Belastung treibt Ärzte dazu, ihren Beruf aufzugeben Logo of esanum https://www.esanum.de

Ärztebefragung: 40 Prozent würden den Beruf aufgeben

Viele Krankenhausärzte sind unzufrieden und würden ihren Beruf aufgeben, sollte sich an den Bedingungen nichts ändern. Das zeigt eine Umfrage des Marburger Bunds.

Ärzteumfrage ausgewertet – mit alarmierenden Ergebnissen

Personalnot, Überstunden, Bürokratie – "Der Arztberuf droht, zum Traumberuf mit alptraumhaften Arbeitsbedingungen zu werden", so formulierte es Andreas Hammerschmidt vom Marburger Bund Niedersachsen bei der Pressekonferenz zum MB-Monitor 2022 "Und wie geht's Dir, Doc?" am 13. September. Laut der Ärztebefragung in dem nördlichen Bundesland geht die Unzufriedenheit über die Bedingungen an den Krankenhäusern sogar so weit, dass 40 Prozent der Klinikärzte dort ihren Beruf aufgeben würden, wenn sich nicht schnell etwas ändert. Da der Frust bei den Ärzten in Niedersachsen sogar 5 Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegt, lohnt ein tieferer Blick in die Ergebnisse der Umfrage.

Mehr als 7.000 Ärzte nahmen an der Online-Befragung teil

Rund 1.300 Antwortbogen aus dem Zeitraum eines Monats (20. Mai bis 19. Juni 2022) hat der Marburger Bund Niedersachsen für die größte Ärzteumfrage des Landes ausgewertet. Das waren die gültigen Antworten von 7.135 eingegangenen E-Mails, die Rücklaufquote lag bei 18 Prozent.

85 Prozent der Teilnehmenden arbeitete in Krankenhäusern, davon etwa die Hälfte in öffentlichen Einrichtungen. 53 Prozent waren weiblich, 43 Prozent 40 Jahre und jünger, 35 Prozent der Befragten waren Ärzte in Weiterbildung, ein Drittel arbeitete in Teilzeit.

Von den Befragten waren 39 Prozent tätig in einem kommunalen Krankenhaus, 18 Prozent in kirchlichen Krankenhäusern, 13 Prozent in Unikliniken, 15 Prozent in einem Krankenhaus in privater Trägerschaft, 6 Prozent in ambulanten Einrichtungen, der Rest in anderen Einrichtungen. 35 Prozent waren Ärzte in Weiterbildung, 24 Prozent Fachärzte, 27 Prozent Oberärzte, 8 Prozent Chefarzt-Stellvertreter, 2 Prozent Chefärzte und 1 Prozent Ärzte in anderen Positionen.

Arbeitszeit mit starkem Gefälle zwischen Traum und Wirklichkeit

Bei der Befragung sollten die Teilnehmenden angeben, wie viele Stunden in der Woche sie gerne arbeiten würden und wie viele Stunden am Ende tatsächlich zusammenkommen. Hier gibt es große Unterschiede:

12 Prozent der Ärzte würden gerne 5-29 Stunden arbeiten. Dies schaffen 7 Prozent. 39 Prozent möchten 30-39 Stunden arbeiten, dies schaffen allerdings nur 13 Prozent. Bei einer Arbeitszeit von 40-48 Wochenstunden liegt der Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit bei 41 zu 28 Prozent. 49-59 Stunden möchten 7 Prozent der Befragten arbeiten, das machen aber 36 Prozent. Nur ein Prozent möchte 60-70 Stunden arbeiten, es sind aber immerhin 15 Prozent, die das dennoch tun. 2 Prozent der Ärzte arbeiten sogar mehr als 80 Stunden in der Woche, obwohl keiner den Wunsch hatte.

Das heißt am Ende, dass 17 Prozent der Krankenhausärzte 9-19 Überstunden pro Woche machen. Diese Situation scheint den Anstieg an Ärzten zu erklären, die in Teilzeit arbeiten. Waren es 2019 noch 29 Prozent, sind es 2022 schon 31 Prozent. Umgerechnet sind das 28.000 unbezahlte Überstunden in der Woche und 2.700 Vollzeit-Stellen, die Ärzte mit ihren Überstunden abdecken. 

So kann die Arbeitsbelastung für Ärzte verringert werden

Wie bereits Umfragen in den USA ergeben hatten, steigt mit einer Überlastung auch das Risiko für Depressionen. Tatsächlich empfinden Ärzte die Belastung als eine Gradwanderung zwischen ihrer eigenen und der Gesundheit des Patienten, was eine teilnehmende Ärztin auf den Punkt brachte: "Für mich ist es ein frustrierender und zermürbender Zustand, wenn ich mich in meiner Arbeit als Ärztin zwischen meinem und dem Gesundheitszustand des Patienten entscheiden muss." Um diese Belastung zu reduzieren, stellt der Marburger Bund Niedersachsen stellvertretend für die Ärztinnen und Ärzte folgende Forderungen, und das auch im Sinne der Patientensicherheit:

Warum wollen Ärzte ihren Beruf aufgeben?

