Moderne CLL-Therapie: auf Wechselwirkungen achten Logo of esanum https://www.esanum.de

Moderne CLL-Therapie: auf Wechselwirkungen achten

Selektive Wirkstoffe wie der BTK-Inhibitor Acalabrutinib (Calquence<sup>&reg;</sup>) haben die Therapie der CLL ma&szlig;geblich vorangebracht. Doch kann es zu Interaktionen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten kommen. Was Sie bei der Wahl des Therapieregimes beachten m&uuml;ssen, erfahren Sie im folgenden Beitrag.

Kernpunkte:

  • Für die Behandlung der CLL steht heutzutage eine Vielzahl an zielgerichteten Wirkstoffen zur Verfügung.
  • Bei der Auswahl der Substanzen sind potenzielle Interaktionen und Wechselwirkungen zu beachten.
  • Eine Kombination mit Magensäure-reduzierenden Wirkstoffen ist problemlos möglich.
  • Bei der gleichzeitigen Anwendung mit Substraten von Cytochrom P450 ist Vorsicht geboten.

Personalisierte CLL-Therapie

Acalabrutinib, Ibrutinib, Idelalisib, Venetoclax, Zanubrutinib – die Liste neuer Wirkstoffe bei der CLL, die in den letzten Jahren entwickelt wurden, ist mittlerweile lang. Sie haben verschiedene Angriffspunkte wie die Bruton-Tyrosinkinase (BTK), das B-cell-lymphoma-2 (BCL2)-Protein und die Phosphatidylinositid-3-Kinase (PI3K). Allen gemeinsam ist jedoch ihr selektives Bindungsverhalten. Im Vergleich zur früheren Chemotherapie wirken sie zielgenauer und sind besser verträglich.

Für Prof. Dr. Clemens-Martin Wendtner, Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie, Immunologie, Palliativmedizin, Infektiologie und Tropenmedizin der München Klinik Schwabing, ist die CLL-Therapie damit im Zeitalter der personalisierten Medizin angekommen, wie er im Rahmen des EHA-Kongresses 2023 unterstrich: „Mit den novel drugs können wir sowohl die Therapieeffizienz steigern als auch die Lebensqualität unserer Patienten, weil diese neuen Substanzen einfach weniger Nebenwirkungen haben.“1 Seine Kollegin Prof. Dr. Christina Rieger, Fachärztin für Innere Medizin, Hämatologie und internistische Onkologie, Hämatologie-Onkologie Germering, pflichtete ihm bei: „Die Therapie der CLL funktioniert heutzutage sehr gut. Wir haben hervorragend wirksame Medikamente und sehen immer wieder schöne Verläufe.“2

Wichtige Fragen vor Einleitung der Behandlung

Doch der klinische Einsatz der SMI (small molecule inhibitors), wie die niedermolekularen Arzneistoffe auch genannt werden, muss genau abgewogen und auf den einzelnen Patienten abgestimmt werden, um das bestmögliche Outcome zu erreichen. „Wichtig ist, neben patientenindividuellen Risikofaktoren auch die Komedikation zu beachten“, betonte Rieger.2

Für ein optimales Therapiemanagement sind daher vor Einleitung der Behandlung folgende Fragen zu klären:

  1. Welche Substanz ist für den Patienten am besten geeignet?
  2. Könnten Applikationsform und Dosierungsschema zu Adhärenzproblemen führen?
  3. Sind Interaktionen mit der Nahrungsaufnahme möglich?
  4. Welche Medikamente nimmt der Patient bereits ein? Kann es hier zu Wechselwirkungen kommen?

Schritt 1: Welches Medikament für welchen CLL-Patienten?

In der aktuellen Onkopedia-Leitlinie zur CLL3 werden klare Empfehlungen für die Erst- und Zweitlinientherapie gegeben. Sie richten sich vor allem nach dem genetischen Risikoprofil. Daneben spielen Komorbiditäten und der Allgemeinzustand eine Rolle.

Zusammengefasst werden aktuell bei niedrigem Risiko BCL2-Inhibitoren empfohlen, während bei intermediärem oder hohem Risiko BTK-Inhibitoren der zweiten Generation der Vorzug gegeben wird.

Nähere Informationen und Details zur Leitlinie finden Sie hier.

Schritt 2: Wie lässt sich die Adhärenz stärken?

Nicht zu unterschätzen bei der Verordnung von neuen Medikamenten sind Art und Zeitpunkt der Einnahme. Sie können vor allem langfristig bedeutsam für die Adhärenz sein und sollten den Patienten daher im Vorfeld der Behandlung klar kommuniziert werden.

