Burnout – Notfallmediziner am Limit Logo of esanum https://www.esanum.de

Diagnose Burnout – Notfallmediziner weltweit am Limit

Die EUSEM hat kürzlich die Ergebnisse einer internationalen Umfrage zum Thema Burnout in der Notaufnahme veröffentlicht: Bei 62 % der Mitarbeitenden in der Notfallmedizin wurde Burnout diagnostiziert.

Burnout-Syndrom in der zentralen Notaufnahme

Übersetzt aus dem Französischen

Auch bekannt als Berufserschöpfung, betrifft Burnout vor allem Personen, die in einer helfenden Funktion tätig sind. Das Ausmaß jeder der drei Dimensionen von Burnout wird mit dem Maslach Burnout Inventory (MBI) einzeln beurteilt.

In dieser Umfrage galt ein "umfassender Burnout" dann als gegeben, wenn mindestens eine der Dimensionen "Depersonalisation" oder "emotionale Erschöpfung" ein hohes Niveau aufwies.

Zahlreiche Studien haben bereits gezeigt, dass Burnout unter Ärzten häufig vorkommt und im Bereich der Notfallmedizin noch stärker verbreitet ist. Zu den Ursachen zählen die hohe emotionale Belastung, schwer vorhersehbare Arbeitspensen und die Störung des zirkadianen Rhythmus. Zudem leiden Notärzte manchmal unter mangelnder Wertschätzung seitens anderer Fachärzte.

Interview mit Dr. Abdo Khoury: "Burnout bei 62 % der Mitarbeiter festgestellt"

Dr. Abdo Khoury ist Notfallmediziner am Universitätskrankenhaus von Besançon in Frankreich. Seit 2020 ist er Präsident der Europäischen Gesellschaft für Notfallmedizin (EUSEM: European Society for Emergency Medicine), die 36 nationale medizinische Verbände für Notfallmedizin vertritt.

Dr. Khoury, was sind die wichtigsten Ergebnisse der EUSEM-Umfrage zum Thema Burnout?

Khoury: Ein umfassendes Burnout-Syndrom wurde bei 62 % der Befragten festgestellt. Ein hohes Maß an Depersonalisation, emotionaler Erschöpfung und verminderter Selbstwirksamkeit wurde bei 46 %, 47 % bzw. 48 % der Befragten festgestellt.

In unserer Umfrage litten bis zu 75 % des Pflegepersonals in italienischen und französischen Notaufnahmen an mindestens einem der beiden Hauptsymptome von Burnout. Deutschland speziell schneidet etwas besser ab1. Noch beunruhigender ist jedoch, dass 31 % aller Befragten sowohl ein hohes Maß an Depersonalisation als auch an emotionaler Erschöpfung aufwiesen. Bei einem so schweren Burnout bedarf es einer ärztlichen Untersuchung sowie psychologischer Unterstützung.

Haben Sie die Ergebnisse überrascht?

Khoury: Ganz und gar nicht. Sie bestätigen frühere Ergebnisse aus der Zeit vor 2020. Die COVID-19-Pandemie hat das Burnout-Phänomen zwangsläufig verschärft. Neuere Studien zeigten bereits, dass das gesamte Krankenhauspersonal unter der Pandemie-Situation litt. Notärzte waren am stärksten betroffen.   

Warum hat EUSEM diese Umfrage durchgeführt?

Khoury: Burnout ist eine Realität, die wir alle jeden Tag in den Fachabteilungen beobachten können. Die Folge ist eine Flut von Krankmeldungen, Kündigungen und das Ausscheiden von Pflegekräften aus dem Beruf. Innerhalb von EUSEM teilen alle Vertreter der nationalen Gesellschaften für Notfallmedizin diese Einschätzung.

Wir wollten Burnout zum Thema unserer fünften Kampagne machen, die am 27. Mai anlässlich des Welttages der Notfallmedizin, dem "Emergency Medicine Day", gezeigt wird.

Diese Informationskampagnen richten sich an die breite Öffentlichkeit: Sie verdeutlichen, warum die Belange der Notfallmedizin in erster Linie gesellschaftliche Fragen sind, die die Bürger direkt betreffen.  

