Wie können sich Frauen in der Kardiologie behaupten? Logo of esanum https://www.esanum.de

Frauen in der Kardiologie: Herausforderungen, Chancen und neue Wege

Wie ist es, als Frau im Fachbereich Kardiologie tätig zu sein? Einen spannenden Blick hinter die Kulissen gewähren die Kardiologinnen Dr. Orianne Weizman und Dr. Julinda Mehilli.

Wie ist es, als Frau in der Kardiologie tätig zu sein? 

"Es ist nicht einfach, als Kardiologin Karriere zu machen", stellt Dr. Weizman fest, "umso schwieriger ist es, Erfahrungen in der interventionellen Kardiologie zu sammeln". Prof. Mehilli berichtet ebenfalls vom langen, steinigen Weg und den unendlich vielen Stunden, die sie im Herzkatheterlabor verbrachte. In Europa sind im Durchschnitt mehr als 60% der Medizinstudierenden Frauen, in Deutschland sind es sogar 67%.1 In der interventionellen Kardiologie entfallen nur noch ca. 10% auf Frauen. Dieser eklatante Unterschied ist nicht nur in der klinischen Tätigkeit, sondern auch in der Forschung und Entwicklung zu finden. Whitelaw et al. berichten über die Unterrepräsentation von Frauen in der Kardiologie, die Studien zur Herzinsuffizienz (HF) in hochrangigen Fachzeitschriften zwischen 2000 und 2019 publiziert haben. In den letzten zwei Jahrzehnten hatte nur eine von sieben Studien eine weibliche Erstautorin und lediglich eine von zehn Studien eine weibliche korrespondierende (Letzt-)Autorin.2

Prof. Dr. Mehilli hat beim ESC-Kongress mit mir über ihre Erfahrungen auf dem Weg zur Kardiologin gesprochen. Hier können Sie sich das gesamte esanum-Interview ansehen:

Strukturelle Hürden für Frauen in der Kardiologie

Die Gründe für den Mangel an Frauen in der interventionellen Kardiologie sowie in Führungspositionen lassen sich auf mehreren Ebenen zurückverfolgen. Zunächst gilt die Kardiologie als Fach mit hoher Konkurrenz unter den angehenden Fachärztinnen und -ärzten. Nicht nur Fleiß und solides fachliches Wissen sind wichtig für den Zugang zum Herzkatheterlabor, sondern auch enge Beziehungen zu den zuständigen Oberärzten und Oberärztinnen, die häufig über weitere Karriereschritte des medizinischen Nachwuchses entscheiden. 

Zudem beginnt die Einarbeitung im Herzkatheterlabor meist am Ende der Facharztausbildung, die häufig  zeitgleich mit der Gründung einer eigenen Familie zusammenfällt. Hierdurch entsteht unvermeidlich ein klarer Vorteil für die männlichen Kollegen. Männer garantieren eine gewisse "Kontinuität" in der Ausbildungs- und Versorgungskette, während Frauen durch die Abwesenheit am Arbeitsplatz im Rahmen des Mutterschutzes benachteiligt werden. Auch die Strahlenbelastung im Herzkatheterlabor wird als Argument gegen die Einsetzbarkeit der Ärztinnen in diesem Feld genutzt.

Zukunftsaussichten für Kardiologinnen

Glücklicherweise zeigten sich unsere beiden Referentinnen für die Zukunft dennoch optimistisch. Prof. Mehilli meint, dass die Lage für Frauen vor fünfzehn Jahren deutlich ungünstiger war, und die Gesellschaft heutzutage mehr Akzeptanz für Frauen, die Karriere machen wollen, zeige. Politische Gleichstellungsmaßnahmen wie Elternzeit werden von Vätern immer mehr genutzt und gelten nach und nach als "Normalität" in den Kliniken. Wenn Ärztinnen und Ärzte die Elternzeit auf dieselbe Weise in Anspruch nehmen würden, würden strukturelle Hindernisse in der Ausbildung entfallen. "Ein wichtiger Aspekt, der von vielen Kardiologinnen wenig beachtet wird, ist das Networking und das Mentoring", betont Prof. Mehilli. Um in die Führungsetagen zu gelangen, brauche man nicht nur fundiertes fachliches Wissen, sondern auch social und soft skills, die durch Fachvorgesetzte sowie andere Kollegen und Kolleginnen auf Kongressen und Workshops erlangt werden können. Hierfür hat sie mit anderen europäischen Kolleginnen die "EAPCI-Women-Initiative" bei der europäischen Gesellschaft für Kardiologie gegründet.3 Dieser Arbeitskreis setzt sich dafür ein, die Gleichstellung der Geschlechter in der interventionellen Kardiologie auf Berufs- und Patientenebene zu erreichen.

Das Gespräch mit den beiden Kardiologinnen, Frau Dr. Weizman und Frau Prof. Dr. Mehilli, verdeutlicht die Schwierigkeiten, die es für die Frauen in der Kardiologie und Medizin generell zu bewältigen gibt. Dennoch lässt sich positiv auf die Zukunft blicken: Der Wandel in der Gesellschaft wird sichtbarer, und die Strukturen werden langsam geschaffen, die Vereinbarkeit der Familienplanung und der wissenschaftlichen oder klinischen Karriere bei jungen Ärztinnen ermöglichen.

Quellen:
  1. “Studierende der Medizin nach Geschlecht bis 2021/2022.” Statista, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/200758/umfrage/entwicklung-der-anzahl-der-medizinstudenten/. Accessed 24 September 2022.
  2. Whitelaw S., Thabane L., Mamas M.A., et al. "Characteristics of heart failure trials associated with under-representation of women as lead authors". JACC 2020;76:1919-1930.
  3. https://www.escardio.org/Sub-specialty-communities/European-Association-of-Percutaneous-Cardiovascular-Interventions-(EAPCI)/Membership-and-Communities/The-EAPCI-Women-Initiative