Hier haben die zielgerichteten Substanzen mit ihrer oralen Applikationsform anstelle der früheren reinen Infusionstherapien einen erheblichen Vorteil aus Patientensicht: keine Nadel, keine zeitaufwendigen Praxis- oder Klinikbesuche, flexible Einnahme von unterwegs. Zudem ist die Einnahme bei den meisten Medikamenten nicht an die Nahrungsaufnahme gebunden.

Eine weitere Verbesserung der Patientencompliance beim Wirkstoff Acalabrutinib versprechen die seit März 2023 erhältlichen Calquence®Filmtabletten. Sie ersetzen die bisherigen Hartkapseln, sind besser zu schlucken und weniger interaktionsträchtig.

Schritt 3: Was ist im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme und anderen Medikamenten zu beachten?

Hier lohnt sich ein genauerer Blick auf die Pharmakokinetik der einzelnen Wirkstoffe.4

Wirk-mechanismus Einfluss durch Nahrungsaufnahme Anwendung mit Magensäure-reduzierenden Wirkstoffen Komedikation mit CYP3A-Substraten
Acalabrutinib BTK-Inhibitor Einnahme unabhängig von den Mahlzeiten möglich; auf festen Einnahmezeitpunkt achten Kombination problemlos möglich keine Kombination mit starken CYP3A-Inhibitoren bzw. Dosisreduktion; keine Kombination mit CYP3A-Induktoren
Ibrutinib BTK-Inhibitor Einnahme unabhängig von den Mahlzeiten möglich; auf festen Einnahmezeitpunkt achten Kombination problemlos möglich keine Kombination mit starken CYP3A-Inhibitoren bzw. Dosisreduktion; keine Kombination mit CYP3A-Induktoren
Zanubrutinib BTK-Inhibitor Einnahme unabhängig von den Mahlzeiten möglich Kombination problemlos möglich keine Kombination mit starken CYP3A-Inhibitoren bzw. Dosisreduktion; keine Kombination mit CYP3A-Induktoren
Idelalisib PI3K-Inhibitor Einnahme unabhängig von den Mahlzeiten möglich Kombination problemlos möglich verstärkte Überwachung bei Kombination mit starken CYP3A-Inhibitoren; keine Kombination mit CYP3A-Induktoren
Venetoclax Bcl2-Inhibitor Einnahme zu den Mahlzeiten Kombination problemlos möglich keine Kombination mit starken CYP3A-Inhibitoren zu Behandlungsbeginn, danach Dosisanpassung; keine Kombination mit CYP3A-Induktoren

Tab. 1: Wichtige Interaktionspotenziale verschiedener SMI

Acalabrutinib:5

Der Zweitgenerations-BTK-Inhibitor kann unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden. Die Einnahme zusammen mit fettreicher Nahrung führte bei gesunden Probanden zwar zu einer späteren und verringerten maximalen Plasmakonzentration (cmax), hatte jedoch keinen Einfluss auf die mittlere AUC (Area under the curve). Allerdings sollte Acalabrutinib jeden Tag zweimal um dieselbe Zeit eingenommen werden.

Die neue Formulierung als Filmtablette bietet den Patienten nicht nur Vorteile bei der Einnahme, sondern wirkt sich auf pharmakokinetisch günstig aus: Calquence-Tabletten enthalten Acalabrutinibmaleat, ein Salz des Acalabrutinibs, das bei höheren pH-Werten besser löslich ist als die Acalabrutinib-Base in den Calquence-Kapseln. Eine Kombination mit Magensäure-reduzierenden Wirkstoffen wie Protonenpumpeninhibitoren (PPI), H2-Rezeptor-antagonisten und Antazida ist damit problemlos möglich – eine enorme Erleichterung für das Therapieregime.

Acalabrutinib bei antiinfektiöser Therapie pausieren

Vorsicht ist allerdings geboten bei Komedikation mit Wirkstoffen, die das Cytochrom-P450-System beeinflussen. Acalabrutinib wird hauptsächlich über Cytochrom P450 3A4 (CYP3A4) metabolisiert. Inhibitoren wie Induktoren dieses Enzyms wirken sich somit direkt auf die Verfügbarkeit von Acalabrutinib aus. Starke CYP3A-Inhibitoren sollten daher nicht zusammen mit Calquence® eingenommen werden. Wenn Antiinfektiva wie Ketoconazol, Clarithromycin, Ritonavir oder Voriconazol vorübergehend eingesetzt werden müssen, sollte die Behandlung mit dem BTK-Inhibitor in dieser Zeit pausiert werden. Moderate CYP3A-Inhibitoren erfordern hingegen keine Dosisanpassung, sondern lediglich eine engmaschigere Überwachung der Betroffenen.

