"Die Krankenhausreform wird Zehntausende Menschenleben retten pro Jahr. Insbesondere bei der Versorgung von Krebs- und Herz-Kreislauf-Patienten. Wir werden daher bei den Qualitätszielen keine Kompromisse machen."
Das ist die Schlussfolgerung einer am 22.06. von der Regierungskommission für die Krankenhausreform vorgelegten Potentialstudie über das Ausmaß qualitativ minderwertiger Krankenhausversorgung in Deutschland.
Unter den OECD-Ländern liegen die Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben nach der Schweiz an zweiter Stelle, auch die Personalausstattung mit Ärzten und Pflegekräften ist überdurchschnittlich gut. Die Ergebnisqualität ist dagegen mittelmäßig: Bei den vermeidbaren Todesfällen liegt Deutschland im OECD-Ranking auf Platz 23, bei den behandelbaren Todesfällen auf Platz 20 (von 38). Die Schweiz liegt auf Platz 2 und 1.
Detailliert hat dies die Regierungskommission nun für die Indikationen Krebs-, Schlaganfall- und Endoprothetikversorgung in den Krankenhäusern untersucht.
Für die Versorgung krebskranker Patienten wurde als Merkmal für die Strukturqualität herangezogen, ob ein Krankenhaus nach den Kriterien der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert ist. Dabei wurden elf Krebserkrankungen betrachtet. Das Ergebnis: Je nach Krebsart werden zwischen 34 und 84 Prozent der Patienten in einer speziell zertifizierten Klinik behandelt. Die Ergebnisqualität (Kriterium Gesamtüberleben) variiert erheblich: Der relative Vorteil einer Behandlung in einer zertifizierten Klinik liegt beim Lungenkrebs bei drei Prozent, beim Brustkrebs sogar bei 23 Prozent.
Abhängig von der Häufigkeit der jeweiligen Krebsart errechnete die Kommission ein Potential von 665 zu gewinnenden Lebensjahren bei Gebärmutterhalskrebs und 4.873 Jahren bei Darmkrebs. Über alle elf Krebsarten summierten sich die zu gewinnenden Lebensjahre auf über 20.000.
Die durchschnittliche Erreichbarkeit der Zentren liegt für die häufigen Krebsarten (Mamma-Ca, Prostata-Ca und Colon-Ca9) bei etwa 20 Minuten, für Hirntumoren im Mittel bei etwas über 30 Minuten. Die Kommission bewertet dies als im Vergleich zu anderen Ländern exzellenten Wert.
Ein ähnliches Bild ergibt sich für die erfolgreiche Behandlung von Schlaganfall. Als entscheidendes Strukturmerkmal wurden hier die Zertifizierung und das Vorhandensein einer Stroke-Unit herangezogen. Nach Ergebnissen der QUASH-Studie verstarben innerhalb eines Jahres bei Behandlung durch eine Stroke-Unit 23,9 Prozent der Patienten nach einem ischämischen Schlaganfall; ohne Stroke-Unit waren es 30,4 Prozent.
2021 verfügten 328 Krankenhäuser in Deutschland über eine Stroke-Unit, in weiteren 1.049 Kliniken wurde ebenfalls Schlaganfälle behandelt, ohne das eine Stroke-Unit vorhanden war. Die Zahl der Patienten, deren Tod im ersten Jahr vermieden werden könnte, würden sie in einer Klinik mit Stroke-Unit behandelt werden, liegt bei fast 5.000.
Anders als bei Krebs spielt die Erreichbarkeit eines geeigneten Krankenhauses eine essenzielle Rolle. Die durchschnittliche Fahrtzeit bei allen Kliniken, die Schlaganfälle behandelten, liegt bei 21,6 Minuten, bei den Kliniken mit Stroke-Units mit 23,4 Minuten nur unwesentlich höher.
Die Ergebnisqualität von Knie- und Hüftgelenks-Totalendoprothesen (TEP) wurde anhand der Häufigkeit von Revisionsoperationen beurteilt. Abhängig ist die Qualität vom Erreichen jährlicher Mindestfallzahlen: 150 Hüft- und 100 Knie-TEP. Diese "moderat gewählten Mindestfallzahlen" erreichen in Deutschland nur 22 beziehungsweise 34 Prozent der Kliniken, die diese Eingriffe durchführen. 47 Prozent der Hüft- und 29 Prozent der Knie-TEP werden in Kliniken mit niedrigeren Behandlungsfrequenzen durchgeführt. Nach der Potentialanalyse können jährlich 397 Hüft- und 212 Knie-TEP-Revisionen vermieden werden. Bei höherer Mindestfallzahl (200/150) könnten 447/269 Revisionen überflüssig sein. Die mediane Fahrzeit zu einem solcherart qualifizierten Krankenhaus würde sich nicht wesentlich verlängern, so die Kommission.
Ähnliche Versorgungsdefizite in der stationären Versorgung werden auch in der Kardiologie, insbesondere bei der Behandlung von Patienten mit Herzinfarkt diskutiert.
Als Folge sterben Patienten unnötig verfrüht, haben eine schlechtere Lebensqualität nach den Eingriffen oder müssen sich sogar erneut operieren lassen. Mängel in der medizinischen Struktur- und Ergebnisqualität verursachen zusätzliche Kosten und sind eine Ursache von Ineffizienz.
In Deutschland sei Qualität in Diagnostik und Versorgung noch immer kein hinreichend beachteter Parameter für die Leistungserbringer, kritisierte der Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft, Dr. Johannes Bruns, am 22.06. am Rande des DKG-Symposions "Brennpunkt Onkologie".
Ursächlich ist, dass jedes Plankrankenhaus Leistungen nach eigenem Gutdünken erbringen darf und die Kassen unabhängig von Struktur- und Ergebnisqualität diese Leistungen zu gleichen Preisen bezahlen müssen. Vorhandene Qualitätsberichterstattung schafft offenbar keine ausreichende Transparenz – weder für einweisende Ärzte noch für Patienten. "Einweisungsqualität" ist bislang kein Merkmal der Behandlungsqualität niedergelassener Ärzte.
Die Deutsche Krebsgesellschaft dringt daher darauf, im Rahmen der Krankenhausreform die Anforderungen des DKG-Zertifizierungssystems umzusetzen. Dazu gehöre die Einführung onkologischer Leistungsgruppen, die Definition der Leistungen und dafür erforderliche Mindestvorhaltungen sowie die Definition von Leistungsbereichen medizinischer Querschnittsdisziplinen.