Leitfaden für mehr Nachhaltigkeit in der Arztpraxis Logo of esanum https://www.esanum.de

Die Nachhaltige Praxis: Wie kann sie gelingen?

Ärztinnen und Ärzte setzen sich immer mehr für Klimaschutz und Nachhaltigkeit in der Gesundheitsversorgung ein. Aber wie können nachhaltige Maßnahmen in den Praxisalltag integriert werden?

Klimaschutz ist Gesundheitsschutz

Es ist mittlerweile davon auszugehen, dass die Begrenzung der globalen Erderwärmung auf 1,5 Grad nicht mehr eingehalten werden kann.1 Das bedeutet, dass auch in Deutschland zukünftig Klimawandel-bedingte Gesundheitskrisen zunehmend spürbar sein werden. Längst stellt sich daher nicht mehr die Frage, ob das Gesundheitssystem nachhaltiger werden sollte, sondern wie schnell und wie effektiv nachhaltige Maßnahmen für den Praxis- und Klinikalltag umgesetzt werden können.

Auf dem DDG-Symposium “Benefits durch Nachhaltigkeit” wurde ganz klar thematisiert, dass in der Dermatologie bereits einen Inzidenzveränderung aufgrund des Klimawandels zu verzeichnen ist. Neben einer deutlichen Zunahme an Hautschädigungen und Hautkrebserkrankungen durch UV-Einstrahlung, breiten sich auch Insektenübertragbare Infektionskrankheiten, Pollenflugbedingte Allergien, atopische Ekzeme und Autoimmunkrankheiten immer weiter in Deutschland aus.

Um den Gesundheitsschutz auch zukünftig gewährleisten zu können, muss das Praxis- und Klinikpersonal ebenso dazu beitragen, den CO2-Fußabdruck der Gesellschaft so gering wie möglich zu halten. Doch vielen Ärztinnen und Ärzten ist unklar, wie die eigene Praxis nachhaltig gestaltet werden kann. Hierfür stellt die AGN informative Artikel zum Thema Klimawandel und Medizin sowie zahlreiche Tipps und Online-Kurse rund um nachhaltige Praxisführung zur Verfügung. Basierend auf den Informationsmaterial aus der dermatologischen Praxisanwendung, haben wir für interessierte Medizinerinnen und Mediziner einige praxisrelevante Informationen zusammengetragen:

Nachhaltiges Praxismanagement: Was ist damit gemeint?

Nachhaltiges Praxismanagement bedeutet, die Praxisorganisation so klimaneutral und ressourcenschonend wie möglich zu gestalten. Ressourcenschonung impliziert dabei nicht nur die Minderung der Treibhausgasemissionen, sondern auch wirtschaftliche Einsparungen im Bereich des Praxismanagements

Trotz gesetzlich vorgeschriebener Anforderungen – wie z.B. Hygienevorschriften – lassen sich auch im medizinischen Bereich Tätigkeitsfelder identifizieren, die Schritt für Schritt nachhaltig gestaltet werden können.2

Darüber hinaus kann eine nachhaltige Praxisführung Ärzten sowie Praxisteam zu einer nachhaltigen Lebensweise sowohl im beruflichen als auch im privaten Umfeld motivieren. Arztpraxen, die sich aktiv für mehr Nachhaltigkeit engagieren, gelten in der Regel als attraktiver für medizinische Fachangestellte und sind damit als potentieller Arbeitgeber im Vorteil.

Tätigkeitsfelder für mehr Klimaneutralität

Medikamente 

Mit 59,7% sind Medikamente für den größten Teil der Treibhausgasemissionen von Arztpraxen verantwortlich.3 Insbesondere bei älteren Patienten sind Polymedikation und Überversorgung gängige Probleme. Daher gilt es, bei langen Medikamentenlisten die Aktualität zu überprüfen, um unerwünschte Wechselwirkungen zu vermeiden. 

Ebenso sollen Überverodnungen und unnötige apparative Untersuchungen vermieden werden, um nicht nur Ressourcen einzusparen, die möglicherweise für notwendige Therapien benötigt werden, sondern auch, um klimaschonend zu handeln.

