Als Innovationsstandort hat Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich an Dynamik verloren und fällt im internationalen Vergleich immer weiter zurück. So haben sich die Investitionen in Forschung und Entwicklung der vfa-Firmen am Standort Deutschland von zwischen 2012 und 2021 um 78 Prozent auf 8,7 Milliarden Euro erhöht, in den USA jedoch um 132 Prozent auf 67,5 Milliarden Euro. Die Zahl laufender klinischer Studien hierzulande stagniert bei rund 2.700, während sie in Frankreich, Spanien und sogar im vom Brexit geplanten Vereinigten Königreich erheblich zunehmen und in jedem dieser Länder die deutschen Zahlen übertreffen. Rund 70 Prozent der Pharma-Führungskräfte erwarten, dass Deutschland als Standort klinischer Forschung in den kommenden fünf Jahren an Bedeutung verlieren wird.
Sowohl für Ärzte als auch für Patienten seien das schlechte Botschaften: Die Teilnahme an klinischen Studien ermöglicht Ärzten, sich mit Neuentwicklungen frühzeitig und noch vor der Zulassung vertraut zu machen, der Kenntnisstand unter den Ärzten verbreitet sich rascher; für Patienten bedeute die Teilnahme klinischen Studien, noch vor der Zulassung Zugang zu neuen Arzneimitteln zu erhalten, so Dr. Matthias Meergans vom vfa. Im Jahr 2021 nahmen 177.000 Probanden an klinischen Studien teil.
Würde der gegenwärtige organisatorische und regulative Rahmen aufrechterhalten bleiben, dann könnte die Zahl der in Deutschland in Studien eingeschlossenen Patienten um 45.000 bis 70.000 bis zum Jahr 2030 sinken. Würde es gelingen, die durchschnittliche europäische Teilnehmerquote zu erreichen, so könnten 115.000 bis 145.000 Patienten zusätzlich davon profitieren.
Vor allem drei Schwächen wurden in der Studie identifiziert:
Lernen könnte man von erfolgreichen Ländern wie Spanien oder Dänemark. In Spanien wurde ein Roundtable aller an Studien beteiligten Akteure eingerichtet; die Anforderungen an die Studiendurchführung sind landesweit harmonisiert; die Verträge zwischen Kliniken und Unternehmen sind verbindlich vorgegeben. Der Effekt: Die Zahl neu gestarteter klinischer Studien hat zwischen 2012 und 2021 um 40 Prozent zugenommen.
Beispiel Dänemark: Es existiert eine ganzheitliche Life Sciences-Strategie; es wurde eine "Trial Nation" zur Koordination klinischer Studien aufgebaut; es werden umfassend Gesundheitsdaten erhoben, die für Forschungszwecke zur Verfügung stehen. Das Ergebnis: Dänemark erreicht international einen Spitzenwert von 29.311 Studienteilnehmer pro eine Million Einwohner. In Deutschland sind es mit 1516 Probanden weniger als ein Zehntel.
Finnland hat bereits 2019 eine gesetzliche Grundlage für die Sekundärnutzung von Gesundheits- und Sozialdaten geschaffen: Mit FinData ist eine zentrale Instanz zur Beschaffung, Aufbereitung und sicherer Verfügbarmachung von Daten etabliert. Gewonnen werden diese Daten unter anderem aus einer ePA, eRezepten sowie Laborbefunden. Nutzungsberechtigt sind akademische, öffentliche und industrielle Forschungseinrichtungen. Patienten können eine Opt-out-Entscheidung treffen. Gesetzliche Regelungen stellen die Interoperabilität und Datenqualität sicher. Seit Start im April 2020 wurden mehr als 1.000 Anträge für Datennutzungen durch Forschungsinstitutionen gestellt. In Deutschland werden gerade die ersten Schritte für die Kodifizierung eines Gesundheitsdatennutzungsgesetzes unternommen.
Aus den Schwächen haben die Studienautoren insgesamt sieben Handlungsfelder und 22 konkrete Maßnahmen entwickelt. Beispiele: Harmonisierung der Arbeit von Ethikkommissionen und der Anwendung des Datenschutzes, gesetzlich verbindliche Musterverträge nach dem Vorbild Frankreichs, Preiskataloge für Leistungen im Rahmen klinischer Studien, Schaffung und Finanzierung von Fähigkeiten zur Administration von Studien an Unikliniken, verbunden mit einem Ausbau der Studieninfrastruktur, Beschleunigung der Digitalisierung, Schaffung einer nachhaltigen Registerlandschaft.