Arzt-Patienten-Beziehung in der Corona-Pandemie Logo of esanum https://www.esanum.de

Die Arzt-Patienten-Kommunikation in der Pandemie

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die hausärztliche Praxis? Welche Folgen und Chancen hat sie für die Arzt-Patienten-Kommunikation?

Ärzte an der Belastungsgrenze: Konflikte aber auch mehr Verständnis 

Die Arzt-Patienten-Beziehung befindet sich in einer Krise. Wie zentral die hausärztliche Praxis als Scharnier zwischen den Erkrankten und den Gesundheitsakteuren wirken, hat Professor Dr. Jochen Gensichen, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München, bei einer Diskussion in der Evangelischen Akademie Tutzing ziemlich emotional auf den Punkt gebracht: "Die Beziehung zwischen einem Hausarzt und seinem Patienten ist in Deutschland wahrscheinlich langlebiger als eine Ehe. Wir kennen unsere Patienten sehr gut und sind oft ihre ersten Ansprechpartner in gesundheitlichen Fragen".

Das Zitat stammt aus dem Anfang der Corona-Pandemie, als sich Deutschlands Ärztinnen und Ärzte darauf einzustellen begannen, was jetzt wohl auf sie zukommen wird: Eine neuartige Krankheit, verunsicherte Patienten, neue Regeln, komplexe Anforderungen an das Praxismanagement. Inzwischen sind Coronawellen an- und weitergerollt. Das Virus mutierte, zeitweise gab es unklare Impfregelungen, schleppende Belieferung mit Impfstoffen. Ärzte und Gesundheitspolitiker sprachen regelmäßig von der Belastungsgrenze, die demnächst überschritten sei.

Folgen der Pandemie für das Vertrauen der Ärzte in die Politik

Die Zeit, als Dr. Steffen Grüner, Allgemeinmediziner in Osnabrück, sich um Masken und Schutzkleidung für sich und seine Mitarbeiterinnen Sorgen machen musste, ist vorbei. Auch genug Impfstoff kommt bei ihm an. Dennoch blickt der Hausarzt sehr kritisch auf das politische Pandemiemanagement insgesamt. "Ich bin immer noch erstaunt, wie kalt und unvorbereitet uns die Pandemie getroffen hat. Die Risikokommunikation war eine Katastrophe. Wir können dankbar sein, dass wir es nicht mir Ebola zu tun haben, sondern mit Corona. Nach zwei Jahren muss man sagen, die Politik hätte pragmatische Lösungen finden können. Das ist nicht geschehen und das frustriert mich. Mein Vertrauen in die Politik ist ziemlich verloren gegangen." Wie viele andere Praxen auch hat Dr. Grüner dennoch das Beste aus den Schwierigkeiten gemacht.

Chance für Veränderung: Pandemie war ein Digitalisierungsschub

"Unser Telefonsystem ist eines Tages unter dem Patientenandrang zusammengebrochen, die Patienten kamen nicht mehr durch. Jetzt haben wir unsere Terminvergabe ins Netz verlegt. Das hat uns zwischenzeitlich ökonomisch und im Management vor neue Herausforderungen gestellt. Aber nun läuft es. Das nimmt viel Druck vom Kessel und entlastet unsere Helferinnen sehr."

Auch Videosprechstunden erlebten überall einen neuen Boom. Viele Ärztinnen und Ärzte wollen nach eigenen Aussagen auch nach pandemischen Zeiten auf die neuen digitalen Tools nicht mehr verzichten.

Folgen der Pandemie für die Stimmung im Praxisalltag

Die Corona-Pandemie hat weitere Auswirkungen auf die Ärzteschaft: Neben dem Praxismanagement hat sich auch der Ton in vielen Praxen verändert. Dr. Grüner: "Viele Patienten wollen sich nicht impfen lassen. Wir können hier nur auf der rationalen, medizinischen Ebene reagieren. Ich versuche, den Patienten zu helfen, für sich die richtige Entscheidung zu finden. Das heißt, die Gründe, die für eine Impfung sprechen und solche, die möglicherweise dagegensprechen, sachlich darstellen."

Er beobachtet: "Derartige Konflikte stellen die Arzt-Patienten-Beziehung auf die Probe. Dann fällt es manchmal schwer, die Ruhe zu bewahren." Aber die Ärztin oder der Arzt hat Verständnis und Mitgefühl: "Manche Patienten überdecken nur ihre eigene Unsicherheit mit Aggressivität."

