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Elektronische Patientenakte - das fehlende Verbindungsstück?

Mit der Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) macht die Digitalisierung des Gesundheitswesens einen großen Schritt nach vorne. Wie dieser Prozess genau aussieht, darüber tauschten sich Fachleute bei der virtuellen Expertenrunde "Die elektronische Patientenakte " aus.

Eine nachhaltige Bedienung ist erfolgskritisch

Seit dem 1. Januar 2021 bieten die gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten die elektronische Patientenakte (ePA) an. Mit ihrer Einführung macht die Digitalisierung des Gesundheitswesens einen großen Schritt nach vorne. Wie dieser Prozess genau aussieht, darüber tauschten sich Fachleute bei der virtuellen Expertenrunde "Die elektronische Patientenakte - Der Weg von der Einführung bis hin zum Praxisalltag" am 25. März 2021 aus, die von der RS Medical Consult Gmbh in Kooperation mit der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der gematik GmbH ausgerichtet wurde. Ein klarer Konsens aller vier Referenten beim Nachmittagsprogramm: Der Erfolg der ePA ist gebunden an die Zahl der NutzerInnen und eine nachhaltige Bedienung.

Ob digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) oder Videosprechstunden - die Digitalisierung des Gesundheitswesens nimmt auch in Deutschland Fahrt auf. Einen großen Schritt auf dem Weg zur Digitalisierung stellt auch die Einführung der elektronischen Patientenakte dar. Fortan soll die ePA den Informationsaustausch zwischen Ärzteschaft und PatientInnen für beide Seiten deutlich vereinfachen und dafür sorgen, dass medizinische Daten zielgerichtet ihren Weg finden. Doch wie sieht dieser Weg aus?

Unter der Organisation von Dipl.-Kauffrau Roswitha Scheidweiler, Geschäftsführerin der RS Medical Consult GmbH, und moderiert von Prof. Dr. med. Dirk Müller-Wieland, Vorsitzender der Kommission "Digitalisierung" sowie Past-Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), und Dr. med. Peter Gocke, Chief Digital Officer (CDO), Leiter Stabsstelle "Digitale Transformation" Charité, gingen vier Fachleute diesem Gedankengang beim virtuellen Expertenforum "Elektronische Patientenakte" nach. Neben Prof. Müller-Wieland und Dr. Gocke kamen auch Charly Bunar, ePA Produktmanager in der gematik GmbH, sowie Dr. med. Bernhard Tenckhoff, Kassenärztliche Bundesvereinigung & "ISI - Innovation, Strategische Analyse und IT-Beratung", zu Wort.

Digitalen Wandel im Dialog gestalten

Den Auftakt ins Nachmittagsprogramm macht Charly Bunar, der den aktuellen Zwischenstand zur Einführung der ePA zusammenfasst und Ausblicke auf die kommenden Monate gibt. Bunar betont zunächst, bei der elektronischen Patientenakte handle es sich um eine Akte für, nicht über die PatientInnen. Sie sei als Hilfswerkzeug für den Austausch zwischen ÄrztInnen und PatientInnen gedacht, um auch Daten aufzuzeigen, die in anderen Aktenformen nicht immer verzeichnet sind. Als vorteilhaftes Beispiel nennt Bunar hier eine Interoperabilität: Mit Hilfe der ePA werde es möglich, eine Sektoren-, fach- und einrichtungsübergreifende Gesundheitsversorgung zu vereinfachen. Der Produktmanager sieht klare Vorteile der elektronischen Patientenakte für beide Seiten. PatientInnen hätten die Möglichkeit, Favoriten zu markieren oder Einträge zu löschen, könnten in der ePA auch frühere Verletzungen oder Auffälligkeiten anmerken und hätten jederzeit die vollständige Kontrolle, welche Daten ÄrztInnen oder Praxen zu sehen bekommen. Arbeitgeber werden hingegen nicht zur Einsicht berechtigt. Über den Arzt-Login hingegen könnten MedizinerInnen problemlos in freigegebene Dateien wie Arztbriefe oder Röntgenbilder Einblick erhalten und diese auch herunterladen. Umgekehrt könnten auch über die Praxissoftware Dokumente in die ePA hochgeladen werden. Daher lautet Bunars Appell an ÄrztInnen und PatientInnen: Der digitale Wandel sollte im gemeinsamen Dialog gestaltet werden.

Anschließend berichtet Dr. Bernhard Tenckhoff, welcher Mehrwert durch Medizinische Informationsobjekte (MIOs) geboten werden kann. Der ISI-Leiter sieht bei der Wunsch-Nutzung der ePA ein klares Ziel, das sich aus drei Bestandteilen zusammensetzt: Austauschformate für medizinische Daten und Dokumente + Umsetzung und Integration in Praxis + die Beteiligung aller AkteurInnen. Als strategisches Ziel steht hingegen fest: Daten sollen wiederverwendbar sein. Ausgewählte Daten könnten dann möglicherweise auch europaweit zur Verfügung gestellt werden und beispielsweise von der ICD-10-GM in in die ICD-10-WHO eingespeist werden, schildert Tenckhoff. Wichtig sei bei der Nutzung und Gestaltung medizinischer Informationsobjekte aber auch, dass Inhalte jederzeit "menschenlesbar" dargestellt werden. Der Arzt für Innere Medizin erläutert, zum aktuellen Zeitpunkt seien vier MIOs fertig definiert für den Start am 01.02.2022: Der Impfpass, der Mutterpass, das U-Heft sowie das Zahnärztliche Bonusheft. Weitere MIOs sind bereits geplant: Diese sollen sich mit den Themenfeldern "Laborbefund", "Patientenkurzübersicht / International Patient Summary / NFD", "KH-Entlassungsbrief", "Pflegedokumente" und "DiGAs / DiPAs" befassen. Auf diesem Weg soll die elektronische Patientenakte auch forschungskompatibel werden.

Elektronische Diabetes-Akte: Lernen, die Weichen zu stellen

Ein konkretes Beispiel für eine digitalbasierte Versorgungsgestaltung präsentiert im Rahmen des Nachmittagsprogramms Prof. Müller-Wieland: Die Elektronische Diabetes-Akte (eDA) der Deutschen Diabetes Gesellschaft. 25 bis 30 Menschen aus der Diabetologie arbeiteten hier in den Bereichen Projekt und Technik mit dem klaren Konzept, die Versorgung für Diabetes-PatientInnen mit der Hilfe digitaler Technologie zu gestalten und zu verbessern. Die eDA solle dabei stets transparent für ÄrztInnen und PatientInnen sein, so Müller-Wieland. ÄrztInnen biete sie patientenorientierte und leitlinienbasierte Entscheidungshilfen sowie eine große Zeitersparnis, für PatientInnen werde ein flächendeckender und sektorenübergreifender Versorgungsstandard gewährleistet. Aber auch für die Bereiche Forschung, Krankenkassen, Gemeinsamer Bundesausschuss und Politik biete die Elektronische Diabetes-Akte erhebliche Vorteile.

Zum aktuellen Zeitpunkt litten Evaluierung und Patientenverfügung oftmals unter einer uneinheitlichen Gestaltung. Beim Diabetes-Register gehe es deshalb darum, vorhandene Informationen zu verknüpfen und einen interoperablen Datenpool mit universeller Lesbarkeit zu generieren. Außerdem, so der Past-Präsident der DDG, soll mit Hilfe der eDA durch Module eine Individualisierung ermöglicht sowie die Datensicherheit und der Ort/ die Art der Speicherung gewährleistet werden. Eine große Chance der Elektronischen Diabetes-Akte liege somit in der Möglichkeit, Zusammenänge durch umfangreiche Datensätze besser zu verstehen. Die Tools seien vorhanden, so Müller-Wieland, jetzt müsse man lernen, die Weichen zu stellen. Aus diesem Grund stehe die DDG auch im Dialog mit der KBV. Der Vorsitzende der Kommission "Digitalisierung" betont allerdings, bei der eDA gehe es keinesfalls darum, eine Konkurenzveranstaltung zu veranstalten. 

Ziel ist eine bessere Medizin

Zum Abschluss der Expertenrunde kam Dr. Gocke zu Wort, um über die Ausgestaltung der eletronischen Patientenakte in Krankenhäusern und Praxen zu referieren. Der Leiter der Stabsstelle "Digitale Transformation" an der Charité schildert die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens als hochkomplexe Aufgabe. Die Auswirkungen schlechter Digitalisierung und uneinheitlicher Lösungsansätze seien hierzulande deutlich sichtbar. Das deutsche Gesundheitswesen leide zum aktuellen Zeitpunkt noch immer unter einer "Papierlast". Viele Gesundheitsdaten seien heterogen verteilt, unstrukturiert und es gebe keine einheitlichen Standards. Dieser Zustand münde in einem Aufeinanderprallen unterschiedlicher Strukturen und erhöhter Komplexität. Verglichen mit anderen Ländern, wie Österreich, der Schweiz, Dänemark oder Estland, habe es in der deutschen Vergangenheit viele uneinheitliche Ansätze gegeben: Zum Beispiel die ePA über gematik, eine AOK-Akte, eine TK-Akte und sogar Bayern Digital.

Mit der elektronischen Patientenakte bestünde jetzt die Möglichkeit, hier endlich nachzuziehen. Diese sei viel mehr als nur eine "Akte", sie werde zur wichtigsten Quelle für gesundheitliche Daten und Informationen. Deshalb müsse sichergestellt werden, dass die ePA in allen relevanten Bereichen - wie Aufnahme, Behandlung und Entlassung - sektorübergreifende Berücksichtigung findet. Daher sieht Gocke bei Arztpraxen und Krankenhäusern eine klar definierte Aufgabe: Eine strukturierte Datenbereitstellung nach (inter-)nationalen Standards umzusetzen. Die Daten der PatientInnen müssten auch nach deren Entlassung optimal erfasst und genutzt werden. Erfolgskritisch für die ePA sei, dass die gemeinsame Nutzung strukturierter Daten in Echtzeit erfolge. So resümiert Gocke zum Abschluss: "Das Ziel ist nicht "Digitalisierung", sondern eine bessere Medizin!"

Quelle: Expertenforum "Elektronische Patientenakte – Der Weg von der Einführung bis hin zum Praxisalltag", 25. März 2021