Post-COVID: Wie Reha helfen kann Logo of esanum https://www.esanum.de

Rehabilitation bei Post-COVID - es geht um Krankheitsbewältigung

Post-COVID hat starke körperliche und psychische Auswirkungen auf Betroffene. Bei der Linderung der Beschwerden kann eine Reha helfen. Im Interview mit Psychotherapeutin Alexa Kupferschmitt.

Interview mit Alexa Kupferschmitt

esanum: Frau Kupferschmitt, wann sollte eine Rehabilitation bei Menschen mit Post-COVID-Syndrom in Betracht gezogen werden?

Alexa Kupferschmitt: Das kommt dann infrage, wenn die Patienten unter Post-COVID-Beschwerden leiden, die sie erheblich in der Aktivität und Teilhabe einschränken. Also nicht jeder, der nach COVID-19 Infektion ein Symptom zurückbehalten hat, ist gleich ein potentieller Reha-Patient. Unsere Patienten sind meistens schon seit drei, oft bis über sechs Monate arbeitsunfähig. Sie kommen in ihrem Alltag nicht mehr klar, weil ihnen die Kraft fehlt. Oft haben sie auch kognitiv erhebliche Einschränkungen, wie Schwierigkeiten in der Konzentration, Aufmerksamkeit oder Merkfähigkeit. Das soziale Leben ist eingeschränkt. Manche sind formal noch arbeitsfähig, fallen aber nach der Arbeit aufs Sofa und schaffen dann so gut wie gar nichts mehr.

esanum: Wie ist das Post-COVID-Syndrom exakt definiert?

Alexa Kupferschmitt: Post-COVID wird als Zustand definiert, der bei Personen auftreten kann, die an SARS-CoV-2 erkrankt sind und bei denen COVID-19 assoziierte Symptome persistieren. Von Long-COVID wird gesprochen, wenn die Symptome länger als vier Wochen fortbestehen. Bestehen die Symptome länger als 12 Wochen, so wird von Post-COVID gesprochen. Entscheidend für die Diagnose eines Long-/Post-COVID Syndroms ist zum einen der Ausschluss anderer Erkrankungen, die die Symptomatik besser erklären könnten, zum anderen müssen die Symptome Einfluss auf die tägliche Alltagsfunktionsfähigkeit haben.  

Am Anfang steht also die Erkrankung, die Corona-Infektion. Und danach dauern bestimmte Beschwerden mindestens 12 Wochen an. Dazu gehören Fatigue, kognitive Störungen, Dyspnoe, Atemnot, Herz-Kreislauf-Beschwerden. Und ein weiteres Kriterium ist, dass diese Probleme die tägliche Alltagstauglichkeit, z.B. die Bewältigung des Haushalts, des Berufs oder die Teilhabe am Sozialleben beeinträchtigen. In der Regel landen Patienten bei uns, wenn sie schon gut durchdiagnostiziert sind und bei denen organisch "alles in Ordnung" ist.

esanum: Welche positiven Effekte hat eine Rehabilitation beim Post-COVID-Syndrom?

Alexa Kupferschmitt: Mir ist ganz wichtig zu betonen: Reha wirkt. Und Reha ist unbedenklich für Menschen mit Post-COVID. In der Presse wurden ja schon Dinge gesagt wie: "In den Rollstuhl rehabilitiert". So etwas sehen wir gar nicht, was allerdings auch an unserem auf die Bedürfnisse der Post-COVID Patienten angepassten Reha-Programm liegen kann. Wir achten stark darauf, unsere Patienten nicht zu überlasten, aber auch nicht zu unterfordern. Bei uns sind bisher alle Patienten besser geworden. Wir haben das wissenschaftlich begleitet und hohe Effektstärken für die Reha gefunden. Wir haben natürlich auch auf Post-Exertional Malaise (PEM) kontrolliert. Der Sechs-Minuten-Gehtest, den wir als Surrogatparameter für PEM genutzt haben, ist bei keinem einzigen Patienten schlechter geworden. Im Gegenteil. In der Einzelfallanalyse konnten wir deutliche Steigerungen der Gehstrecke feststellen. Die Patienten sind also besser geworden. Und das psychische Befinden hat sich ebenfalls deutlich gebessert. Nur die kognitiven Einschränkungen verändern sich in der Regel in den fünf Reha-Wochen bei uns nicht wesentlich. Diese sind hartnäckig und persistieren deutlich länger. Da braucht es wahrscheinlich erheblich mehr Zeit und ein intensives kognitives Training, das sagen auch die neurologischen Kollegen.

esanum: Wie sieht Ihr spezielles Vorgehen in den Rehabilitationsmaßnahmen aus?

Alexa Kupferschmitt: Wir haben ein geschlossenes Gruppenkonzept. Die Patienten reisen gemeinsam an und durchlaufen ein multimodales Programm. Neben der somatischen Betreuung haben wir die psychotherapeutische Begleitung, bei der es vor allem um Krankheitsbewältigung und ein gutes Energie- und Pausenmanagement, bzw. “Pacing” geht. Die Menschen haben durch ihre stark einschränkenden Beschwerden ein komplett anderes Leben, sie fühlen sich ausgebremst und das macht etwas mit der Psyche. Wir gehen aber nicht davon aus, dass die Post-COVID-Beschwerden von der Psyche ausgelöst werden - wie manchmal missverständlich angenommen wird. Post-COVID ist eine durch ein Virus ausgelöste Multisystem-Erkrankung, die sich körperlich auswirkt und auch erhebliche Folgen für das psychische Wohlbefinden haben kann. Es geht also eher um eine Wechselwirkung zwischen Körper und Seele.

Weiter ist ein Bewegungsprogramm ganz entscheidend. Dafür haben wir eine Bewegungstherapeutin, die sehr individuell auf die Patienten eingeht, damit sie sich mit Augenmaß bewegen, nicht über ihre Grenzen hinweg gehen, sich aber auch nicht unterfordern. Zuletzt sind noch das kognitive Training und die Atemtherapie zu nennen. 

esanum: Von wie vielen Patienten sprechen wir eigentlich?

Alexa Kupferschmitt: Man geht davon aus, dass zehn Prozent der Infizierten Post-COVID bekommen und zwei Prozent davon werden rehabilitationsbedürftig. Wir haben im Reha-Zentrum Seehof bisher über 200 Patienten betreut, in der PoCoRe-Studie sind aktuell ca. 160 Patienten von uns und über alle Studienzentren hinweg sind über 1000 eingeschlossen. Unsere Warteliste ist voll. Das Thema wird uns noch eine Weile begleiten.

esanum: Ist die stationäre Behandlung einer ambulanten vorzuziehen?

Alexa Kupferschmitt: Das kommt auf das Ausmaß der Beschwerden und die dadurch resultierenden Einschränkungen an. Wenn jemand lange stark eingeschränkt ist, macht die stationäre Reha auf jeden Fall Sinn. Aber es gibt deutlich mehr Patienten als stationäre Reha-Plätze. Und deswegen ist es notwendig, dass auch ambulante Programme angeboten werden. Es müssen viele Kollegen psychotherapeutisch geschult werden. Auch die Hausärzte müssen geschult werden, damit sie eine gute Diagnostik und Betreuung durchführen können. Und auch Bewegungstherapeuten müssen speziell geschult werden. Dafür gibt es auch immer wieder Schulungsprogramme. Es gibt leider nur sehr wenige Neuropsychologen, die ein kognitives Training anbieten können. Und Ergotherapeuten sind auch weitgehend überlaufen. Aber es gibt sehr gute Apps. Das kognitive Trainingsprogramm Neuronation ist zum Beispiel mit der FU Berlin entwickelt worden und kann auch von Krankenkassen bezahlt werden.

esanum: Was können insbesondere die Hausärzte beitragen?

Alexa Kupferschmitt: Sie sind die ersten Anlaufstellen. Doch sie müssen keine Post-COVID-Spezialisten sein - die gibt es ohnehin noch kaum. Wichtig ist, dass sie sich interessiert zeigen, sich zu Post-COVID weiterbilden. Sie sollten den Patienten zuhören, auf die Beschwerden eingehen und an die entsprechenden Fachärzte zur diagnostischen Abklärung weiterleiten - und dann die Patienten auf Symptomebene weiter betreuen. Denn eine kurative Therapie gibt es aktuell noch nicht.

Kurzbiografie von Alexa Kupferschmitt

Alexa Kupferschmitt ist Psychologin und Psychotherapeutin im Reha-Zentrum Seehof. Außerdem ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uniklinik Regensburg und betreut die Multicenter-Studie zur Post-COVID-Reha (PoCoRe) im Studienzentrum Reha-Zentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung.