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Patientenorientierung im Internet - Wie Ärzte unterstützen können

Digitale medizinische Informationen stehen Patienten frei zugänglich zur Verfügung. Wie können Ärzte dabei unterstützen, qualitativ hochwertige Gesundheitsinformationen zu separieren?

Informationsdschungel Internet

Medizinische Informationen stehen Patientinnen und Patienten mittlerweile frei zugänglich zur Verfügung. Die Mehrheit der Patienten recherchiert daher in Vorbereitung eines Arztbesuches im Internet nach Symptomen und möglichen Krankheiten. Schnell verliert sich der Patient im Labyrinth der digitalen Welt, in der auch teils ungenaue, fehlerhafte und irreführende Gesundheitsinformationen zu finden sind. Dies kommt der Arzt-Patienten-Kommunikation oft nicht zugute. 

Hinsichtlich der Versorgungsunterschiede in der diabetologischen Praxis kommt es nicht selten vor, dass viele Patientinnen und Patienten zuerst eine Internetrecherche in Betracht ziehen, bevor sie mit der behandelnden Ärztin oder Arzt ins Gespräch gehen. Besonders Allgemeinmediziner müssen heutzutage damit rechnen, dass vorinformierte Patienten in ihre Praxis kommen.

Waltering betont aber, dass diese Vorinformationen genutzt werden sollten, um im Patientengespräch gemeinsam zu entscheiden, wie u.a. eine Behandlung oder eine Diabetestherapie, individuell gestalten können:

“Sie [als Ärztin oder Arzt] bringen natürlich viel mehr Fachwissen mit. Zwölf oder vierzehn Semester Medizinstudium sind natürlich nicht mit einer Internetrecherche zu kontern. Aber ihr Patient, ihre Patientin bringt die eigenen Präferenzen und ihre eigenen Ressourcen mit. Und gemeinsam können Sie dann die richtige, passende Entscheidung treffen.”

Der vorinformierte Patient: Welche Rolle spielt das Internet?

Im europäischen Vergleich liegt der Anteil von Personen im Alter von 16 bis 47 Jahren in Deutschland, die nach medizinischen Informationen im Internet, deutlich über dem EU-Schnitt. 40% der Deutschen suchten im Jahr 2007 nach Gesundheitsinformationen im Internet; im Jahr 2022 waren es bereits 70%.1

Nach einer Umfrage gab die Mehrzahl der Befragten an, dass das Gespräch mit einer Ärztin oder einem Arzt nach wie vor die Hauptquelle für medizinische Informationen ist und dass das Arztgespräch das akut und zuletzt genutzte Medium ist. Kurz darauf folgt bereits die Internetrecherche. Außerdem wurde festgestellt, dass Frauen und Männer unterschiedlich suchen: Während Männer in erster Linie für sich selbst recherchieren, suchen Frauen Gesundheitsinformationen in Bezug auf sich selbst und auf andere.2

Fehlende Gesundheitskompetenz in Deutschland

Dennoch wurde erhoben, dass nur 12% der Befragten dem Internet hinsichtlich medizinischer Auskünfte vertrauen; 57% priorisieren das ärztliche Gespräch.

Waltering begründet dies mit dem Fehlen einer Health Literacy (zu deutsch: Gesundheitsbildung). Demnach ist die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen zu finden, zu  lesen, zu verstehen und zu nutzen, um angemessene gesundheitsrelevante Entscheidungen treffen und umsetzen zu können, bundesweit nicht ausreichend. 

Eine Studie aus 2017 belegt, dass über 54,3% der Teilnehmenden eine eingeschränkte Health Literacy haben. Die Suche und die Beurteilung von Gesundheitsinformationen ist der Bereich, der den meisten am schwersten fiel und in dem sich der Großteil Unterstützung wünscht. 

Eine weitere Studie aus dem Jahr 2021 bestätigt sogar eine Verschlechterung der Health Literacyin Deutschland und zeigt außerdem, dass die digitale Gesundheitskompetenz wie auch die Kompetenz im Bereich der Navigation im Gesundheitssystem in Deutschland sehr schwach ausgeprägt sind.

Wie können Ärzte unterstützen?

Wie in vielen Bereichen der Arzt-Patienten-Beziehung geht es auch hier um eine sensible Sprache und eine gute Kommunikation. Sprechen Sie mit Ihren Patienten über den Nutzen und die Folgen einer Gesundheitskompetenz und informieren Sie über die Tücken im Internet, denn…

Was machen gute Informationen aus?

Eine “gute” Gesundheitsinformation ist “auf dem aktuellen Stand des Wissens, vollständig, verständlich, neutral und dort verfügbar, wo man sie braucht”, so Waltering. In erster Linie steht die Wissensvermittlung. Aktuelle und entscheidungsrelevante Informationen stehen im Fokus und die Fakten werden sachlich wiedergegeben. 

Ein zweiter Aspekt ist die Kompetenzvermittlung. Im Mittelpunkt steht die Stärkung von Kompetenz und das Wissenschaftsverständnis, um unter Berücksichtigung der eigenen Präferenzen und Bedürfnisse Einfluss auf gesundheitliche Entscheidungen nehmen zu können. Das Ziel, so Waltering, ist die gemeinsame, informierte Entscheidung über die Patientengesundheit in Bezug auf Diagnose, Therapie, aber auch Prävention und Reha.

Darüber hinaus geht es um die Kombination mit Empathie. Gemeint sind Informationen, die sich der Perspektive der Betroffenen annähern und ein Verständnis dafür beinhalten, was es bedeutet, mit einer bestimmten Krankheit zu leben.

Die IQWiG hat dazu eine Liste mit Anforderungen an Transparenz, Inhalt und Vermittlung erstellt, wie eine “gute” digitale medizinische Information als solche erkannt werden könnte:

Fazit: Gemeinsam entscheiden

Trotz einer Unzahl an unseriösen und unvollständigen Patienteninformationen im Internet sind evidenzbasierte Gesundheitsinformationen dennoch ein wichtiges Element, damit Patienten fundierte und selbstbestimmte Entscheidungen treffen können. Es geht nicht darum, dem Patienten unzureichende Informationen auszutreiben, sondern gemeinsam einen Weg zu finden, die individuellen Ressourcen und Präferenzen zu nutzen, um gesundheitsrelevante Entscheidungen treffen zu können.
 

Dieser Artikel basiert auf dem Vortrag “Gesundheitsinformationen im Internet: Wie trenne ich Spreu von Weizen?” von Andreas Waltering  auf dem diesjährigen Kuratoriumssymposium “Patientenorientierung im Informationsdschungel – Hilft die digitale und mediale Welt?”. esanum hat die Diabetes Herbsttagung 2022 vom 24. bis 26. November begleitet. Hier geht es zur Konferenz-Berichterstattung.
Weiterführende Informationen:
Quellen: