CLL-Therapie: Wie alltagskompatibel ist das Behandlungsregime? Logo of esanum https://www.esanum.de

CLL-Therapie: Wie alltagskompatibel ist das Behandlungsregime?

Bei Menschen mit Tumorerkrankungen können eine soziale Teilhabe und die Ausübung sozialer Rollenfunktionen durch Erkrankungssymptome sowie durch Begleiterscheinungen und die Anforderungen einer Therapie beeinträchtigt werden.

Kernpunkte:

  • Zur Behandlung von CLL sind orale Dauertherapien verfügbar, die im Vergleich zu Infusionsregimen Betroffene entlasten und es ihnen ermöglichen, einen aktiven Beitrag zur Kontrolle ihrer Erkrankung zu leisten.
  • Mit einer allgemein besseren Verträglichkeit bei einer geringeren Inzidenz von Vorhofflimmern/-flattern versus Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren (BTKi) der ersten Generation kommt Acalabrutinib dem klinischen Bedarf nach einer verträglichen CLL-Dauertherapie entgegen.
  • Eine geringere Rate an nebenwirkungsbedingten Therapieabbrüchen unter Acalabrutinib im Vergleich zu Ibrutinib weist auf potenzielle Vorteile bei der Kontinuität einer Dauertherapie hin.

Wird die Diagnose chronische lymphatische Leukämie (CLL) gestellt, ziehen die Behandler:innen u. a. vier Hauptkriterien für die Therapiewahl heran:1

Entscheidend für die Wahl der Therapie sind zusätzlich auch die Präferenzen und Lebensumstände der Patient:innen, die es im ergebnisoffenen Gespräch zu eruieren gilt. Typische Fragen aus Patient:innensicht lauten etwa:

Ein entscheidender Faktor: soziale Teilhabe und die Ausübung sozialer Rollenfunktionen

Menschen mit einer Tumordiagnose schildern im Erkrankungsverlauf mitunter das Gefühl, die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren.2 Es kann z. B. als gravierend wahrgenommen werden, wenn Erkrankungsfolgen die Möglichkeiten zur Versorgung oder Unterstützung der Familie einschränken oder insgesamt die Beziehungsgestaltung zu Partner:innen und ggf. zu eigenen Kindern leidet. Dabei werden eine soziale Teilhabe und die Ausübung sozialer Rollenfunktionen nicht alleine durch die Symptome der Erkrankung beeinträchtigt, sondern potenziell auch durch Begleiterscheinungen und die Anforderungen einer Therapie.

Insofern kann z. B. der Erhalt u. a. versorgender, betreuender oder pflegender Funktionen ein Therapieziel darstellen, das für Betroffene eine hohe Priorität hat. Dieser Wunsch kann altersunabhängig bestehen und sollte mit Blick auf eine individuell geeignete Therapiewahl aktiv erfragt und besprochen werden.

Therapie bei älteren Patient:innen

Kurz nachgefragt bei Dr. Julia von Tresckow, Oberärztin, Leitung Schwerpunkt CLL, indolente Lymphome, Klinik für Hämatologie und Stammzelltransplantation, Universitätsklinikum Essen

Patient:innen mit CLL sind häufig im höheren Lebensalter. Auf was achten Sie bei der Therapie besonders?

Tresckow: „Ich erläutere den Betroffenen anhand der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie die verschiedenen Therapieoptionen bei CLL, die ihnen in ihrer jeweiligen Situation zur Verfügung stehen. Dann ist zu berücksichtigen, was die Lebensumstände der Patient:innen sind. Welche Begleiterkrankungen liegen vor? Letztendlich entscheiden wir gemeinsam, was die beste Lösung ist. Ich habe aktuell einen älteren Patienten, der einen mutierten IGHV-Status hat und auch eine Chemoimmuntherapie erhalten könnte. Da er seine bereits schwer erkrankte Ehefrau pflegt, brauchte er eine Therapie, die für ihn einfach und, insbesondere in der Pandemiesituation, nicht mit zeitaufwendigen Arztkontakten verbunden ist. Er ist kardial massiv vorerkrankt, sodass er hinsichtlich der BTKi-Therapie gezögert hat. In solchen Grenzsituationen stelle ich die Betroffenen kardiologisch vor, um sicher zu sein, dass eine BTKi-Therapie geeignet ist.“

