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Integrität in der Wissenschaft

Betrug bei Publikationen – ein Problem, das uns auch in Deutschland betrifft. Es braucht Mut, solche Verfehlungen öffentlich zu machen. Doch wer schützt die Whistleblower?

Es hätte eine deutsche Sensation in der Brustkrebsforschung sein können: Am Universitätsklinikum Heidelberg propagiert 2019 ein Forschungsteam einen Bluttest auf Brustkrebs als den Durchbruch. Schnell hegt die Fachwelt berechtigte Zweifel an diesem Test. Ergebnis: Manipulation. Für den Erfolg einer eigenen Firmenausgründung wurde die Integrität der Wissenschaft verletzt.

Das sind längst keine Einzelfälle mehr, wie Frau Dr. Mandy Lauw anlässlich des EHA-Kongresses 2022 in der Sitzung „Integrität in der Wissenschaft und Betrug bei Studiendaten und Publikationen“ auf internationalem Parkett vorstellte.

"Ich glaube, das ist etwas, dem wir noch nicht genug Aufmerksamkeit schenken"

...sagt Dr. Mandy Lauw, PhD, Vorsitzende des YoungEHA Komitee, im Interview.1 Referentin Dr. Elisabeth Bik, PhD, die 15 Jahre lang an der Stanford University und 2 Jahre in der Industrie gearbeitet hat, hat über 4.000 Fälle von Bildbetrug, fehlerhaften Daten, Plagiaten und andere Verstöße in Studien aufgedeckt. Anlässlich des 6. YoungEHA Research Meetings zeigte Bik Beispiele ihrer Arbeit, die sie insbesondere zum Thema Bildbetrug in wissenschaftlichen Artikeln leistet. Dies reicht von geschönten Abbildungen bis hin zu solchen, die mit der Absicht der Irreführung bearbeitet wurden. "Sie zeigte uns, welche Arten von Betrug möglich sind, die sie zuvor entdeckt hatte. Und dann zeigte sie auch einige Beispiele aus der Hämatologie", so Lauw. 

Für diejenigen, die diese Untersuchungen einleiten und durchführen, ist es eine undankbare Arbeit, betont Lauw. Ein Beispiel: Bik benannte methodische Inkorrektheiten in einer Hydroxychloroquin-Studie. Im Gefolge dessen reichten Mitglieder der Französischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten im Juli 2020 eine Beschwerde bei der Landesärztekammer gegen den Erstautor ein, weil er HCQ ohne ausreichende Evidenz als COVID-Behandlung empfohlen hatte. Er sowie Mitglieder seines Instituts reichten daraufhin eine Klage gegen Bik bei der Staatsanwaltschaft ein, verunglimpften sie im nationalen Fernsehen und veröffentlichten ihre persönlichen Adressdaten in den sozialen Medien (doxxing).2 

Mehr für Transparenz in der Wissenschaft tun

Ein von hunderten Wissenschaftlern unterzeichneter offener Brief sowie eine Petition mit derzeit gut fünftausend Mitzeichnenden forderte daraufhin die Sicherstellung von Peer Reviews auch nach erfolgter Veröffentlichung sowie den Schutz von wissenschaftlichen Informanten wie Bik.

"Wir unterstützen die Arbeit, die erforderlich ist, um potenzielle Fehler und mögliches Fehlverhalten zu untersuchen, und sind der Meinung, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft mehr tun kann, um Whistleblower vor Verfolgung und Drohungen zu schützen."3 

2021 leitete eine französische medizinische Aufsichtsbehörde ein Disziplinarverfahren gegen den Erstautor besagter HCQ-Studie ein.4

Biks Arbeit wurde in den letzten Jahren mehrfach von der Zeitschrift 'Nature' aufgegriffen.5 2021 taten sich acht große Publisher zusammen, um gegen manipulierte Bilder in Forschungsarbeiten vorzugehen und gaben Leitlinien heraus, wie Redakteure von Zeitschriften verdächtige Bilder oder Daten erkennen und behandeln können.6 "Sie (die Leitlinien) werden wissenschaftliches Fehlverhalten nicht verhindern, aber sie sorgen für eine stärkere Kontrolle sowohl in der Phase der Einreichung als auch nach der Veröffentlichung", hofft Bik.6