Die Kampagnen behandeln seit 2018 Themen wie Ausbildung und Kompetenzen von Notärzten oder die erforderlichen Ressourcen, damit jeder Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Notfallversorgung hat. Im Jahr 2020, mitten in der Corona-Pandemie, prangerte "Together We Can" den anhaltenden Personalmangel an.

Für 2022 haben wir daher das Thema Burnout mit einer einfachen Botschaft an die Bevölkerung aufgegriffen: "We take care of you, please take care of us" (Wir sorgen für Sie, bitte sorgen Sie für uns).  

Die Umfrage zeigt, dass der chronische Personalmangel in den Kliniken eine der Hauptursachen für Burnout ist. Wie erklären Sie sich das?

Khoury: Aus der Umfrage ergibt sich ein klarer Zusammenhang zwischen Unterbesetzung und dem Ausmaß der Erschöpfung bei Ärzten. 57 % der Befragten berichten über "häufigen Personalmangel an ihrem Arbeitsplatz". Das Burnout-Risiko ist zehnmal höher, wenn man unter solchen Bedingungen arbeiten muss.

Fachkräftemangel ist ein weltweites und schon lange bestehendes Problem, das vor allem mit dem Ausbau der ambulanten Pflege zusammenhängt. Der Fehler war zu glauben, dass man Betten in Krankenhäusern abbauen und gleichzeitig Personal einsparen kann. Krankenhäuser lassen sich jedoch nicht wie Fabriken führen.

Die an den Business Schools gelehrte betriebswirtschaftliche Denkweise funktioniert vielleicht bei der Produktion von Autos, aber nicht bei der Versorgung von Patienten. In der Notaufnahme weiß niemand, wann ein Patient eintrifft, in welchem Zustand er sich befindet, wie lange es dauern wird, bis er behandelt werden kann und noch weniger, wann ein Bett frei wird. Zwar gibt es bereits Modellierungen, doch sind diese noch weit von einer perfekten Steuerung der Patientenströme entfernt.

Offenbar wurde eine weitere Realität übersehen: unsere Gesellschaft entwickelt sich ständig weiter. Der Aufbau unseres Gesundheitssystems ist über 40 Jahre alt und er passt nicht mehr in die heutige Zeit. Die Bevölkerung wird immer älter und die Familienstrukturen sind zersplittert. Bei gesundheitlichen Problemen besteht heute ein wachsender Bedarf an stationären Behandlungen. Das gilt weltweit: In China ziehen die jungen Leute Tausende von Kilometern von ihren Eltern weg. Wir erfüllen jetzt also eine soziale Rolle, die es damals nicht gab, denn für einen Teil der Bevölkerung sind wir die einzig verbliebene zwischenmenschliche Bindung.

Das hat man nicht kommen sehen. Die eingesparten Betten hätten in Nachsorgeeinrichtungen verwendet oder für die häusliche Pflege umgenutzt werden sollen. Als Folge haben wir es nun tagtäglich mit Dutzenden von oft älteren Menschen zu tun, die mangels freier Betten stundenlang auf Bahren ausharren müssen. Uns bleibt nicht genug Zeit für sie und wir haben das Gefühl, unsere Arbeit nicht gut zu machen.

Sind bestimmte Gruppen des Pflegepersonals einem höheren Burnout-Risiko ausgesetzt?  

Khoury: Die schlechten Arbeitsbedingungen wirken sich stark auf junge Berufstätige aus. Weniger erfahrene Ärzte berichteten über einen höheren Grad an Erschöpfung, der bei Notärzten mit weniger als 5 Jahren Berufserfahrung bei 74 % lag, während er bei Notärzten mit mehr als 10 Jahren Berufserfahrung 60 % betrug. Wenn ein junger Berufstätiger frühzeitig an Burnout erkrankt, scheint sich das Risiko eines Rückfalls oder einer Depression im späteren Berufsleben zu erhöhen. Das ist besorgniserregend.

Die Erhebung ergab auch, dass Frauen ein höheres Maß an allgemeiner Erschöpfung aufweisen als Männer (64 % im Vergleich zu 59 %). Auch in unserem Fachgebiet nimmt der Anteil an Frauen zu. Trotz der gesellschaftlichen Fortschritte stoßen Frauen jedoch häufiger als Männer auf Hindernisse in der Frage, wie unregelmäßige Arbeitszeiten und Nachtarbeit mit dem Familienleben zu vereinbaren sind. Ganz zu schweigen von der "gläsernen Decke", einer traurigen Realität, die den Zugang zu Positionen mit Verantwortung noch immer behindert.

