Machell T. A Case of the Cancer of the Penis, Extirpated with Success. Edinb Med Surg J 1808; 4(13): 50–53
Im Jahr 1806 stellte sich ein 65-jähriger Mann mit einer Erkrankung am Penis bei Dr. Thomas Machell in Wolsingham, UK vor. Der Patient machte einen eingefallenen, sehr schlanken Eindruck und litt offensichtlich unter einer rosenblütenartigen, unregelmäßigen und in Teilen dunkel verfärbten Wucherung im Schambereich und an der Vorhaut des Penis, die ihren Ursprung im Bereich der Glans Penis zu haben schien.
Im Bereich der Glans fand sich zudem eine ausgeprägte Phimose. Die Miktion war auf natürlichem Wege nicht mehr möglich, sodass der Urin aus vier kleinen Öffnungen entlang der Wucherung austrat. Aufgrund dessen litt der Mann unter ausgeprägten, brennenden Schmerzen während der Miktion und roch durchdringend nach Urin.
Aus der weiteren Befragung ergab sich, dass der Mann wohl seit Kindheitstagen unter einer ausgeprägten Phimose litt, die es ihm unmöglich machte, die Glans vollständig freizulegen.
Circa 8 Jahre vor dieser Konsultation bemerkte der Patient erste Probleme beim Wasserlassen, welche sich in den folgenden Jahren weiter verstärkt hatten. Bereits zwei Jahre später war das Wasserlassen sehr stark eingeschränkt. Die Verengung der Harnröhre versuchte er durch Einführen eines gewöhnlichen Stiftes auszugleichen.
Kurz darauf stellte er erstmals eine kleine, etwa erbsgroße Läsion am Penis fest. Diese wuchs innerhalb von 5 Jahren weiter heran, gleichzeitig nahmen die Schmerzen zu. Gehen oder Laufen wurden für den Patienten zudem immer beschwerlicher. Die Schmerzen bei der Miktion wurden im gleichen Zeitraum unerträglich. Trotz dieser Symptomlast verweigerte der Patient nach der ersten Konsultation eine entlastende Operation.
Nach 2 Monaten bestellte Machell seinen Patienten erneut ein und fand ihn in einem deutlich verschlechterten Allgemeinzustand vor. Der Mann klagte über Nachtschweiß, Muskelschwäche und machte einen insgesamt debileren Eindruck.
Der Progress der Wucherung beunruhigte den Mann zusätzlich: Die Haut des Penis hatte sich stellenweise livide verfärbt und war an drei weiteren Stellen perforiert. Dr. Machell bestand aufgrund der neuen Befundlage auf einer schnellstmöglichen Operation, was der Patient zuerst abermals entschieden ablehnte. Daraufhin erklärte ihm der Arzt den weiteren Verlauf der Erkrankung und das dann unvermeidliche Ende, woraufhin der Patient einlenkte und dem Eingriff schließlich doch noch zustimmte.
Aufgrund der weit fortgeschrittenen Erkrankung war eine Exzision der Läsion nicht ohne Verlust großer Teile gesunden Gewebes, z. B. im Bereich des Skrotums, mehr möglich. Eine rasch eingeholte Zweitmeinung bestärkte Machell in dieser Ansicht.
Der Penis wurde daraufhin insgesamt entfernt, was zu einer massiven Blutung führte, die mithilfe eines Assistenten und des beherzten Verschlusses der größeren Arterien gestoppt werden konnte. Das Anbringen einer Aderpresse war aufgrund der anatomischen Gegebenheiten nicht möglich. Nach dem Stillen der Blutungen wurde das Skrotum verschlossen und eine Zeit beobachtet. Kleinere Blutungen wurden ebenfalls gestillt und erneut der Erfolg dieser Maßnahme abgewartet.
Schließlich setzte Machell Wundauflagen ein, über welche er einen Silberkatheter in die verbliebene Harnröhrenöffnung einbrachte, um den Urin abzuleiten. Der Patient wurde daraufhin nach Abschluss des Eingriffes ins Bett umgelagert und erhielt Opiate zur Schmerzlinderung.
Am nächsten Morgen klagte der Patient neuerlich über starke Schmerzen. Die Wundauflagen waren verrutscht, der Silberkatheter dichtete dadurch nicht ausreichend ab, sodass Urin in die Wunde und das Skrotum gelaufen war. Kleinere Kanülen schlossen ebenfalls nicht ab und den Silberkatheter abdichtend in die Harnröhre einzuführen, verursachte dem Patienten dauerhaften Schmerz. Eine andere Lösung musste also her:
Dr. Machell formte daraufhin aus einer Zinnfolie, Bleiblech verschiedener Stärken und Pflastern eine Ablaufrinne, welche den Urin aus der Urethra aufnehmen und aus dem Skrotum ableiten konnte. Diese Methode war in der Tat so erfolgreich, dass der Patient nach zwei Monaten bei gutem Allgemeinbefinden entlassen werden konnte. Ein halbes Jahr später traf Machell seinen Patienten bei bester Gesundheit erneut an und dieser versicherte ihm, dass die Schmerzen vor der Operation sehr viel schwerer wogen als der Eingriff und dessen Folgen für sein weiteres Leben.
Thomas Forster, der 65-jährige Patient mit fortgeschrittenem Tumor unbekannter Genese, zeigte anamnestisch aus heutiger Sicht einen klaren Risikofaktor, wie er in der S3-Leitlinie Peniskarzinom der DGU aufgeführt wird. Demnach besteht bei einer anhaltenden Phimose ein erhöhtes Lebenszeitrisiko für ein Peniskarzinom.