Ist die Wissenschaft wie ein Haifischbecken? Aktuelle Beispiele

Doch nicht alle Manipulationen betreffen nur den Inhalt von Studien. Ein weiteres Target sind beispielsweise Zitationsstatistiken. Glaubwürdigkeit und Prestige einer Publikation steigen, je öfter sie zitiert wird und Zähler und farbige Ringe am Rand von Publikationen wollen uns anzeigen, wie gefragt und relevant ein Artikel ist. Eigentlich nützlich, aber: "Während die meisten Forscher einfach hoffen, dass ihre Arbeit von anderen erwähnt wird, haben einige "kreativere" Wege gefunden, um auf ihre Arbeiten aufmerksam zu machen", sagt Bik und erklärt auf dem Blog "Science Integrity Digest", zu welchen Kniffen manche greifen, um ihre Zahlen aufzubessern.7

Ein anderer, fragwürdiger prominenter Fall erschien im Juli 2022 auf der Startseite der Nature, nachdem die Ohio State University mehrfache Verstöße, darunter Plagiate und Datenfälschungen, durch zwei Mitglieder eines bekannten Krebsforschungslabors untersucht hatte.8 

"Es scheint sich um ein Labor zu handeln, in dem ein enormer Druck auf die Labormitglieder ausgeübt wurde, bestimmte Ergebnisse zu erzielen, mit wenig Unterstützung und Kontrollpunkten für die Integrität der Daten."

Einschätzung von Bik zum Fall8

Die Beschuldigten wiesen die Vorwürfe weitgehend von sich und wollen rechtliche Schritte gegen die Universität einleiten, ebenso wie der Leiter des Labors, der laut Bericht zwar von Fehlverhalten freigesprochen und für über 820.000 Dollar Jahresgehalt weiterhin an der Universität angestellt bleibe, aber seinen Lehrstuhl verlor und für mangelhaftes Management seines Labors diszipliniert wurde. Dieser verklagte nun die Universität und fordert mehr als 1 Million Dollar Schadenersatz sowie die Wiedereinsetzung in seinen Lehrstuhl. Weiterhin wolle er eine Anordnung erwirken, die die Universität verpflichtet, "in nationalen Medien, die der New York Times gleichwertig sind", zu veröffentlichen, dass er von den Vorwürfen entlastet wurde.

Bereits vor einigen Jahren hatte er wegen ähnlicher Anschuldigungen die New York Times sowie den Forscher, der darin öffentlich Fragen zu seiner Arbeit aufgeworfen hatte, wegen Verleumdung verklagt und beide Rechtsstreite verloren. Insgesamt wurden 11 Arbeiten, an denen er mitgewirkt hat, zurückgezogen, und 21 mussten korrigiert werden, schreibt die Nature. Das aktuelle Verfahren läuft weiter.

Referenzen

  1. Dr Mandy Lauw Reviews YoungEHA, AI, and Ethics in Hematology at EHA2022. AJMC https://www.ajmc.com/view/path-to-diagnosis-is-long-frustrating-damaging-for-women-with-sle.
  2. Spichak, S. Dr. Elisabeth Bik Threatened with Lawsuit for Revealing Misconduct in a…. BeingWell https://medium.com/beingwell/dr-elisabeth-bik-threatened-with-lawsuit-for-revealing-misconduct-in-a-a2e73b1a554f (2021).
  3. Besançon, L. et al. Open Letter: Scientists stand up to protect academic whistleblowers and post-publication peer review. Preprint at https://doi.org/10.31219/osf.io/2awsv (2021).
  4. Journals singled out for favoritism. https://www.science.org/content/article/journals-singled-out-favoritism.
  5. Shen, H. Meet this super-spotter of duplicated images in science papers. Nature 581, 132–136 (2020).
  6. Else, H. Publishers unite to tackle doctored images in research papers. Nature (2021) doi:10.1038/d41586-021-02610-7.
  7. Eliesbik, A. Citation Statistics and Citation Rings. Science Integrity Digest https://scienceintegritydigest.com/2022/03/23/citation-statistics-and-citation-rings/ (2022).
  8. Van Noorden, R. Exclusive: investigators found plagiarism and data falsification in work from prominent cancer lab. Nature (2022) doi:10.1038/d41586-022-02002-5.

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