Die Frage ist: Dringen die sachlichen Argumente überhaupt durch? Dr. Grüner ist skeptisch: "Am Ende sind viele auch einfach nur mürbe durch die Testerei, die Konflikte bei der Arbeit - das beeinflusst die Entscheidungen oft mehr als eine fundierte Erkenntnis oder Überzeugung." Dennoch ist sein Beruf für Dr. Grüner immer noch "der Schönste der Welt." Insgesamt seien Patienten und Ärzteschaft in der Pandemie nämlich "deutlich zusammengerückt". Patienten zeigten zum Beispiel mehr Verständnis, wenn sie etwas länger warten müssen. "Das Vertrauen, das Miteinander ist eher gewachsen."

Folgen der Corona-Pandemie für die Gesundheit der Patienten

Die Berliner Hausärztin Dr. Petra Sandow berichtet von den Gefahren einer gestörten Arzt-Patienten-Kommunikation. "Patienten kommen seltener in die Praxen, weil sie Angst vor dem Wartezimmer, beziehungsweise vor einer Infektion haben." Sie machten deshalb mehr mit sich selbst aus, ziehen den Arzt später und seltener hinzu. Die Folge: "Wir erfahren von Symptomen und neuen Entwicklungen jetzt deutlich später. Der Informationsfluss ist klar verlangsamt. So kommt es vor, dass ein Patient sagt, er hatte vor vier oder sechs Wochen mal Beschwerden im Brustbereich. Und dann stellt man fest, es ist eine neue Infarktnarbe da. Oder eine Patientin geht zum Facharzt, bekommt dort ein neues Medikament und wir erfahren es erst sehr viel später, sodass wir zwischenzeitlich möglicherweise etwas verschrieben haben, das nicht zu dem neuen Medikament passt." Dr. Sandow ist dazu übergegangen, bei jedem Anruf Veränderungen im Befinden abzufragen. "Was wir früher im Gespräch wie nebenbei erfahren haben, müssen wir uns nun aktiv holen."

Ärztlicher Umgang mit Impfgegnern

Aber schon die schlichte Frage "sind Sie gegen Corona geimpft?" kann zu Konflikten führen. "Da fliegen einem durchaus mal Beschimpfungen um die Ohren." Dr. Sandow macht in solchen Fällen von ihrem Hausrecht Gebrauch. "Wer unhöflich oder aggressiv wird, hat die Praxis zu verlassen. Solche Patienten sind bei mir an der falschen Adresse, sie sollen sich jemand anders suchen." Allerdings behandelt die Hausärztin grundsätzlich auch Ungeimpfte - "wenn sie sich zurückhalten, nicht aggressiv sind und nicht lauthals im Wartezimmer agitieren." Ihr Argument: "Wir behandeln ja auch COPD-Patienten, die rauchen."

Dr. Sandow hilft in der Kommunikation eine grundsätzliche Entscheidung: "Unsere Aufgabe ist es, alle Seiten zu sehen. Man muss offenbleiben und seine eigene Fasson im Umgang mit problematischen Patienten finden. Manche sind verhärtet in ihren Einstellungen. Wenn das allerdings eine Grenze überschreitet, beziehe ich klar Position: Bis hierhin und nicht weiter."

Auch eine Veränderung im Praxismanagement trägt bei Dr. Sandow zur Entspannung bei. Ein kleiner Umbau macht die Abläufe effektiver. Ein alter, ehemals verschlossener Eingang vom Flur in eines der Sprechzimmer wurde wieder geöffnet, sodass ein extra Isolierzimmer für Infizierte entstanden ist. Impfungen erfolgen zeitlich getrennt vom alltäglichen Sprechstunden-Ablauf.

Deutlich erhöhter Gesprächsbedarf bei Patienten seit der Pandemie

Die Diabetologin Dr. Ilka Enger aus Neutraubling hat es in ihrer Praxis häufig mit Patientinnen und Patienten zu tun, die ein erhöhtes Risiko für schwere COVID-19-Verläufe haben – und die sich ohnehin besondere Sorgen um ihre Gesundheit machen. Auch in ihrer Praxis wird geimpft. Ihre Beobachtung: "Viele lassen sich gern impfen und möchten auch den Booster. Trotz Beratung sagen aber manche, die Impfung komme für sie nicht infrage. Sie haben Bedenken aufgrund von Vorerkrankungen, wie Autoimmunerkrankungen, rheumatische Erkrankungen." Zahlenmäßig bilden die Skeptiker in ihrer Praxis den Durchschnitt der Bevölkerung ab: Etwa 20 bis 30 Prozent.

Dr. Enger: "Die meisten Menschen sind in der Lage, Risiko und Nutzen abzuwägen. Sie sind vorinformiert und haben Fragen zur Sicherheit des Impfstoffs. Wir müssen eindeutig mehr Zeit für Gespräche aufwenden."

Die regelmäßige Kontrolle der Impfpässe ist bei Diabetespatienten die Regel. Dr. Enger: "Wenn man dann auf die COVID-Impfung zu sprechen kommt, zeigt sich schon auch Widerstand." Es mache aber keinen Sinn, jemanden unter Druck zu setzen. "Man muss Alternativen aufzeigen – zum Beispiel die neuen Impfstoffe, die hoffentlich bald auf dem Markt sein werden."