Umgekehrt können starke Induktoren von CYP3A wie Phenytoin, Rifampicin oder Carbamazepin die Wirksamkeit von Acalabrutinib einschränken und sollten daher nicht gleichzeitig eingenommen werden. Das gilt auch für den Einsatz von Johanniskraut, worauf die Patienten ggf. hingewiesen werden müssen.

Ibrutinib:6

Beim ersten Vertreter der BTK-Inhibitoren führte die Nüchterneinnahme im Vergleich zur Einnahme mit dem Essen zu einer geringeren Bioverfügbarkeit. Nach Fachinformation sollte allerdings lediglich auf eine stetige Einnahme etwa zur gleichen Zeit geachtet werden. Wichtig ist, die Kombination mit Grapefruit oder Bitterorangen zu meiden. Sie enthalten CYP3A4-Inhibitoren, die die Ibrutinib-Exposition um das 2- bis 4-fache erhöhen können.

Da die Löslichkeit von Ibrutinib pH-abhängig ist, kann die Gabe von PPI die cmax verringern. Klinisch ist dies jedoch nicht von Belang, sodass die Kombination ohne Einschränkung möglich ist.

Dosisanpassung bei Kombination mit CYP3A-Inhibitoren

Wie Acalabrutinib wird auch sein Vorgänger primär über CYP3A verstoffwechselt. Daher sollte auch hier die Kombination insbesondere mit starken Inhibitoren wie Induktoren des Enzyms vermieden werden. Ggf. muss die Therapie mit Ibrutinib eine Zeit lang ausgesetzt oder die Dosis angepasst werden. Dabei gilt: Bei Kombination mit starken CYP3A-Inhibitoren soll die Dosis von 420 mg auf 140 mg täglich reduziert werden, bei moderaten auf 280 mg. Die gleichzeitige Anwendung mit CYP3A-Induktoren einschließlich Johanniskraut sollte gänzlich unterbleiben, um die Wirksamkeit von Ibrutinib nicht zu mindern.

Zanubrutinib:7

Der Wirkstoff gehört wie Acalabrutinib der zweiten Generation von BTK-Inhibitoren an. Entsprechend ähnlich ist das Interaktionspozential. Die Nahrungsaufnahme hat ebenso wenig Einfluss auf die Wirksamkeit wie ein veränderter pH-Wert. Folglich ist die Einnahme mit oder ohne Nahrungsmittel möglich und auch mit PPI oder Antazida kombinierbar.

Da die Verstoffwechslung auf dem gleichen Weg wie bei Acalabrutinib und Ibrutinib erfolgt, sollte die Dosis von Zanubrutinib bei moderaten bis starken CYP3A-Inhibitoren entsprechend reduziert werden. Empfohlen werden 160 bzw. 80 mg pro Tag. Die gleichzeitige Anwendung mit mäßigen bis starken CYP3A-Induktoren wie Carbamazepin, Rifampizin und Johanniskraut ist zu vermeiden.

Idelalisib:8

Idelalisib (Zydelig®) ist ein Vertreter der PI3K-Inhibitoren. Er hemmt die bei B-Zell-Malignomen hyperaktive Phosphatidylinositol-3-Kinase und greift damit in die Signaltransduktion der Tumorzellen ein. Auch Zydelig® kann unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden. Ebenso ist die gleichzeitige Einnahme Magensäure-reduzierender Wirkstoffe möglich.

Idelalisib wird im Gegensatz zu den BTK-Inhibitoren vor allem über die Aldehydoxidase und weniger über CYP3A metabolisiert. Dennoch sollte es nicht mit CYP3A-Induktoren kombiniert werden. Bei der gleichzeitigen Einnahme von starken Inhibitoren des Enzyms müssen die Betroffenen sorgfältig überwacht werden.

Toxizitäten anderer Medikamente unter Idelalisib

Idelalisib seinerseits ist ein starker Inhibitor von CYP3A. Es kann daher die Konzentration anderer Wirkstoffe, die über diesen Weg verstoffwechselt werden, erhöhen. Das betrifft eine ganze Reihe an Wirkstoffen. Besonders kritisch sind CYP3A-Substrate mit potenziell lebensbedrohlichen Nebenwirkungen (z. B. Amiodaron, Ergotamin, Quetiapin, Simvastatin, Sildenafil und Midazolam). Eine Kombination mit diesen Substanzen sollte unbedingt vermieden werden.

