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Schmerzmedizin im Fokus: heute und morgen

Expertinnen und Experten gaben ein Update zur Schmerzmedizin: Wo steht sie heute, und mit welchen Entwicklungen können wir in Zukunft rechnen?

Kopfschmerzen nach Schädel-Hirn-Trauma

Ein Fokus der Schmerzmedizin liegt auf sekundären Kopfschmerzen. Bei dieser Art von  Kopfschmerzen liegt die Ursache in anderen Erkrankungen, beispielsweise einer Verletzung. Sekundäre Kopfschmerzen können sich auch chronifizieren, selbst wenn die ursprüngliche Erkrankung geheilt ist. Das passiert bei einem Drittel der Betroffenen. Primäre Kopfschmerzen hingegen sind angeboren, wie zum Beispiel Migräne. Sekundäre Kopfschmerzen treten zwar seltener auf, gehen jedoch ebenso mit einer hohen Belastung der Betroffenen einher. 

Im Falle eines Schädel-Hirn-Traumas, das in Deutschland rund 400.000 Menschen pro Jahr erleiden, haben bis zu 50% der Patientinnen und Patienten in der Anfangszeit akute Kopfschmerzen in Zusammenhang mit diesem Trauma. Die akute Form tritt dabei bis zu 7 Tage nach dem Trauma auf und löst sich innerhalb weniger Wochen wieder auf. Allerdings kann sich der sekundäre Kopfschmerz auch zu einem persistierenden posttraumatischen Kopfschmerz entwickeln, der als chronisch gilt, wenn er mindestens drei Monate anhält. 

Bei leichten Schädel-Hirn-Traumata berichten Patientinnen und Patienten häufiger von sekundären Kopfschmerzen. Ein besonders hohes Risiko dafür, dass sich diese sekundären Kopfschmerzen manifestieren, haben junge, weibliche Patienten. Vor allem, wenn sie bereits eine andere Kopfschmerzerkrankung, wie Migräne, aufweisen. Durch die Chronifizierung treten häufig auch weitere Symptome wie Schlafstörungen, Angstzustände oder Depressionen auf und es werden zu viele Kopfschmerzmedikamente eingenommen. Dieser Übergebrauch kann in neuen Kopfschmerzen resultieren oder weitere körperliche Schäden verursachen. 

Da bisher eine breite Datenlage hinsichtlich der sekundären Kopfschmerzen nach Schädel-Hirn-Traumata fehlt, ist es unerlässlich, die epidemiologische und pathophysiologische Forschung voranzutreiben. Außerdem muss es klare Richtlinien geben, wie bei sekundären Kopfschmerzen vorzugehen ist, insbesondere für Hausärzte. Des Weiteren müssen Betroffenen Maßnahmen beigebracht werden, mit denen sie eine  Chronifizierung von Schmerzen verhindern können, beispielsweise regelmäßiger Ausdauersport und autogenes Training. Potenzielle Risikogruppen sollten auch innerhalb der niedergelassenen Ärzteschaft bekannt sein, damit sie, wie die  Kopfschmerzzentren, in der Lage sind, bereits früh zu intervenieren.  

Präventionsmaßnahmen bei chronischem Schmerz

Fast ein Drittel der Deutschen leidet an chronischen Kopfschmerzen. Daher stellt sich die Frage, wie man der Chronifizierung von Schmerz vorbeugen kann. Innerhalb eines Pilot-Versorgungsprojekts PAIN2020 wurde ein neues Konzept zum frühzeitigen Assessment erprobt. Dabei setzen sich Spezialistinnen und Spezialisten aus den drei Disziplinen Physiotherapie, Schmerztherapie und Psychologie mit Betroffenen zusammen und klären mit ihnen im Vorfeld, wie sich eine Chronifizierung manifestieren kann und wie man diese verhindert. Dabei wird neben der körperlichen Diagnostik auch ein Blick auf psychosoziale Belastungsfaktoren geworfen, deren Betrachtung bisher zu kurz im Gesundheitssystem kommt. Nichtsdestotrotz lässt sich sagen, dass sich das Wissen um multimodale Faktoren, die chronische Schmerzen begünstigen, eindeutig verbessert hat. Jedoch mangelt es an der Zeit, sich ausführlich damit auseinanderzusetzen und auch die Vergütung für solch eine umfängliche Behandlung ist nicht vorhanden, es handelt sich also um ein strukturelles Problem. Nach dem frühzeitigen Assessment ist im Idealfall eine Rückkehr in die erste Struktur, also zum behandelnden Hausarzt, vorgesehen. Referent Apl. Prof. Dr. med. Winfried Meißner, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V., resümiert: "Die Praktikabilität, die Machbarkeit und auch die Akzeptanz konnten schon gezeigt werden". 

Cannabis-Medikamente in der Schmerztherapie

Seit fünf Jahren sind Cannabis-Medikamente in Deutschland als medizinische Wirkstoffe zugelassen, mittlerweile sind bereits zehntausende entsprechende Präparate verschrieben worden. Zwar liegt nach wie vor kein Wirksamkeitsnachweis durch placebo-kontrollierte Studien vor, jedoch gibt es  nun erste Daten zu potentiell hilfreichen Anwendungsgebieten. Diese gehen aus einer Begleiterhebung hervor, über die die Cannabis-Therapie in den ersten Jahren beobachtet wurden. Insgesamt flossen 21.000 Behandlungen in diese Erhebung mit ein.

