Gleichberechtigung in der Medizin: Werden Frauen schlechter therapiert als Männer? Logo of esanum https://www.esanum.de

Werden Frauen schlechter therapiert?

Das biologische Geschlecht findet aktuell noch viel zu wenig Beachtung bei der Diagnostik und Therapieplanung im klinischen Alltag. Diese Vernachlässigung der geschlechtsspezifischen Unterschiede kann zu Unterschieden im Behandlungserfolg führen.

Was macht eine schlechte medizinische Behandlung aus?

In ihrem Vortrag beim Rheumatologiekongress 2023 zu den Folgen einer nicht geschlechtsmedizinischen Therapie zog Dr. med. Susanna Späthling-Mestekemper ChatGPT heran. Auf diese Weise wollte sie die Kriterien einer schlechten medizinischen Behandlung aufzeigen. Zu den größten Problemen dieses auf Künstlicher Intelligenz basierenden Chatbots zählten Fehldiagnose, verzögerte Diagnosestellung, Kommunikationsdefizite, Fehlbehandlung und Vernachlässigung. Bei verschiedenen Krankheitsbildern in der Rheumatologie werden geschlechtsspezifische Unterschiede im klinischen Alltag übersehen. Bei der axialen Spondyloarthritis (axSpA), dem systemischen Lupus Erythematodes (SLE), der rheumatoiden Arthritis, dem Sjögren-Syndrom, der Arthritis psoriatica, Sklerodermie und auch dem Morbus Behçet liegen grundlegende Unterschiede des Krankheitsverlaufs vor. Die Vernachlässigung dieser Unterschiede führt nicht nur zu einer verzögerten Diagnosestellung, sondern auch zu Qualitätsunterschieden in der Behandlung.1

Geschlechtsspezifische Unterschiede der Diagnosestellung am Beispiel der axialen Spondyloarthritis

Am Beispiel der axialen Spondyloarthritis stellte Späthling-Mestekemper geschlechtsspezifische Unterschiede der klinischen Symptomatik vor. Diese spiegelten sich jedoch nicht in den modifizierten New York-Kriterien wider. Beim weiblichen Geschlecht lag nicht nur eine völlig andere Skelettbeteiligung vor – es gab auch wesentliche Unterschiede der Genotypisierung und Laborparameter: HLAB27 und CRP spielen beim weiblichen Geschlecht eine eher untergeordnete Rolle. Dieser Tatsache sollte man sich im klinischen Alltag bewusstwerden. In der Realität finden jedoch diese geschlechtsspezifischen Unterschiede der Diagnosekriterien bisher noch wenig Beachtung, mit dem Resultat einer erheblich verzögerten Diagnosestellung (Latenzzeit von bis zu 2 Jahren) bei Frauen. Durch diese verspätete Diagnosestellung bedingt kann selbst nach Therapiebeginn keine komplette Remission der axSpA bei den betroffenen Frauen erreicht werden.1

Geschlechtsspezifische Unterschiede der Therapieadhärenz am Beispiel der axialen Spondyloarthritis 

Das Geschlecht ist entscheidend für die Therapiedauer der Behandlung der axialen Spondyloarthritis mittels TNF-Inhibitoren. Beim weiblichen Geschlecht zeigt sich ein schlechteres Therapieansprechen auf TNF-Inhibitoren. Die Gründe hierfür beruhen auf wichtigen Genderaspekten der klinischen Präsentation der axSpA: TNF-Inhibitoren zeigen bekanntlich ein besseres Therapieansprechen bei positivem HLA-B27-Status, TNF-Inhibitor-Naivität sowie dem Fehlen von Enthesitiden. All diese Faktoren sind seltener bei Frauen. Ein höherer Fat Mass Index und das Vorliegen einer zentralen Fettleibigkeit (nach der Menopause) könnten ebenso eine Rolle für ein geringeren TNF-Inhibitor-Ansprechen beim weiblichen Geschlecht spielen. Das geringere Therapieansprechen spiegelt sich in der Praxis in einer verkürzten Therapiedauer gegenüber dem männlichen Geschlecht sowie einem häufigeren Therapieabbruch und Wechsel des TNF-Inhibitors wider. Späthling-Mestekemper zufolge sollten auch pharmakogenetische Daten zu Rate gezogen werden, da es sonst zu Überdosierungen bei Frauen kommen kann. Geschlechtsspezifische Unterschiede können sich hier in der Geschwindigkeit der Clearance, des Metabolismus, der Ausscheidung sowie in unterschiedlichen Verteilungsvolumina zeigen. Die Lösung wäre eine Verbesserung der Therapiekonzepte unter Berücksichtigung der Genderaspekte bei Arzneimitteln. Hierzu fehlen uns leider noch ausreichend Studiendaten, da sich die Vernachlässigung des weiblichen Geschlechts bis auf Forschungsebene zieht.1

Wieso werden Frauen "schlechter" operiert?

Vor 2 Jahren wurde eine für Aufregung sorgende Studie zum geschlechtsspezifischen Behandlungserfolg von Operationen publiziert. Insgesamt wurden die Daten von 1 320.108 Patienten in die populationsbasierte Kohortenstudie aus Kanada eingespeist. Es gab keine Unterschiede in der professionellen Qualifikation der Chirurginnen und Chirurgen, bezüglich des Alters und der chronischen Erkrankungen. Dennoch zeigte sich ein wesentlicher Unterschied des Behandlungserfolges aufgrund des Geschlechts der Patienten. Chirurginnen erzielten ähnliche Behandlungserfolge zwischen den Geschlechtern. Wurde jedoch eine Frau von einem Chirurgen operiert, so ging dies -verglichen mit den Ergebnissen für männliche Patienten- mit einem erhöhten Auftreten von Risiken und einer Verschlechterung des Behandlungserfolges einher. Das Sterblichkeitsrisiko war bei weiblichen Patienten, die durch einen Chirurgen operiert wurden um 32% höher als bei männlichen Patienten. Auch war das Risiko für einen längeren stationären Aufenthalt um 20% erhöht gewesen.1

Fazit zu Genderaspekten in der Medizin

Die Vernachlässigung der geschlechtsspezifischen Unterschiede können:

Vorurteile gegenüber dem weiblichen Geschlecht können die Therapieentscheidungen im Negativen beeinflussen.

Werden Frauen von einem Chirurgen operiert, so besitzen sie ein um 30% erhöhtes Sterblichkeitsrisiko gegenüber männlichen Patienten.
 

Quelle:
  1. Späthling-Mestekemper, Susanna, Dr. med., … Frauen schlechter therapiert werden als Männer?, Stimmt es eigentlich, das…, Deutscher Rheumatologiekongress 2023 in Leipzig, 08:00 -08:45 Uhr, 02. September 2023. 

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