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Long-COVID: Fakt oder Fiktion?

Bei der neurowoche 2022 beschäftigte sich der stellvertretende DGN-Präsident Prof. Lars Timmermann mit der provokanten Frage, ob Post-COVID wirklich existiert.

Long-COVID als Thema tausender Studien

Eine erst kürzlich in der Nature Medicine erschienene Studie von Xu et al.1 untersuchte anhand von 155.000 Veteranen die Häufigkeit von neurologischen Problemen ein Jahr nach einer COVID-19-Infektion im Vergleich zu nicht erkrankten älteren Menschen. Von 1.000 Patienten hatten 70 Menschen mehr als in der Kontrollgruppe eine neurologische Erkrankung entwickelt. Zu den Erkrankungen zählten kognitive Dysfunktionen, Strokes oder Parkinson. Umgerechnet auf die eine Million Einwohner von Köln, hätten damit 70.000 Menschen neurologische Probleme nach einer Infektion mit dem Coronavirus entwickelt.

Timmermann sieht eine Welle von Neuerkrankungen auf die Neurologie zukommen. Die größte Herausforderung sei dabei, Long-COVID zu definieren. Weil bis heute keine sicheren Biomarker gefunden seien, würden zur Diagnose von Long-COVID die Krankheitssymptome herangezogen und Fragebögen ausgewertet. Häufig verwendete Fragebögen sind:

Allerdings erschwert der Einsatz verschiedener Varianten die Vergleichbarkeit von Befunden und Daten zu Long-COVID.

Die bereits viel diskutierte prospektive Studie der Universität Duisburg-Essen2 hat 171 überwiegend weibliche Post-COVID-Betroffene mit mehrheitlich mildem Verlauf der Corona-Erkrankung untersucht. Anhand umfangreicher neurologischer Tests und Laboruntersuchungen konnte gezeigt werden, dass es größtenteils kognitive Beeinträchtigungen gab, wie Konzentrationsprobleme, Fatigue und Gedächtnisstörungen. Auffallend war, dass bei den meisten Betroffenen auch vor der Corona-Erkrankung bereits einmal diejenigen neurologischen Erkrankungen diagnostiziert wurden, die sich nach der COVID-19-Infektion zeigten. Vorbestehende psychische Erkrankungen könnten dieser Studie zufolge Risikofaktoren für Long-COVID sein. Darum müsse die Neurologie eng mit anderen Fachrichtungen wie der Psychologie zusammenarbeiten.

Hochinteressant war für Timmermann auch die Arbeit von Swank et al.3 Die Forschenden konnten mithilfe einer ultrasensitiven Technik bei Patienten mit Long-COVID noch 12 Monate nach der Erkrankung Viruspartikel nachweisen. Bei der typischen Kohorte konnten sowohl S1-Proteine als auch Spike-Proteine gefunden werden. Dies lege nahe, dass es bei einigen Patienten noch ein Virusreservoir gebe und eine dauerhafte immunologische Reaktion stattfinde. Dazu passt Timmermann zufolge auch, dass es wie bei Klein et al.4 gezeigte Long-COVID-Patienten mit deutlich reduzierten Cortisol-Spiegeln und einer T-Zell-Erschöpfung gebe. Und dazu passe wiederum die Studie von Captur et al.5, in der eine Proteom-Signatur gefunden wurde, die ein Marker für die Entstehung von Long-COVID sein könnte. In diesem Zusammenhang nannte Timmermann ebenso die Daten aus der UK Brain Bank6. Sie hatte bereits vor der Corona-Pandemie regelmäßig Patienten auf neurologische Auffälligkeiten im Gehirn gescannt und diese Daten mit denen verglichen, die seit dem Beginn der Pandemie erhoben wurden. Hier hatte sich bei einigen Patienten mit einer COVID-19-Infektion ein Rückgang der grauen Substanz im Gehirn gezeigt.

Post-COVID ist also ein Fakt, sagt Timmermann. Allerdings stehe die Medizin noch am Anfang. Bisher wisse man zu wenig über Entstehung und Ursachen von Long-COVID, um Therapien entwickeln zu können. Ein wichtiges Werkzeug sei daher die Prävention, denn die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von Long-COVID liegt einer Studie von Azzolini et al.7 zufolge nach einer Impfung bei 16% und ohne Impfung bei 41,8%.

Mehr News zu neurologischen Erkrankungen finden Sie in unserer Berichterstattung zum DGN-Kongress 2022.

Quellen:
  1. Xu E, Xie Y, Al-Aly Z. Long-term neurologic outcomes of COVID-19. Nat Med 2022 Sep 22.
  2. Fleischer M, Szepanowski F, Tovar M et al. Post-COVID-19 Syndrome is Rarely Associated with Damage of the Nervous System: Findings from a Prospective Observational Cohort Study in 171 Patients. Neurol Ther 2022 Aug 26; 1-21.
  3. Swank Z, Senussi Y, Manickas-Hill Z et al. Persistent circulating SARS-CoV-2 spike is associated with post-acute COVID-19 sequelae. Clin Infect Dis 2022 Sep 2.
  4. Klein J, Wood J, Jaycox J et al. Distinguishing features of Long COVID identified through immune profiling. medRxiv [Preprint]. 2022 Aug
  5. Captur G, Moon JC, Topriceanu CC et al. Plasma proteomic signature predicts who will get persistent symptoms following SARS-CoV-2 infection. EBioMedicine 2022 Sep 27
  6. Douaud G, Lee S, Alfaro-Almagro F et al. SARS-CoV-2 is associated with changes in brain structure in UK Biobank. Nature 2022 Mar.
  7. Azzolini E, Levi R, Sarti R et al. Association Between BNT162b2 Vaccination and Long COVID After Infections Not Requiring Hospitalization in Health Care Workers. JAMA 2022 Aug 16; 328 (7): 676-678