 Stunden Nachtdienst, von zehn bis acht Uhr morgens am nächsten Tag, kann man nicht beliebig oft machen. Vier Dienste im Monat sind eigentlich die vertragliche Grenze. Damit kommt man locker auf 70 Arbeitsstunden pro Woche, egal, was im Vertrag steht. Darüber regt sich niemand auf. Wir haben einen Versorgungsauftrag und Dienste müssen gesichert werden. Ganz klar. Das sieht jeder ein. Wobei die chirurgischen Fächer zum Teil acht Nachtdienste machen. Das ist einfach nicht in Ordnung. Wir zahlen dafür mit unserer Gesundheit.

Unser Pflichtgefühl wird ausgenutzt

Die Forderung an den Vorstand ist jetzt, dass die Dienste gesetzlich auf vier im Monat begrenzt werden. Dazu wäre es unumgänglich, mehr Personal einzustellen.

Hinzu kommt: Bei Berufen mit Schichten oder Diensten ist ein Springerbonus üblich. Wenn ich also ein freies Wochenende habe und mit der Familie etwas unternehmen möchte, kommt der Abruf: Sie müssten bitte einspringen, Kollegin XY ist krank – dann ist ein Bonus, eine Belohnung, ein Trost sozusagen, angemessen. Krankenpfleger und -schwestern bekommen das. In der Pflege ist es üblich. Für uns gibt es das nicht. In Coronazeiten wurde das ausgenutzt. Wir wurden einfach einbestellt wie Befehlsempfänger. Das fühlt sich nicht gut an. Es ist sogar demütigend, außerdem illegal. Aber moralisch fühlt man sich immer wieder verpflichtet. Man kann ja die Kollegen, die Patienten und die Klinik nicht im Stich lassen.

Deswegen möchten wir eine Anerkennung für die selbstverständlich erscheinende Bereitschaft, sein Privatleben immer wieder hintanzustellen. Außenstehende denken oft, wir verdienen doch gut. Das kann man so oder auch anders sehen. Wenn ich mein Gehalt auf Stunden umrechne, Nachtdienste inklusive, sind es nach sechs Jahren Studium und fünf Jahren Facharztausbildung rund 30 Euro Stundenlohn. Ist das viel?

Wir müssen jetzt ein Stoppzeichen setzen

Gestern um zwei Uhr morgens gab es zum Beispiel ein Polytrauma nach schwerem Verkehrsunfall. Und das ist nicht selten. Es nennt sich zwar Bereitschaftsdienst, aber du musst eigentlich auf den Punkt voll fit sein. Das macht natürlich auch Spaß. Und am nächsten Tag ist man platt. Wir müssen jetzt ein Stoppzeichen setzen. Denn  sonst geht es immer so weiter: Es gibt immer mehr Patienten, man muss sie immer schneller behandeln und immer früher entlassen, der Bettendruck wächst immer mehr. Bei derselben Zahl von Ärzten haben wir in der Radiologie beispielsweise jetzt drei statt zwei Computertomographen.

Das war seit 15 Jahren der erste Ärztestreik. Wenn der Vorstand nicht auf uns zukommt, wird es richtige Streiks geben – über Tage oder Wochen.

Die letzten zweieinhalb Jahre haben wir der Gesellschaft sehr viel gegeben und ohne Ende gearbeitet. Weil es notwendig war. Weil man es eingesehen hat. Und weil wir gern arbeiten, gern helfen. Sonst wäre ich nicht Arzt geworden. Und jetzt geht es um ein Signal der Charité. Um Wertschätzung!