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Arztsprache in Frankreich: Von Pocken, Tabak und Kaninchen

Sie möchten in Frankreich praktizieren? Anlässlich des Deutsch-Französischen-Tages haben wir für Sie einige medizinische Redewendungen entschlüsselt, die Ihnen sehr nützlich sein können.

Vom "carabin" zum "toubib"

Beginnen wir am Anfang der Medizinerkarriere: im Medizinstudium. In Frankreich ist "carabin” eine umgangssprachliche Bezeichnung für einen Medizinstudierenden. Der Ursprung dieses Wortes ist unklar, doch es gibt zwei Theorien: 

"Carabin” kommt vermutlich von dem Wort "escarrabin" (zu deutsch: Skarabäus), das im Mittelalter einen koprophagen Käfer bezeichnete, der sich durch den Boden grub. Der eher ironische Vergleich stammt aus der Zeit der Pestepidemien, in der Medizinstudierende die Aufgabe hatten, die Toten zu begraben

Eine andere Erklärung bezieht sich auf den Ruf der Chirurgen der damaligen Zeit. Die Bevölkerung hatte Tendenzen, sich über die Chirurgie lustig zu machen und war der Überzeugung, dass Chirurgen ihre Patienten töten würden. Im 17. Jahrhundert gab es in Frankreich eine Kavallerieeinheit, die mit einem Karabiner, einem kurzläufigen Militärgewehr, ausgerüstet war und daher "Carabins" genannt wurde. Diese Scharfschützen hatten die Aufgabe, bedeutende Personen zu schützen und deren Gegner zu bedrohen, indem sie aus der Ferne zielgerecht Menschen erschießen.  Zu dieser Zeit wurden die Chirurgen daher als "Karabinier des Heiligen Como" bezeichnet, da der Heilige Como der Schutzpatron der Chirurgen war. 

Wenn der "carabin" sein Studium beendet hat, wird er zum "toubib". Dieser andere umgangssprachliche Begriff stammt aus der französischen Kolonialgeschichte. Er leitet sich vom arabischen Wort "tabib" ab, das einen Arzt bezeichnete. In Frankreich verbreitete sich der Begriff mit den Soldaten, die aus den französischen Kolonien zurückgekehrt waren und diese Bezeichnung umgangssprachlich benutzten. 

Ein verwandtes Wort ging den umgekehrten Weg und ist in einigen Sprachen zu finden, die in der Sahelzone gesprochen werden. "Toubab" bezeichnete zunächst europäische Ärzte und später Europäer allgemein. Bei einigen jungen Franzosen nordafrikanischer Herkunft wird "Toubab" immer noch als Bezeichnung für einen weißen Menschen verwendet. 

Zusammenhang zwischen Pocken und einem Tabakladen

Auch wenn er etwas veraltet ist, wird die Redewendung "Die Pocken und einen Tabakladen haben" ("Avoir la vérole et un bureau de tabac") manchmal unter Medizinstudierenden in Frankreich verwendet. Die "Pocken" bezeichneten nacheinander zwei grundlegende Krankheiten: Die "kleinen Pocken" bezeichneten bis zum 15. Jahrhundert die Pocken; die "großen Pocken" dagegen die Syphilis. Diese Bedeutung findet sich in einigen Redewendungen wieder. Was das "bureau de tabac" betrifft, handelt es sich schlicht um eine Bar, in der man Tabak kaufen kann.

Wie das jetzt zusammenhängt? Ganz einfach: Ein Patient kann sehr wohl zwei Krankheiten haben, die nichts miteinander zu tun haben. Kurz gesagt: Nur weil sie eine Tabakbar haben, heißt das nicht, dass sie zwangsläufig die Pocken haben müssen. Und nur weil sie die Pocken haben, haben sie sich nicht gleich dazu entschlossen, eine Tabakbar zu kaufen. 