Dosieraerosole sind der Teil der verschriebenen Medikamente, die durch die verwendeten Treibmittel am klimaschädlichsten sind.4 Für eine durchschnittliche Praxis sind die Klimaauswirkungen der Dosieraerosole stärker als die Klimaauswirkungen des Energiebetriebes der gesamten Praxis.3 Auf alternative Pulverinhalatoren sind daher zurückzugreifen.

Einkauf

Mit 22,8% macht der Materialeinkauf einen wesentlichen Teil des CO2 -Fußabdrucks einer Arztpraxis aus.3 Leider gibt es bisher wenig klimaneutrale Medizinprodukte, weshalb Arztpraxen angehalten sind, sich auf den Grundsatz “reduce, reuse, recycle” zu stützen.

Reduce:  Einsatz von Verbrauchsgütern reduzieren

Reuse: Wiederaufbereitung und Mehrfachverwendung

Recycle: Wiederaufbereitung und Mehrfachverwendung

Mobilität 

Es gilt auch auf den Anfahrtsweg zur Praxis – sowohl von Seiten des Praxisteams als auch der Patientinnen und Patienten – zu achten. Der Umstieg von Auto und öffentlichen Verkehrsmitteln auf das Fahrrad trägt nicht nur zur CO2-Reduktion bei, sondern hat auch positive Effekte auf die Gesundheit.

Innerhalb des Praxisteams kann die Möglichkeit besprochen werden, Fahrgemeinschaften zu fördern oder ein steuervergünstigtes ÖPNV-Ticket oder Dienstfahrrad zu beziehen. Dabei sind sogar Einsparungen von bis zu 40% möglich.3

Patienten sollte die Erreichbarkeit der Räumlichkeiten mit ÖPNV oder dem Fahrrad mitgeteilt werden, z.B. über die Website der Arztpraxis, sowie sichere Fahrradstellplätze zur Verfügung gestellt werden. Durch die  Verbesserung der telefonischen Erreichbarkeit und durch die Möglichkeit einer Online-Sprechstunde ersparen Sie Ihren Patienten unnötige Anfahrten.

Energie

Energieeinsparungen beginnen bereits bei den kleinsten Schritten: LED-Lichter, Akkus statt Batterien, Geräte nach Nutzung ausschalten etc. Dabei empfiehlt es sich, auf Ökostrom zu wechseln und dabei einen Anbieter auszuwählen, der auch aktiv in erneuerbare Energie investiert.

Mit der Hausgemeinschaft lässt sich ebenso abklären, ob ein Anschluss an nachhaltigere Heizquellen, wie Biogas oder Fernwärme, sinnvoll und umsetzbar ist. Allein das Senken der Heizung nachts und am Wochenende macht bereits einen Unterschied. Dafür gibt es programmierbare Thermostate, die an den vorhandenen Heizkörpern installiert werden können.

Noch einen Schritt weiter in Richtung Nachhaltigkeit

Nachdem der Weg zur Klimaneutralität in der eigenen Praxis erfolgreich betreten wurde, stellt sich für viele Ärzte die Frage: Wie kann ich die nachhaltige Praxis sichtbar machen?

Um Arztpraxen sowohl nachhaltiger und damit attraktiver zu gestalten als auch Greenwashing zu vermeiden, bietet das aQua-Institut ein Qualitätssiegel “Nachhaltige Praxis” für mehr Klimaschutz, Resilienz und Nachhaltigkeit in der Gesundheitsversorgung. Das Angebot ist direkt an die Erfordernisse einer Arztpraxis ausgerichtet und enthält Empfehlungen und Maßnahmen, die im Praxisalltag integriert werden. Dazu bietet das Programm u.a.:

Mit dem Qualitätssiegel werden Arztpraxen ausgezeichnet, die sich nachweislich und systematisch engagieren, das Praxisteam im umweltschonenden Umgang mit Ressourcen zu schulen und die Patienten umfangreich über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Umwelt und ihre Gesundheit zu informieren.

Die Inhalte und Anforderungen, um ein Siegel zu erhalten, erstrecken sich über insgesamt vier Module5

  1. Nachhaltigkeit und Klimaschutz 
  2. Rationale und nachhaltige Pharmakotherapie 
  3. Klimabezogene Aspekte der Patientenversorgung 
  4. Resilienz und Verankerung 

Handlungsfelder, die dabei zur Erlangung des Nachhaltigkeits-Siegels beachtet werden müssen, sind:

Referenzen: