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Diabetologie schlägt Alarm: Die Hütte brennt!

Über die letzten Jahre wurde die diabetologische Expertise in Krankenhäusern vernachlässigt und abgebaut. Stationen wurden geschlossen oder in gastroenterologische Abteilungen transformiert. Das wird mit der Klinikreform nicht besser, so Dr. Iris Dötsch.

Krankenhausreformgesetz gefährdet die diabetologische Versorgung 

Der Referentenentwurf zur Krankenhausstrukturreform (KHVVG) bereitet mir – und nicht nur mir – große Bauchschmerzen. Alle Diabetologinnen und Diabetologen und deren Patientinnen und Patienten sind betroffen. Wir sind enttäuscht und alarmiert. Die Versorgung von Millionen Menschen mit Diabetes wird gefährdet – zuerst nur ambulant durch das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) und jetzt mit der Krankenhausstrukturreform auch stationär. 

Man muss offenbar immer wieder daran erinnern: Diabetes ist eine komplexe Erkrankung mit vielen möglichen Komplikationen. Unter- und Überzuckerung können ins diabetische Koma und in eine Ketoazidose führen. Es handelt sich hier um eine lebensgefährliche Erkrankung. Ich erzähle das immer wieder, um einfach klar zu machen, dass es nicht nur darum geht, dass der Blutzucker eingestellt wird, sondern dass viele unserer Patientinnen und Patienten langwierig auch schwere Erkrankungen am Herzen und an den Augen haben können. Das Amputationsrisiko ist eine weitere gefürchtete Komplikation, da diabetische Polyneuropathie eine mögliche Folgeerkrankung ist.

Und ich erinnere auch immer wieder daran: In Deutschland leben rund neun Millionen Menschen mit Diabetes. Nicht entdeckte Fälle werden auf zusätzliche zwei Millionen geschätzt. Jedes Jahr kommen 500.000 neu diagnostizierte Erwachsene hinzu.

Das ist alles bekannt. Aber anscheinend nicht allen, die an den entscheidenden Stellen sitzen und sich neue Gesetze ausdenken. Sonst würde man diese Gesetzesentwürfe so nicht machen. Das GVSG, in welchem es um die ambulante Versorgung geht, gefährdet unsere Patientinnen und Patienten, da es die Existenz der diabetischen Schwerpunktpraxen unterminiert. Die schlimmste Konsequenz wäre, dass die ambulanten Schwerpunktpraxen verschwinden und das diabetische Knowhow in den Krankenhäusern gleich mit. 

Wer kümmert sich dann um die neun bis elf Millionen Menschen mit Diabetes, insbesondere um jene mit schweren Folgeerkrankungen? Um jene mit Typ 1 Diabetes, jene, die auf präzise funktionierende Technik angewiesen sind? Und diejenigen mit diabetischem Fußsyndrom?

Diabetologische Expertise geht Schritt für Schritt verloren 

Über die letzten Jahre wurde die diabetologische Expertise in den Krankenhäusern vernachlässigt und abgebaut. Entsprechende Stationen wurden geschlossen oder in gastroenterologische Abteilungen transformiert. Auch universitäre Schwerpunkte für Diabetes wurden immer weiter reduziert. Wenn man weiß, dass jeder fünfte Krankenhauspatient Diabetes als Begleiterkrankung hat, kann man an drei Fingern abzählen, wie existentiell wichtig diabetologische Expertise in den Krankenhäusern ist.

Und trotzdem ist diese Expertise einfach reduziert und oft auch in die Ambulanz verschoben worden. Letzteres ist zum Teil gerechtfertigt, dennoch wird in den Krankenhäusern entsprechende Expertise flächendeckend benötigt. Man muss im Krankenhaus einen diabetischen Fuß versorgen können und man muss wissen, was eine Ketoazidose ist. Die Zahlen und Fakten sind erschreckend: die Fachkompetenz ist bereits jetzt nicht ausreichend gewährleistet. Nur knapp 20 Prozent aller Krankenhäuser können eine Diabetes-Expertise gemäß DDG-Zertifizierung vorweisen. Das kann zu dramatischen Situationen führen. 

Ob mit Reform oder ohne: Wer soll die Patienten mit Diabetes eigentlich versorgen? 

Die aktuelle Krankenhausreform wird diese Lage weiter verschlechtern. Es werden nicht ausreichend Ärztinnen und Ärzte mit diabetologischer Kompetenz vorgehalten, es wird nicht auf Zertifizierung geachtet. Aus meiner Sicht als niedergelassene Diabetologin, aus Sicht der DDG, ist das skandalös. Selbst wenn eine gute Absicht bestünde, die Diabetologie zu stärken und die Patientinnen und Patienten künftig flächendeckend gut zu versorgen – wir wissen bereits jetzt nicht, wer das personell eigentlich stemmen soll. Auch bei Diabetologinnen und Diabetologen bahnt sich eine Ruhestandswelle an.

Wir brauchen neben der ambulanten Versorgung eine hochqualifizierte stationäre diabetologische Versorgung. Wo sie noch vorhanden ist, darf sie nicht weiter abgebaut werden. Qualifizierte Expertise muss in Krankenhäusern vorgehalten werden. Und das nicht immer weniger, sondern mehr! Der Gesetzentwurf sieht genau das nicht vor! 

"Wir müssen laut werden und nerven" 

Bleibt die große Frage nach dem Warum? Ich glaube nicht, dass die Reform böser Wille ist. Außer uns hat einfach niemand diese Bedrohung auf dem Schirm! Man könnte es fahrlässig nennen oder auch inkompetent. Das ist ganz egal, aber das Gesetzesvorhaben muss in dieser Form gestoppt werden. 

Darum haben wir vom Fachbereich Diabetologie den Gesundheitsminister und alle Bundestagsabgeordneten angeschrieben und eine Petition für Patientinnen und Patienten und eine Unterschriftensammlung gestartet, die Anfang September beim Bundesgesundheitsministerium abgegeben werden, um auf die gefährliche Lage für Millionen Menschen aufmerksam zu machen. 

Wir müssen laut werden und nerven, damit wir bei den Verantwortlichen endlich adäquat gehört werden – sodass dieses aus unserer Sicht schädliche Gesetz so erst gar nicht erst durchgeht. Wer die Krankenhauslandschaft reformieren will, darf nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und die notwendige wie nebenbei lebenswichtige Versorgung zerstören.

Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Die Hütte brennt! 

Dr. med. Iris Dötsch

Dr. med. Iris Dötsch ist Fachärztin für Innere Medizin und Akupunktur mit den Zusatzqualifikationen zur Diabetologin DDG sowie Ernährungsmedizinerin. Dr. Dötsch ist niedergelassen in einer eigenen Diabetologischen Schwerpunktpraxis am Kurfürstendamm in Berlin. Ihre Praxis ist als Diabetologikum DDG anerkannt sowie zertifizierte Fußambulanz nach DDG. Darüber hinaus ist Dr. Dötsch im Vorstand des Bundesverbandes Niedergelassener Diabetologen (BVND) aktiv.