Rund 70 Prozent der Ärzte sind mit den Arbeitsbedingungen nicht zufrieden. 20 Prozent finden ihre Arbeitsbedingungen sogar nur schlecht. Bei den Ärzten in Weiterbildung sind das 39 Prozent. Der Frust bezieht sich nicht auf die ärztliche Tätigkeit, sondern darauf, dass diese zu kurz kommt, weil Ärzte so viel Zeit mit der schriftlichen Dokumentation verbringen, wie eine Teilnehmerin mit einer Notiz deutlich machte: "Ich verbringe am Computer mehr Zeit als im Kontakt mit dem Patienten, was mich unzufrieden macht und meine Idee zerstört, warum ich Ärztin geworden bin."

Das führt dazu, dass rund 40 Prozent der Ärzte einem Berufswechsel nicht abgeneigt wären. "Ich würde gerne meine Patienten am Bett mit mehr Zeit und Empathie versorgen", schrieb ein Umfrageteilnehmer. "Es sieht in aktuellem Zustand unmöglich aus. Deswegen möchte ich nicht länger ärztlich tätig sein." Insgesamt 22 Prozent antworteten auf die Frage, ob sie ihren Beruf aufgeben würden, mit Ja und 19 Prozent waren sich nicht sicher, ob sie im Ernstfall einen Schlussstrich ziehen würden. Ein krasser Gegensatz zur Zeit vor der Corona-Pandemie: 2019 antworteten 83 Prozent mit Nein und nur 17 mit Ja, unsicher war damals keiner. Ein Grund könnte auch im Stellenabbau während der Corona-Zeit liegen. 39 Prozent der Ärzte in Niedersachsen machten diese Erfahrung, bei privaten Trägern waren es sogar 53 Prozent. Bundesweit waren es 34 Prozent der Ärzte, die vom Stellenabbau in ihren Kliniken mitbekommen hatten. Der Marburger Bund fordert bereits eine Krankenhausreform.

Wie kann man den Stellenabbau an Kliniken verhindern?

Hier hat der Marburger Bund drei Forderungen an das Land Niedersachsen:

Digitalisierung macht vor der Krankenhaustür Halt

Zusätzlich erhöhen unbezahlte Überstunden den Frust bei der Ärzteschaft. Bei 26 Prozent der Befragten wurden die Überstunden überhaupt nicht bezahlt. 52 Prozent erhielten einen Freizeitausgleich.

Die Zahlen könnten sogar höher ausfallen, wenn es in allen Kliniken eine angemessene Zeiterfassung gäbe. Bei 28 Prozent gab es keine, bei 21 Prozent erfolgt sie noch handschriftlich. Hier gab es im Vergleich zu 2019 fast keinen Unterschied. Fortschritt sieht anders aus.

Scheinbar lassen die im Mai beschlossenen neuen Tarifverträge an kommunalen Kliniken die Zahlen besser ausfallen. In kommunalen Kliniken wurden "nur" bei 20 Prozent keine Arbeitszeiten erfasst, 64 Prozent der Krankenhäuser erfassten sie bereits elektronisch. Am wenigsten fortschrittlich sind kirchliche Krankenhäuser mit 38 Prozent nicht erfasster Arbeitszeit.

Dass viele Ärzte noch Überstunden an ihre eigentliche Arbeitseit hängen, könnte auch an den Verwaltungstätigkeiten und der Organisation liegen. Rund 3 Stunden verbringen Ärzte mit der Dokumentation ihrer Arbeit oder um OP-Voranmeldungen zu machen. Das ist Zeit, die ihren Patienten verloren geht, so der Marburger Bund. Darum fordert er:

Mangelnde IT-Ausstattung bremst Digitalisierung

Rund 60 Prozent der Umfrageteilnehmer hatten Probleme mit der IT-Ausstattung in ihrer Klinik. 80 Prozent kritisierten, dass sie identische Daten mehrfach eingeben müssen, statt ein System zu haben, dass dies automatisch übernimmt. Das liegt auch daran, dass die Mitarbeiter oft mit der Technik allein gelassen werden. 71 Prozent der Befragten bekommen keine IT-Schulungen und müssen sich selbst ausbilden. Der Marburger Bund fordert darum eine moderne IT-Infrastruktur im Gesundheitswesen.

Wie sehr die digitalen Bedingungen der Wirklichkeit hinterher hinken, damit haben auch Hausärzte wie Blog-Autorin Dr. Petra Sandow ihre Erfahrungen gemacht.

Auch Klimaschutz gehört zur Klinik der Zukunft

Klimaschutz ist an Kliniken mehr oder weniger ein Fremdwort, wie die Umfrage zeigt. 33 Prozent der Ärzte wissen gar nicht darüber Bescheid, welche Maßnahmen es an ihrer Klinik gibt und 47 Prozent wissen, dass es keine Maßnahmen gibt. Weil Krankenhäuser viel CO2 verursachen, sollte dringend das Einsparpotential analysiert werden, fordert der Marburger Bund sowie die Schaffung sogenannter Green Hospitals. Dafür müsse ein Sonderfonds eingerichtet werden.