Ärzte in Weiterbildung: Arbeit am Limit Logo of esanum https://www.esanum.de

"Lehrjahre sind keine Herrenjahre"

Arbeiten am physischen und psychischen Limit, wenig verlässliche Dienst- und Urlaubsplanung, teils ausgeprägter Präsentismus und mangelnder Respekt der Vorgesetzten – Ärzte in der Weiterbildung sind mit ihren Arbeitsbedingungen teils massiv unzufrieden.

Ärzte in Weiterbildung arbeiten häufig auch bei Krankheit

Jeder zweite Arzt oder Ärztin in Weiterbildung arbeitet häufig auch dann, wenn sie oder er krank ist, bei jeder zehnten kommt dies sogar oft vor. Teils aus Selbstüberschätzung, aber auch entgegen besserem ärztlichem Wissen setzen junge Ärztinnen und Ärzte ihre Gesundheit aufs Spiel, meist aus Pflichtbewusstsein gegenüber Kollegen und Patienten, aber nicht selten auch auf subtilen Druck von Vorgesetzten und Arbeitgebern.

Das zeigt eine Online-Umfrage des Hartmannbundes unter 850 Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung zur Arbeitsbedingungen und Salutogenese in der Arbeitswelt. Die Umfrage wird ergänzt durch ausführliche Kommentierung der Befragten mit etlichen konkreten Hinweisen auf Missstände, aber auch mit konstruktiven Vorschlägen für Verbesserungen. Insgesamt vermitteln die Umfrageergebnisse erhebliche Führungsdefizite von Arbeitgebern und Vorgesetzten, die zur Demotivation des Nachwuchses und häufig zum Arbeitgeberwechsel, zum Wechsel von der Klinik in die ambulante Medizin oder die Industrie führen. Eine deutliche Warnung an die Arbeitgeber: Sie vergraulen durch Personal-Missmanagement den Nachwuchs und verschärfen damit personelle Engpässe.

Die Ergebnisse im einzelnen:

Mehr Arbeit als vereinbart – das ist die Regel 

Die Arbeitsbedingungen: 80 Prozent der Umfrageteilnehmer arbeiten in Vollzeit, 90 Prozent davon regelmäßig mehr als vertraglich vereinbart. 44 Prozent der Verträge sehen eine Opt-out-Regelung vor,  nach der es möglich ist, auch mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen 48 Wochenstunden zu arbeiten – ein deutlicher Hinweis auf die hohe Arbeitslast im Krankenhaus. 

Das Personalmanagement erweist sich hinsichtlich seiner Verlässlichkeit als mangelhaft. Nur 40 Prozent geben an, sowohl Urlaubs- als auch Dienstplanung seien verlässlich, bei weiteren 40 Prozent trifft dies nur für die Urlaubsplanung zu. 38 Prozent kritisieren die nicht vorhandene Flexibilität sowohl von Urlaubs- wie auch von Dienstplanung. 

Von einer zuverlässigen Arbeitszeiterfassung berichtet eine Minderheit: 44 Prozent. Die Gründe für die Nichterfassung von Arbeitszeiten sind vielsagend: "Das wird von den Oberärzten nicht gern gesehen", sagen 60 Prozent.

Auch der Ausgleich von Überstunden ist höchst heterogen in der Praxis: Nur ein gutes Fünftel der Ärztinnen und Ärzte hat die Wahl zwischen Freizeit und finanziellem Ausgleich. 33 Prozent erhalten nur einen Freizeitausgleich, bei lediglich sechs Prozent werden Überstunden  mit einem Zuschlag finanziell kompensiert, bei 18 Prozent ohne Aufschlag. 21 Prozent der ÄrztInnen in Weiterbildung müssen akzeptieren, dass ihre Überstunden verfallenen und gar nicht kompensiert werden. 

Bei jedem Zweiten ausgeprägter Präsentismus

Raubbau an der eigenen Gesundheit: Jede zehnte Ärztin (oder Arzt) arbeitet "oft" auch dann, wenn sie oder er krank ist. Bei 40 Prozent kommt dies häufig vor. Die häufigste Begründung (90 Prozent) ist Pflichtbewusstsein und die Absicht, Kollegen nicht im Stich zu lassen. 45 Prozent sehen sich Patienten gegenüber in der Pflicht. Gut jeder fünfte junge Kollege, der in krankem Zustand arbeitet, befürchtet aber "Druck vom Chef" oder generelles Mobbing am Arbeitsplatz, wenn er zu Hause bleiben würde. Angesichts dieser Umstände verwundert es nicht, dass 52 Prozent der Ärztinnen und Ärzte ihre Arbeit sowohl physisch als auch psychisch anstrengend finden.

Die Reduzierungsstrategien einer solchen Arbeitslast durch den Nachwuchs müsste die Arbeitgeber und Vorgesetzten alarmieren: 49 Prozent vermindern ihre Arbeitszeit, 47 Prozent wechseln von Kliniken in die ambulante Medizin, 39 Prozent wechseln den Arbeitgeber. Wie wenig ausgeprägt das Vertrauen in Führungspersonal ist, zeigt die Tatsache, dass nur 20 Prozent der Ärztinnen und Ärzte das Gespräch mit den Vorgesetzten sucht.

"Wir arbeiten am Limit", sagen 66 Prozent der jungen Mediziner, 74 Prozent verlieren die Freude an ihrer Arbeit – vor allem auch deshalb, weil sie keinerlei Anstrengungen der Klinikleitungen sehen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. 

Defizitäre Führungsqualität

Im Gegenteil. Die reichhaltige Kommentierung der Umfrage zeigt ein Führungsverhalten von Vorgesetzen, das aus dem letzten Jahrhundert tradiert ist: "Meine Chefin reagiert cholerisch und schikanierend. Stundenweises Fehlen wegen wichtiger ärztlicher Termine werden nicht genehmigt." Oder "Die Hürde der Krankmeldung beim Oberarzt wird mit entsprechenden Kommentaren garniert." Oder "Mein Chef ist selbst ein Workaholic mit 80 bis 100 Wochenstunden." Neben respektlosen und fordernden Chefs werden aber auch die zynische Arbeitsatmosphäre und mangelnde Solidarität unter den Kollegen kritisiert.

Ziemlich resignierend resümiert ein Umfrageteilnehmer:

"Man muss aufpassen, dass die Ärzte, die wir in Deutschland brauchen, nicht auswandern, so wie viele Kollegen das gemacht haben. Dem Staat müsste doch daran gelegen sein, eine gute Versorgung und Bindung der Ärzte zu schaffen. Aber ich bin desillusioniert."