Welche Folgen hat das verbreitete Burnout-Syndrom in den Notaufnahmen?  

Khoury: Auf persönlicher Ebene kann sich Burnout zu einer schweren Angststörung und Depression entwickeln, zu Suchtverhalten führen oder sogar zu einer posttraumatischen Belastungsstörung. Für Notärzte erhöht sich das Risiko, Fehler zu begehen, was ihre Unzufriedenheit noch verstärkt. Wie alle Ärzte mit psychischen Problemen scheuen sich auch Notärzte davor, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dabei hat sich psychologische Betreuung als wirkungsvoll erwiesen. In der Umfrage gaben nur 41 % der Befragten an, schon einmal psychologische Hilfe in Anspruch genommen zu haben.

Eine weitere Erkenntnis aus dieser Umfrage ist, dass es bei Notärzten eine klare Verbindung zwischen einem hohen Maß an Burnout und dem Wunsch nach einem Arbeitsplatzwechsel gibt. Für 25 % der Umfrageteilnehmer kommt ein Ausstieg aus der Notfallmedizin in Frage, was das Gesundheitssystem noch weiter schwächen würde. Für die Patienten würde dies mit einer Verschlechterung der Qualität und somit der Sicherheit der Gesundheitsversorgung einhergehen.  

Welche Maßnahmen könnten Notärzte vor Burnout schützen?

Khoury: Wir müssen unser Fachgebiet langfristig wieder attraktiver machen. Die Notfallmedizin ist das einzige Fachgebiet in der Klinik, in dem man die aufregendsten 15 Minuten unter allen Fachgebieten erleben kann. Die Notaufnahme ist ein Zusammenspiel aus Technik und Menschlichkeit. Wir betrachten die Patienten als Menschen, nicht als Organe. Wir kennen keine Routine und haben ein sehr eingespieltes Team. In den USA ist dies übrigens eine der drei beliebtesten Fachrichtungen für angehende Ärzte.

In Europa sieht die Situation anders aus. Junge Ärzte sind zunächst begeistert, leiden dann aber unter dem Mangel an Perspektiven. Übrigens ist das ein weiterer Punkt, der in unserer Umfrage zum Ausdruck kam: Einseitige Tätigkeiten in der Notaufnahme erhöhen das Risiko von Burnout. Was Notärzte vor dem Ausgebrannt-sein bewahrt, ist die Arbeit auch in der Betreuung vor der Krankenhauseinlieferung oder Forschungs- bzw. Ausbildungstätigkeiten.

Wie sieht es mit der Ausbildung von Notärzten aus?

Khoury: In den Vereinigten Staaten ist die Notfallmedizin seit 50 Jahren ein eigenständiges Fachgebiet. In Europa wurde erst 1993 eine EU-Richtlinie erlassen, nach der mehrere Länder die Notfallmedizin zum Fachgebiet erklärten. Die Lage ist jedoch nicht einheitlich: in Ländern wie Portugal, Spanien oder Österreich ist die Rettungsmedizin immer noch kein Fachgebiet. In Litauen ist das erst seit kurzem der Fall und es herrscht ein erheblicher Mangel an Weiterbildung und entsprechend ausgebildeten Ärzten. In diesen Ländern arbeitet der Notdienst hauptsächlich mit jungen, unzureichend ausgebildeten Kräften.

Was würden Sie heute einem jungen Kollegen sagen, der in der Notfallmedizin anfängt?

Khoury: Meine Botschaft ist klar: "Schützen Sie sich, indem Sie Ihre Tätigkeit abwechslungsreich gestalten. Der Alltag in der Notfallmedizin ist aufregend, aber Sie sollten sich auch für die Forschung oder für neue Entwicklungen in anderen Ländern interessieren. Bilden Sie sich weiter, sei es in neuen Technologien oder im Leitungsbereich. Erweitern Sie Ihren Horizont so weit wie möglich. Die Notfallmedizin ist ein Fachgebiet mit Zukunft".

Anmerkungen:

  1. Genauere Daten werden in Kürze veröffentlicht.