Prof. Walter stellt in seinem Vortrag "Die Seele in der Krise – Psychosoziale und medizinische Spätfolgen der SARS-CoV-2-Pandemie" eine Forschungsarbeit von Maike Luhmann vor. Die Psychologin von der Ruhr-Universität Bochum zeigte darin, dass sich während der Pandemie vor allem Menschen mit Kindern einsam gefühlt haben. Was zuerst überraschend klingt, erklärt sich dadurch, dass sie durch die Kinder in ihrer häuslichen Einsamkeit gebunden waren. Luhmann hatte herausfinden wollen, was es bedeutet als Mutter, Vater, Eltern, Paar, mit Kindern isoliert zu werden. Die Kinder selbst seien von der Einsamkeit weniger betroffen gewesen, dennoch fielen bei ihnen verbindende Aktivitäten weg.
Die häusliche Gewalt gegenüber Kindern hat während der Pandemie drastisch zugenommen. Als Reaktion auf die Stresssituation im Lockdown konnte eine Zunahme von Depression und Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen beobachtet werden.
Die abrupte Einführung des Home Office parallel zum Homeschooling brachte viele Familie an ihre Grenzen. Durch das Homeschooling wurden Kinder und Jugendliche mehr oder minder dazu gezwungen, mehrere Stunden pro Tag vor dem Bildschirm des Computers zu verbringen, um am regulären Schulunterricht teilnehmen zu können. Die Eltern konnten die Disziplin, die sie ihren Kindern im Umgang mit dem Handy oder dem Tablet vermittelt hatten, somit nicht beibehalten. Generell habe aber eine gewisse Routine vorbeugend gewirkt, ein Netzwerk und eigene Hobbys waren hilfreich für die Kinder und auch die Erwachsenen.
Eine massive Überversorgung mit COVID-Informationen hätten sich negativ ausgewirkt und eigene Ängste verstärkt. Vor allem in Regionen, in denen die Fallzahlen besonders hoch waren und bei Menschen, die in Jobs arbeiteten, die direkt mit dem Coronavirus zu tun hatten, also Jobs in der Medizin, der Pflege oder bei der Polizei. Auch die Sorge um das Geld durch Jobverlust und die fehlende Möglichkeit, regelmäßig einkaufen zu gehen, seien eine emotionale Herausforderung gewesen. Einen negativen Einfluss auf das seelische Wohl hatten auch Stigmatisierungen durch den Job oder die Arbeit in Berufen mit massiven Personalengpässen, zum Beispiel durch häufige Quarantänefälle.
Nun sei die Krise Prognosen zufolge im kommenden Frühjahr in Deutschland vorbei, aber die Probleme seien dadurch nicht einfach weg, erklärt Walter. Denn unter den posttraumatischen Belastungsstörungen litten nicht nur COVID-19-Erkrankte selbst, sondern auch Menschen, die im medizinischen Bereich arbeiten. Es gab zu viel Arbeit für sie und zu wenig für andere Berufe. Krankschreibungen aus psychischen Gründen haben Studien zufolge in Deutschland stark zugenommen. Walter vermutet, dass die Betroffenen nach eineinhalb Jahren Pandemie wahrscheinlich keine Kraft mehr gehabt hätten.
Bei den Seniorinnen und Senioren seien die Auswirkungen zunächst ein geringeres Problem gewesen, später nahmen Isolation und Einsamkeit jedoch zu. Ältere fühlten sich am Anfang nicht so allein, weil sie dies oft bereits gewohnt waren. Aber je länger die Isolation angehalten habe und eine Änderung der Situation nicht absehbar gewesen sei, hätten die psychischen Probleme zugenommen. Die Einsamkeit habe sich verstärkt, auch weil viele ältere Menschen mit modernen Medien nicht vertraut waren. Ihnen fehlten damit nicht nur die analogen Kontaktmöglichkeiten durch den Wegfall von Begegnungsstätten, auch die digitalen Kontaktmöglichkeiten seien ihnen verschlossen geblieben. Und auch die Sorge vor schweren COVID-19-Verläufen habe psychische Auffälligkeiten verstärkt.
Laut Walter ist der Alkoholkonsum während der Corona-Pandemie erschreckend gestiegen. Leider seien auch ehemalige Alkoholiker seit Sommer rückfällig geworden. Es habe aber auch positive Effekte gegeben. So hätten Patienten mit beispielsweise Waschzwang angegeben, dass sie ihre Störung nicht mehr als so schlimm empfunden hätten. Eben, weil gründliches Händewaschen und Desinfizieren zur Normalität geworden waren. Manche Zwangspatienten fühlten sich weniger stigmatisiert und mehr verstanden.