Der Ausdruck wird auch in einem anderen Sinn verwendet, um zu erklären, dass man sich vor einer Erkrankung in Acht nehmen sollte, die offensichtlich erscheint, hinter der sich aber eine andere verbergen könnte. Eine weitere Redewendung, mit der gleichen Bedeutung, findet man auf Warnschildern an allen französischen Bahnhöfen: "Attention, un train peut en cacher un autre" ("Achtung, ein Zug kann einen anderen verbergen"). Das bedeutet, dass man, wenn man die Gleise unmittelbar nach der Durchfahrt eines Zuges überqueren will, darauf achten muss, dass er nicht einen Zug verdeckt, der zur selben Zeit in die andere Richtung einfährt.   

Apropos Pocken: Die Redewendung "Comme la vérole sur le bas clergé" ("Wie die Pocken auf den niederen Klerus") bedeutet normalerweise, dass etwas sehr schnell passiert ist. Eine sarkastische Art zu sagen, dass sich die Pocken unter den Priestern sehr schnell ausbreiten.

Ein aktuelles Problem für französische Ärztinnen und Ärzte sind Patienten, die nicht zu ihren Terminen erscheinen. Man sagt, diese Patienten "versetzen ein Kaninchen" ("posent un lapin"). Im Französischen bezeichnete ein "Kaninchen" im 18. Jahrhundert einen Mann, der als blinder Passagier reiste, ohne zu bezahlen. Jahrhundertelang taucht der Ausdruck "faire cadeau d'un lapin" (zu deutsch: "ein Kaninchen verschenken") auf, der verwendet wurde, wenn ein Kunde nach Inanspruchnahme der Dienste einer Prostituierten nicht bezahlte. Er ist quasi als blinder Passagier gereist. Die Bedeutung wandelte sich mit der Zeit von "eine Verpflichtung nicht einhalten" zu "nicht zu einer Verabredung erscheinen".

Phantom des Operationssaals

In Frankreich werden sie wahrscheinlich einem Patienten begegnen, der "den Blutdruck in den Socken" hat: "la tension dans les chaussettes." Gemein ist natürlich, dass sein Blutdruck "im Keller" ist.

Einige Ausdrücke können Patienten gegenüber auch respektlos erscheinen. Sie sollten daher mit Vorsicht verwendet werden. Der Ausdruck "plein phares" (zu deutsch etwa: "alle Scheinwerfer sind an") zum Beispiel, den man häufig auf der Intensivstation hört, bezeichnet einen Patienten mit beidseitiger areaktiver Mydriasis. Denn die erweiterten Pupillen erinnern an die Scheinwerfer eines Autos.

Ein weiteres Beispiel ist "avoir la mèche court" ("eine kurze Zündschnur haben"). Diese Redewendung, die vor allem im französischsprachigen Kanada verwendet wird, bezeichnet jemanden, der sehr schnell "an die Decke geht". Man bezieht sich hier auf die Länge der Zündschnur einer Bombe. Der gleiche Ausdruck wird auch in französischen Krankenhäusern verwendet. Doch dort wird er verwendet, um einen Patienten zu definieren, der nicht mehr lange zu leben hat. Hier verwendet man das metaphorische Bild eines Kerzendochts.

Der Ausdruck "voll wie eine Auster" ("aplein comme une huître") bezeichnet in Frankreich eine Person, die zu viel getrunken hat. Im Krankenhaus wird er jedoch verwendet, um einen Patienten zu bezeichnen, der viel Bronchialsekret absondert. Im Operationssaal werden sie auch hören, dass der Patient "wie ein Topf atmet" ("respire comme une casserole") - das heißt, dass er schlecht ventiliert. 

Bleiben wir im Operationssaal: Wenn der Anästhesist sie fragt, ob eine klassische Narkose durchgeführt werden soll, sagt er mit hoher Wahrscheinlichkeit: "Wir machen Steak mit Pommes?" ("On fait une steack frites?"). Und wenn ihnen jemand sagt: "Ich schwänze im Saal" ("Je sèche en salle"), haben Sie ein wenig Mitgefühl, denn das bedeutet, dass niemand im OP für diese Person eingesprungen ist. Der Arzt ist also vor Ort am Dehydrieren.