Venetoclax:9

Der BCL2-Inhibitor hemmt das in CLL- und AML-Zellen überexprimierte B-Zell-Lymphom(BCL)-2-Protein, das die Tumorzellen vor der Apoptose bewahrt. Da die Wirksamkeit auf nüchternen Magen reduziert ist, sollte die Einnahme von Venclyxto® zum Essen erfolgen. Der gleichzeitige Verzehr von Grapefruit oder Bitterorangen sollte dagegen unterbleiben. Die Kombination mit Magensäure-Hemmern ist wiederum unproblematisch.

Beim Einsatz von CYP3A-Inhibitoren unter Venetoclax ist ein differenziertes Vorgehen geboten, da sie die Wirkung des BCL2-Inhibitors verstärken können. Starke CYP3A-Inhibitoren sind bei Behandlungsbeginn der CLL mit Venclyxto® kontraindiziert. Nach der Aufdosierungsphase sollte die Dosis angepasst werden. Bei mittelstarken Inhibitoren von CYP3A ist gemäß Fachinformation eine Reduktion der Venetoclax-Dosis um mindestens 50 % geboten. CYP3A-Induktoren sollten aufgrund eines möglichen Wirkverlusts nicht mit Venetoclax kombiniert werden.

Qual der Wahl: für jeden das Passende finden

In einem aktuellen Review zur Behandlung der CLL resümiert Rory Bennett vom Department of Clinical Haematology, Royal Melbourne Hospital: „Wir als Ärzte und unsere Patienten mit CLL haben jetzt das Glück, dass wir über zahlreiche etablierte und neue Therapien verfügen. Angesichts der vielen Optionen stehen wir allerdings vor der Aufgabe, die optimale Auswahl für jeden Patienten zu treffen. Das ist eine große Herausforderung für die Kliniker, die sowohl Krankheits- als auch Patientenfaktoren berücksichtigen müssen.“10

So bringt die personalisierte Therapie der CLL den betroffenen Patienten erhebliche Vorteile. Die ärztliche Kunst dabei besteht darin, für jeden Erkrankten das individuell passende Behandlungsschema zu finden.


Referenzen:

  1. Neue Therapieansätze bei CLL: Aktuelle Entwicklungen und zukünftige Perspektiven. Interview mit Prof. Dr. Clemens Wendtner (München) im Rahmen des EHA 2023. Online unter: https://www.esanum.de/conferences/eha-congress/feeds/today/posts/neue-therapieansaetze-bei-cll-aktuelle-entwicklungen-und-zukuenftige-perspektiven (letzter Zugriff: September 2023).
  2. Erstlinientherapie der CLL: Leitlinie 2023 – Praxisalltag. CME von Prof. Dr. med. Christina Rieger, München. Online unter https://cme.medlearning.de/janssen/cll_erstlinientherapie/index.htm (letzter Zugriff: September 2023).
  3. Wendtner CM et al. Onkopedia-Leitlinie Chronische Lymphatische Leukämie (CLL). Stand: Januar 2023. Online unter: https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/chronische-lymphatische-leukaemie-cll/@@guideline/html/index.html (letzter Zugriff: September 2023).
  4. Die folgenden Ausführungen bieten nur einen Ausschnitt möglicher Interaktionen und Wechselwirkungen, fokussiert auf die Beeinflussung durch Nahrung, pH-Wert und Medikamente mit ähnlichen Stoffwechselwegen. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Weitere Informationen finden sich in den jeweiligen Fachinformationen.
  5. Fachinformation Calquence® 100 mg Filmtabletten, Stand: Februar 2023.
  6. Fachinformation Imbruvica® 140 mg/280 mg/420 mg/560 mg Filmtabletten, Stand: Dezember 2022.
  7. Fachinformation Brukinsa® 80 mg Hartkapseln, Stand: November 2022.
  8. Fachinformation Zydelik® 100 mg/150 mg Filmtabletten, Stand: September 2021.
  9. Fachinformation Venclyxto® 10 mg/50 mg/100 mg Filmtabletten, Stand: August 2023.
  10. Bennett R et al. Unresolved questions in selection of therapies for treatment-naïve chronic lymphocytic leukemia. Journal of Hematology & Oncology (2023) 16:72. https://doi.org/10.1186/s13045-023-01469-7 

Abkürzungen:
AUC = Area under the curve
BCL2 = B-Zell-Lymphom(BCL)-2-Protein
BTK = Bruton-Tyrosinkinase
cmax = maximalen Plasmakonzentration
CYP = Cytochrom P
EHA = European Hematology Association (bzw. deren Jahreskongress)
PI3K = Phosphatidylinositol-3-Kinase
SMI = small molecule inhibitors