Entlastung durch orale Therapien

Abgesehen von Effektivität und Nebenwirkungsprofil gehört auch die orale Applikation zu den Eigenschaften, mit denen die zielgerichteten Substanzen das Behandlungsspektrum der CLL grundlegend erneuert haben. Im Rahmen der Monotherapie mit Acalabrutinib kommen die damit verbundenen, nicht zu unterschätzenden Vorteile für die Patient:innen uneingeschränkt zur Geltung: Die Kapseln können unkompliziert zuhause oder unterwegs auf Reisen eingenommen werden, was für die Patient:innen weniger Aufwand und mehr Flexibilität im Vergleich zu einer Infusionstherapie bedeutet. Die orale Monotherapie reduziert die Zahl der Praxis-/Klinikbesuche und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten. Die BTKi-Anwendung lässt dabei den Behandler:innen und ihren Patient:innen in der Erstlinie die Wahl zwischen einer oralen Monotherapie oder der Kombination mit Obinutuzumab.3

Im Kontext der noch andauernden COVID-19-Pandemie erhalten diese Aspekte zusätzliches Gewicht. Das gilt auch für die Verzichtbarkeit einer Therapieeinleitung mit zeitaufwendigen Klinikaufenthalten und engmaschigen Kontrollen sowie Vorsichtsmaßnahmen zur Minimierung eines Tumorlysesyndrom-Risikos, wie sie beim Einsatz des BCL2-Inhibitors Venetoclax im Unterschied zur BTKi-Anwendung erforderlich sein können.

Für den Erfolg einer Dauertherapie ist die Verträglichkeit entscheidend

Während Ibrutinib als BTKi der ersten Generation nach seiner Zulassung zu einem Paradigmenwechsel der CLL-Therapie führte, hat sich Acalabrutinib innerhalb kurzer Zeit als BTKi der Wahl in der dynamischen Therapielandschaft der CLL etabliert. Diese Entwicklung liegt vor allem im günstigeren Verträglichkeitsprofil des hochselektiven BTKi der zweiten Generation begründet, da sich bei Ibrutinib im realen Versorgungsalltag im Vergleich zu den randomisierten Studien erhöhte Therapieabbruchraten aufgrund von Toxizitäten gezeigt hatten.

Im Unterschied zu anderen BTKi bindet Acalabrutinib nur in einem sehr geringen Ausmaß an andere Kinasen als die BTK.10 Je weniger Off-Target-Kinasen (v. a. TEC, EGFR, ITK, TXK und Kinasen der Src-Familie) zum Bindungsspektrum eines BTKi gehören, umso weniger sind Off-Target-Effekte (u. a. EGFR- und T-Zell-Aktivierung) zu erwarten, die mit unerwünschten dermatologischen, immunologischen und, vor allem bei älteren Patient:innen, bedeutenden, kardiovaskulären Ereignissen assoziiert sein könnten.4-11


Referenzen:

  1. Wendtner CM et al. Onkopedia-Leitlinie Chronische Lymphatische Leukämie (CLL); Stand: September 2020
  2. Yokoyama dos Anjos AC, Fontão Zago MM. Rev Lat Am Enfermagem 2006;14(1):33-40
  3. Fachinformation CALQUENCE®; Stand: November 2021
  4. Sharman JP et al. Understanding Ibrutinib Treatment Discontinuation Patterns for Chronic Lymphocytic Leukemia. Blood 2017;130:4060 (ASH Abstr)
  5. Barf T et al. Acalabrutinib (ACP-196): A Covalent Bruton Tyrosine Kinase Inhibitor with a Differentiated Selectivity and In Vivo Potency Profile. J Pharmacol Exp Ther 2017;363(2):240-52
  6. Herman SEM et al. The Bruton’s tyrosine kinase (BTK) inhibitor acalabrutinib demonstrates potent on-target effects and efficacy in two mouse models of chronic lymphocytic leukemia. Clin Cancer Res 2017;23(11):2831-41
  7. Byrd JC et al. Acalabrutinib (ACP-196) in Relapsed Chronic Lymphocytic Leukemia. N Engl J Med 2016;374(4):323-32
  8. Nicolson PLR et al. Inhibition of Btk by Btk-specific concentrations of ibrutinib and acalabrutinib delays but does not block platelet aggregation mediated by glycoprotein VI. Haematologica 2018;103(12):2097-108
  9. Liu Z et al. Distinct BTK inhibitors differentially induce apoptosis but similarly suppress chemotaxis and lipid accumulation in mantle cell lymphoma. BMC Cancer 2021;21(1):732
  10. Kaptein A et al. Potency and Selectivity of BTK Inhibitors in Clinical Development for B-Cell Malignancies. Blood 2018;132 (Supplement 1):1871; doi: https://doi.org/10.1182/blood-2018-99-109973
  11. Xiao L et al. Ibrutinib-Mediated Atrial Fibrillation Attributable to Inhibition of C-Terminal Src Kinase. Circulation 2020;142(25):2443-55
  12. Estupiñán HY et al. Comparative Analysis of BTK Inhibitors and Mechanisms Underlying Adverse Effects. Front Cell Dev Biol;2021;9:630942