Ganz "heftige Impfgegner" hat Dr. Enger in der eigenen Praxis noch nicht erlebt. Aber sie macht sich Sorgen um die zunehmende Polarisierung in der Impfdebatte: "Mir wäre es lieber, wenn man die Leute mit mehr Überzeugungsarbeit und durch das Vorhalten anderer Impfstoffe abholen könnte. Ich erhoffe mir, dass sich ein Teil der Skeptiker damit dann doch impfen lässt." Die Politik sollte schnell dafür sorgen, dass Valneva und Novavax zur Verfügung stehen.

Umgang der Ärzte mit Impf-Nebenwirkungen

Es gebe ja durchaus Nebenwirkungen der mRNA-Impfungen. Bei drei ihrer Patienten hat die Diabetologin eine schwerwiegende Nebenwirkung gemeldet, der die Wissenschaft nachgehen sollte. Der schmerzende Stich am Arm gehöre nicht dazu.

Dr. Enger: "Es gibt Ärzte, die Nebenwirkungen nicht melden." Das habe vor allem mit dem Aufwand zu tun, welcher mit der Prozedur verbunden ist. "Hinzu kommt die Unsicherheit, ob es sich überhaupt um eine Nebenwirkung handelt oder ob ein Symptom ganz normal ist." Dr. Enger meint: "Auch wenn es mehr Arbeit bedeutet, sollte man dem Paul-Ehrlich-Institut die Möglichkeit geben, entsprechende Nebenwirkungen zu dokumentieren und nachzuverfolgen." Informationen zurückhalten sei der falsche Weg.

Verständnis zeigen genügt oft schon. Insgesamt fehle die Zeit, auf alle wie gewohnt gründlich einzugehen. "Hausärzte, die unsere Diabetes-Patienten mitbetreuen, sagen beispielsweise, sie haben für Routinekontrollen keine Zeit mehr, die vertrösten die Patienten dann. Das macht es auch für uns Diabetologen etwas schwieriger. Und manche Patienten fühlen sich auch vernachlässigt. Die Psyche mancher Patienten ist inzwischen sehr angegriffen. Ich versuche, trotz Zeitmangel darauf einzugehen. Oft reicht es schon, wenn man als Arzt Verständnis zeigt." Große Sorgen macht sich Dr. Enger um Demenzpatienten, "die unter der mangelnden Ansprache besonders leiden."

Auswirkungen der Corona-Diskussionen auf das private Umfeld

Der Brandenburger Hausarzt Matthias Grave betrachtet das Geschehen auch aus Patientensicht. "Die Kommunikation ist derzeit extrem erschwert, telefonisch erreicht man kaum noch einen Arzt." Seine Vermutung: "Manche Ärzte verstecken sich auch ein bisschen hinter der Pandemie, um die Kommunikation an den Optimierungsbedürfnissen der Praxis auszurichten." Vor zwei Jahren hat Grave seine Praxis im Speckgürtel von Berlin aufgegeben und ist in Pension gegangen. Dennoch ist der erfahrene Mediziner für Nachbarn und Bekannte weiter Ansprechpartner in gesundheitlichen Fragen - zumal bekannt ist, dass er regelmäßig in einem Impfzentrum Spritzen setzt. So erlebt er auch ohne Praxisbetrieb "Corona-Diskussionen am laufenden Band". Und da fänden sich immer wieder Streitpartner. Grave versucht grundsätzlich zu beruhigen und zu entkrampfen, "da man mit dieser Diskussion nicht Freundschaften aufs Spiel setzen sollte. Ich sage beispielsweise: in zwei Jahren ist das alles kein Thema mehr. Und dann wollen wir nicht mit Entsetzen zurückschauen und sehen, was wir uns hier verbal angetan haben. Ich gehe da nicht ideologisch heran, sondern werde zum Dulder anderer Ansichten." Allerdings sehe er auch, "dass bei manchen eine argumentative Auseinandersetzung nicht lohnt."

Völlig anders erlebt die Ärztin oder der Arzt die Situation im Impfzentrum. Grave: "Jeder, der kommt, bringt ja ein grundsätzliches Einverständnis mit. Die Kommunikation unter den Kollegen und zwischen Ärzten und Patienten läuft sehr gut." In die Praxis dagegen komme der Patient oft mit bestimmten Erwartungen und Vorstellungen, und denen sollte der Arzt möglichst entsprechen. "Und dann beginnt meist ein Handeln und Feilschen." Im Impfzentrum herrsche eine völlig andere Atmosphäre. "Ich würde von Heiterkeit sprechen."