Prof. Dr. med. Oliver Hakenberg, Leiter der Leitlinienkommission der S3-Leitlinie Peniskarzinom, beurteilt den Fall folgendermaßen:
"In dieser Krankengeschichte aus dem Jahr 1807 beschreibt der Chirurg Mr.Thomas Machell die für heutige Verhältnisse bemerkenswerte und schwierige Behandlung eines fortgeschrittenen Penistumors, von dem er annahm, dass dieser maligne sei. Typisch ist das Alter des Patienten (65 Jahre) und der beschriebene Umstand, dass wohl lebenslang eine Phimose bestanden hatte. Der große, exulzerierte Tumor hatte die Urethra komplett blockiert, das Wasserlassen durch fistelartige Öffnungen war extrem schmerzhaft. Zunächst lehnte der Patient eine Operation ab, verständlicherweise, denn die Narkose musste erst noch erfunden werden. Zwei Monate später stimmte er einer Operation schließlich zu. Dr. Machell zog einen weiteren Arzt hinzu, um zu beraten, wie zur Sicherheit des Patienten und zur Sicherheit des eigenen Rufes („…due regard to our own reputations“) am besten vorzugehen sei. Die Operation war naturgemäß mit den damaligen Möglichkeiten schwierig, da Blutstillung nur durch Ligaturen zu erreichen war. Schwierig war auch die postoperative Wundversorgung, insbesondere eine sichere und schmerzfreie Urinableitung bereitete große Probleme, was Dr. Machell dann durch Formung eines Röhrchens aus Blechfolie lösen konnte. Sechs Monate nach der Operation war der Patient laut Bericht in gutem Allgemeinzustand und versicherte seinem Chirurgen, dass die Schmerzen vor der Operation viel größer gewesen seien, als die, die er während der Operation zu erleiden hatte."
"Unter den heutigen Umständen ist die Behandlung natürlich viel einfacher. Trotzdem kommen auch heute noch Patienten mit dem Krankheitsbild, dass dieser Beschreibung gleicht – mit lokal weit fortgeschrittenem Tumor, auch mit blockierter Urethra. Zwar muss heute niemand mehr Angst vor einer Operation ohne Narkose haben, aber Angst vor Operationen gibt es immer noch genügend. Auch ist die Urinableitung, die hier solche Probleme bereitete, heutzutage mittels suprapubischer Katheter sehr einfach möglich", so Hakenberg weiter. Dr. Machell beschreibe zudem in seinem Bericht keinerlei Lymphknotenveränderungen in der Leiste, was bei einem Peniskarzinom dieser Größe sehr ungewöhnlich sei.
"Bemerkenswert ist auch, dass der Patient dies alles überlebt hatte. Daher handelte es sich möglicherweise um eine der seltenen nicht metastasierenden Formen des Peniskarzinoms wie das verruköse Plattenepithelkarzinom oder um einen Buschke-Löwenstein Tumor", vermutet Prof. Hakenberg in der Retrospektive.
Dass dieser Patient einen so weit fortgeschrittenen Tumorbefund nach erfolgreicher Operation noch für > 6 Monate überlebt hatte, ist tatsächlich eine große Leistung des damaligen Chirurgen, Dr. Thomas Machell. Schließlich stammt dieser Fall aus einer Zeit lange vor der Entdeckung der Antibiotika – Jedoch dürfte das eingesetzte Silber zumindest eine leicht antiseptische Wirkung gehabt haben.
"Aufgrund dieser antiseptischen Wirkung waren die Instrumente und insbesondere die Einmalkatheter bevorzugt aus Silber bzw. silberbeschichtet", ergänzt Dr. med. Martin Hatzinger, Chefarzt der Klinik für Urologie am Diako Mannheim, selbst auch historisch interessierter Arzt, der beispielsweise dem Rätsel um Napoleons vermeintlichen Penis nachforschte.
"Problem des Penis-Tumors ist, dass er weder strahlensensibel noch chemotherapeutisch suffizient behandelbar ist. Die vorhandenen Chemotherapien haben eher palliativen Charakter, daher steht auch heute noch die operative Sanierung an erster Stelle", so Hatzinger weiter. Methode der Wahl heutzutage sei somit weiterhin die operative Intervention mit Amputation oder Teilamputation. Teilweise sind organerhaltende OP-Methoden bei oberflächlichen Tumoren möglich (glans-resourfacing). Darüber hinaus ermögliche es die plastisch-rekonstruktive urologische Chirurgie heutzutage, selbst bei partiellem oder komplettem Penisverlust das männliche Glied mit erhaltener Sexualfunktion wiederherzustellen, so Hatzinger.
Priv.-Doz. Dr. med. Friedrich Moll vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin am Universitätsklinikum Düsseldorf bewertet den hier vorgestellten Fall abschließend aus der historisch-wissenschaftlichen Perspektive und weist darauf hin, dass retrospektive Analysen leider fast immer unwissenschaftlich seien:
"Denn die hier zugrundeliegende Arbeit fußt noch auf einem anderen Wissenschaftskonzept. So kann in der Urologie allenfalls bei Harnsteinen retrospektiv diagnostiziert werden, wenn diese von einer historischen Persönlichkeit gegebenenfalls auch ausgeschieden wurden. Die Begriffe ‚Cancer‘ und ‚Fungus‘ können eine Vielzahl von Erkrankungen beschreiben, von der Tuberkulose und Syphilis über nicht behandelte Kondylome bis hin zu einer exulzerierenden Balanitis oder einem Urethrealkarzinom. Erst um 1900 wurde das Peniskarzinom auch nach heutiger Sicht korrekt beschrieben. Aufgrund der Seltenheit dauerte es jedoch noch bis in die 1920er Jahre, bis die pathologische Diagnostik auf einigermaßen sicheren Füßen stand."
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