Deutschland muss sich bei der digitalen Transformation stringenter und rascher bewegen, um international aufzuschließen. Dazu ist es notwendig, die Bestimmungen der europäischen Datenschutzgrundverordnung in der Praxis der Landesdatenschutzbeauftragten einheitlich anzuwenden, nicht zuletzt unter dem Aspekt, dass die Bevölkerung mehrheitlich aufgeschlossen einer Nutzung ihrer Gesundheitsdaten für Forschungszwecke gegenübersteht, so die Botschaft der Jahrespressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) am 31.01. in Berlin.
Die Verknüpfung von Daten aus dem Bevölkerungsquerschnitt, aus der Versorgung und aus klinischen Studien können wichtige und sogar kurzfristig entscheidende Informationen für die Prävention und Therapie von Krankheiten liefern. Als konkretes Beispiel, wie kurzfristig lebenswichtige Erkenntnisse generiert werden können, nannte DGIM-Generalsekretär Professor Georg Ertl, Internist und Kardiologe am Uniklinikum Würzburg, die britische RECOVERY-Studie im Zusammenhang mit der Suche nach neuen Therapieansätzen zur Behandlung schwerer Corona-Infektionen.
In nur neun Tagen haben danach Forscher der Universität Oxford ein Protokoll für eine klinische Studie entwickelt, deren Ergebnisse zum Nachweis lebensrettender Therapien bereits nach zehn Wochen vorlagen. Binnen drei Stunden nach Bekanntgabe der Ergebnisse habe das britische NICE eine Erstattungsentscheidung für den Nationalen Gesundheitsdienst NHS getroffen. Im Rahmen der Studie seien vier Therapievarianten als wirksam, weitere sieben als unwirksam identifiziert worden. Dabei seien auch Merkmale des Krankheitsverlaufs oder der Immunreaktion der Patienten sowie Synergien verschiedener Medikamente identifiziert worden, die einen Therapieerfolg wahrscheinlich gemacht hätten.
Ein wesentlicher Schlüssel des Erfolgs sei die Fusion von routinemäßig erhobenen Daten im Rahmen der Versorgung mit den in den Studien gewonnenen Daten gewesen. Genau dies sei aber in Deutschland nicht möglich, weil Routinedaten nicht verfügbar seien. Ein Grund dafür sei, dass bislang nur 0,7 Prozent der gesetzlich Krankenversicherten über eine elektronische Patientenakte verfügen. Jedoch seien rund 80 Prozent der Menschen in Deutschland bereit, ihre Gesundheitsdaten für Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen. 70 Prozent würden diese Daten in ihre ePA aufnehmen.
Eine Überwindung der Hemmnisse erwartet die DGIM von einem in Vorbereitung befindlichen Gesundheitsdatennutzungs-Gesetz. Entsprechende Anforderungen an ein solches Gesetz habe die Fachgesellschaft dem Bundesgesundheitsministerium bereits übermitteln. Dabei wurden auch Empfehlungen für den Inhalt der ePA aus Sicht der Inneren Medizin abgegeben.
Nicht der Datenschutz an sich – wie er in der europäischen Datenschutzgrundverordnung kodifiziert ist und von anderen Ländern praktikabel umgesetzt wird –, sondern die heterogene Interpretation und Anwendung durch die Datenschutzbeauftragten der Länder, seien das eigentliche Hemmnis, Daten für die Forschung zu generieren. Die DGIM glaubt jedoch, im derzeit amtierenden hessischen Datenschutzbeauftragten einen fortschrittlichen Pragmatiker gefunden zu haben und will den Dialog mit den Datenschützern intensivieren.
Eine wahrscheinlich sehr dynamische Entwicklung mit einem großen Versorgungspotential sieht die DGIM in der künftigen Nutzung Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA), auch wenn im vergangenen Jahr nur rund 200.000 DiGA verordnet worden sind. Bislang wurden 45 Produkte vom BfArM zugelassen, fünf davon haben den Zulassungsstatus zwischenzeitlich verloren. Lediglich 15 DiGA sind aktuell aufgrund randomisierter klinischer Studien unbefristet zugelassen. Drei DiGA haben einen eindeutigen Bezug zur Inneren Medizin (Diabetes, Rückenschmerz und Adipositas).
Eine Herausforderung, so Professor Martin Möckel, Ärztlicher Leiter der Akut und Notfallmedizin an der Charité und Professor für kardiologische Prozessforschung, sei der Nutzennachweis von DiGA in klinischen Studien. Dies sei methodisch nicht einfach.
Hinzu treten noch nicht gelöste Probleme in der Verordnungspraxis. Aus internistischer Sicht, so Möckel, sollte DiGA analog zur Arzneimitteltherapie im Rahmen eines ärztlichen Behandlungsplans eingesetzt werden. Das erfordere regelmäßige Konsultationen des Arztes, die aber gegenwärtig im Vergütungssystem nicht abgebildet seien. Ferner bräuchten Ärzte detailliertere Kenntnisse über die jeweilige DiGA, am besten in Form von Erklärvideos. Es sei nicht ausreichend, den Einsatz digitaler Gesundheitsanwendungen allein auf der Basis einer Diagnose dem Patienten in alleiniger Eigenregie zu überlassen.
Trotz dieser Anfangsprobleme sieht Möckel in den DiGA ein großes Potential zur Verbesserung der Versorgung und auch zur Gewinnung neuer Erkenntnis aus dem Versorgungsalltag. Eine noch nicht genutzte Option sei die Gewinnung von Daten, die dem Arzt als Feedback für die individuelle Therapie, aber auch als Real World Data der Forschung zufließen können. Das, so Möckel, seien „erhebliche Weiterentwicklungspotentiale“ für die Funktionalität der DiGA. Sowohl qualitativ wie auch quantitativ sei deshalb in den nächsten zehn Jahren eine dynamische Entwicklung zu erwarten.