Zwar waren die Daten aufgrund mehrerer Faktoren nicht repräsentativ, dennoch lieferten sie einige wichtige Informationen. So wird beispielsweise ein Überblick über das Spektrum der Erkrankungen und Beschwerden gegeben, bei denen Cannabis-haltige Präparate zum Einsatz kommen. "Die mit Abstand häufigste Indikation ist der chronische Schmerz", so Prof. Dr. med. Frank Petzke, Leiter Schmerzmedizin, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsmedizin Göttingen und Sprecher der Ad-hoc-Kommission "Cannabis in der Medizin" der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. Von diesem chronischen Schmerz waren drei Viertel der Behandelten betroffen. Spastiken und Anorexie oder Wasting folgten der Indikation des chronischen Schmerzes, mit deutlich geringerem Vorkommen (9,6 bzw. 5,1%). 

Außerdem konnten Beobachtungen zu den eingesetzten Medikamenten gemacht werden. Am häufigsten wurde das Cannabis-Arzneimittel Dronabinol verschrieben (knapp zwei Drittel der Verordnungen). Cannabis-Blüten hingegen wurden deutlich seltener, aber besonders an jüngere, männliche Patienten verordnet.

Vor allem schätzten Ärztinnen und Ärzte den Effekt der Cannabis-Medikamente bei schwerwiegenden Erkrankungen und bei starken Schmerzen positiv ein. Petzke meint: 

"Bei chronischen Schmerzen sowie in der Palliativmedizin sollte es daher weiterhin möglich sein, medizinisches Cannabis ohne großen bürokratischen Aufwand zu verschreiben".

Jedoch müssen die Kriterien hierfür in Studien weiter charakterisiert werden. Zusätzlich sind evidenzbasierte Zulassungsverfahren vonnöten, wenn die Cannabis-Therapie von Krankenkassen für weitere Indikationen geöffnet werden soll. 

Kopfschmerz- & Migränemedizin der nächsten Generation  

Pro Tag erleiden etwa 350.000 Menschen in Deutschland eine Migräneattacke. Dadurch werden Betroffene in fast allen Lebensbereichen schwer eingeschränkt, jährlich verursacht die Kopfschmerzerkrankung über 100.000 Ausfalltage am Arbeitsplatz. Mittels einer neuen Therapie könnten Migräneattacken nun rechtzeitig vermieden werden - ohne die Nebenwirkungen bisheriger Mittel.

Das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) spielt eine essentielle Rolle bei der Entstehung, Aufrechterhaltung und Chronifizierung der Migräne. Dr. med. Robert Fleischmann, Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Greifswald, erklärt: 

"Zahlreiche Studien zeigen, dass CGRP und CGRP-Rezeptoren an nahezu allen wichtigen Prozessen der Migräne direkt oder indirekt beteiligt sind". 

Der Migräneschmerz kann ausgeschaltet werden, wenn das CGRP oder sein Rezeptor blockiert werden. Dieser Wirkmechanismus und darauf basierende Therapien stellen somit eine revolutionäre Möglichkeit zur Vermeidung chronischer oder episodischer Migräne dar. 

Fleischmann führt aus: 

"In der Akutbehandlung wird die Freisetzung von CGRP schon seit Jahren indirekt erfolgreich mit sogenannten Triptanen verhindert. Die Weiterentwicklung der Gepante - Medikamente, die das CGRP direkt blockieren - erlebte zunächst einen Rückschlag durch eine erhebliche Leberschädigung." 

Darum wurden neue Wege der gezielten Blockade des CGRP-Signals gesucht und mittlerweile in monoklonalen Antikörpern gefunden. Diese unterdrücken entweder das CGRP selbst oder den CGRP-Rezeptor und wirken prophylaktisch. Die vier Antikörper, die es bisher auf dem deutschen Markt gibt, führen meist innerhalb der ersten zwei Behandlungswochen zu einer deutlichen Verbesserung der Migräneattacken und haben kaum Nebenwirkungen. Nun gilt es herauszufinden, ob der CGRP-basierte Signalweg auch bei anderen Kopfschmerzarten oder anderen chronischen Schmerzerkrankungen eine therapeutische Rolle spielen kann. 

Quellen:
  1. Online-Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses (19. bis 22. Oktober 2022) der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und der  Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V. (DMKG) "Schmerzmedizin heute und morgen: Bilanz und Ausblick"  Termin Mittwoch, 19. Oktober 2022, 11.30 bis 12.30 Uhr
  2. Pressemappe zur Online-Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Schmerzkongresses (19. bis 22. Oktober 2022) der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. und der  Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V. (DMKG) "Schmerzmedizin heute und morgen: Bilanz und Ausblick"  Termin Mittwoch, 19. Oktober 2022, 11.30 bis 12.30 Uhr