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Mitochondriale Erkrankungen: Welche Warnzeichen gibt es?

Primäre mitochondriale Erkrankungen sind eine komplexe Gruppe von Stoffwechselstörungen. Einige "red flags" können helfen, sie im Praxisalltag zu erkennen.

Eine der häufigsten unter den Seltenen: Was sind PMDs?

Den PMDs liegt eine genetisch bedingte Störung der mitochondrialen oxidativen Phosphorylierung zugrunde, der Endstrecke der aeroben Energiegewinnung. Sie sind die häufigsten genetisch bedingten Stoffwechselstörungen beim Menschen, mit einer Prävalenz von etwa 1 Fall auf 4.300 Einwohner. Die erste Erkrankung, für die eine Mutation eines an der Atmungskette beteiligten Gens als ursächlich beschrieben wurde, war die hereditäre Leber-Optikus-Neuropathie (LHON).1-2 

Die krankheitsverursachenden Mutationen können sich in der nukleären oder der mitochondrialen DNA (mtDNA) befinden. Aufgrund der Vielzahl der relevanten Gene und deren Vorkommen überall im Körper ist das klinische Erscheinungsbild sehr heterogen. Vorrangig sind Gewebe mit hohem Energiebedarf betroffen, wie Muskeln und Nervensystem

Das Erkrankungsalter ist unterschiedlich, wobei besonders schwere Defekte im Allgemeinen in der Kindheit zutage treten. Jede menschliche Zelle enthält tausende Kopien der mtDNA. Bei Geburt sind diese normalerweise alle identisch (Homoplasmie), aber bei Erkrankungsträgern beherbergen die Zellen eine Mischung aus mutierter und Wildtyp-mtDNA. Erst, wenn der Anteil der abnormen mtDNA-Varianten einen kritischen Schwellenwert überschreitet, wird eine Funktionsstörung der Atmungskette offenkundig.3

Im Erwachsenenalter relevante PMDs sind etwa die chronisch-progressive externe Ophthalmoplegie (CPEO), das Kearns-Sayre-Syndrom (KSS), mitochondriale Enzephalomyopathie, Laktatazidose und schlaganfallähnliche Episoden (MELAS), Myoklonusepilepsie mit RRF (MERRF), Neuropathie, Ataxie und Retinitis pigmentosa (NARP), mitochondriale neurogastrointestinale Enzephalomyopathie (MNGIE) und die mitochondriale Myopathie (MM).2

Wichtige Anzeichen können den Verdacht lenken: Was gilt als red flag für mitochondriale Erkrankungen? 

Zu den häufigen klinischen Manifestationen mitochondrialer Störungen gehören Ptosis, externe Ophthalmoplegie, proximale Myopathie und Belastungsintoleranz, Kardiomyopathie, sensorineurale Taubheit, Optikusatrophie, pigmentäre Retinopathie und Diabetes mellitus (wobei die Patienten in der Regel jung und nicht übergewichtig sind).3 

Der Reviewartikel gibt einen Überblick und beschreibt anschließend in einzelnen Kapiteln neurologische, gastrointestinale, kardiovaskuläre, renale, endokrine und sonstige Warnzeichen für die wichtigsten mitochondrialen Manifestationen.

Alle Symptomcluster auch hier nach Organsystemen aufzuzählen, würde den Umfang des Beitrages erheblich übersteigen, aber beispielsweise im Bereich des zentralen Nervensystems können folgende Merkmale hinweisgebend sein (red flags für PMD in Klammern):1,3

Im Anschluss an die klinische Evaluation sind Routine-Laboruntersuchungen, bildgebende Verfahren, Nervenleitfähigkeitsuntersuchungen, Elektromyographie, Herz- und Netzhautuntersuchungen die nächsten Schritte im Diagnoseprozess, welcher schließlich in gezielten molekularen Tests mündet. 

Fazit für die Praxis: Zur Abklärung an spezialisierte Zentren überweisen

PMDs gehören zu den häufigsten erblichen neurometabolischen Störungen. Es handelt sich meist um multisystemische Krankheiten, deren klinische und genetische Vielgestaltigkeit schwierig zu navigieren sein kann. Besteht der Verdacht auf eine PMD, ist zunächst die Familienanamnese zu erheben, wobei auf minimale und scheinbar unspezifische ("weiche") Anzeichen in der Familie geachtet werden sollte. Neben den oben angerissenen phänotypischen "red flags" können zudem verschiedene Biomarker weitere Anhaltspunkte liefern – von gängigen Parametern im Blut, Urin und Liquor (wie Laktat, Pyruvat, Creatinkinase und Aminosäuren) bis hin zu sehr speziellen Biomarkern, die teils nur histologisch oder histochemisch mittels einer Muskelbiopsie zu bestimmen sind. Molekulargenetische Zusatzuntersuchungen, insbesondere Next Genome Sequencing-Verfahren aus Blutproben, können in nicht allen, aber einigen Fällen die Diagnose beschleunigen und invasive Untersuchungen ersparen. 

Laut Leitlinie sollten Diagnostik und Therapie in spezialisierten neuromuskulären Zentren erfolgen. Seit 2019 besteht das Deutsche Netzwerk für mitochondriale Erkrankungen (mitoNET). An teilnehmenden Zentren können Kinder und Erwachsene in standardisierter Weise untersucht und in ein Patientenregister aufgenommen werden (mitoREGISTRY).Die aktuelle deutsche S1-Leitlinie der DGN ist hier frei zugänglich.

Rare Disease Day

230124-Rare-Disease-Day-Bann..Seit 2008 findet jedes Jahr Ende Februar der weltweite Tag der seltenen Erkrankungen statt. esanum begleitet den Tag und berichtet nicht nur über aktuelle Themen, sondern auch über mögliche Symptomkomplexe, Diagnostik, Therapieansätze und Orphan Drugs zur Behandlung von seltenen Krankheiten. Weitere Beiträge finden Sie im Themenspecial zum Rare Disease Day.

Quelle:
  1. Conti, F. et al. Red Flags in Primary Mitochondrial Diseases: What Should We Recognize? International Journal of Molecular Sciences 24, 16746 (2023).

  2. V, A. der W. M. F. e. Mitochondriale Erkrankungen | Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. https://www.awmf.org/service/awmf-aktuell/mitochondriale-erkrankungen (2021).

  3. Chinnery, P. F. Primary Mitochondrial Disorders Overview. in GeneReviews® (eds. Adam, M. P. et al.) (University of Washington, Seattle, Seattle (WA), 2021).