Integrative Medizin – was ist das? Logo of esanum https://www.esanum.de

Spannend und heiß diskutiert: Integrative Medizin

Dr. Janna Scharfenberg beschäftigt sich mit Integrativer Medizin und Ganzheitlicher Prävention. Im Interview erklärt sie, was genau es damit auf sich hat.

Ganzheitliche Prävention zur Vermeidung von Stress und Burnout

Frau Dr. Scharfenberg, Integrative Medizin – was genau ist gemeint?

Gemeint ist die Integration von Komponenten aus verschiedenen ganzheitlichen Medizinsystemen, wie der traditionellen chinesischen Medizin oder auch aus dem Ajurveda in das medizinische System der Schulmedizin, um für Patientinnen und Patientin individuell die beste Kombination zu finden. Dabei wird keine der vielen Möglichkeiten von vornherein ausgeschlossen. Wir leben länger, chronische Erkrankungen nehmen zu – das sind neue Herausforderungen. Dafür müssen wir das Beste aus allen Systemen nutzen. Und das ist die Zukunft der Medizin.

Was ist Ihre Botschaft an die Ärzteschaft?

Die meisten Patientinnen und Patienten können von integrativen Ansätzen profitieren, deshalb ist es sehr gut, wenn Ärzte dem gegenüber offen sind und diese Ansätze mit in ihr Denken aufnehmen. Sie erfordern allerding mehr Aktion von unseren Patienten. Beispiel Diabetes: Die Schulmedizin geht hauptsächlich medikamentös vor, sie hat auch einen Ernährungsansatz. Aber integratives Vorgehen würde eine viel tiefer gehende Ernährungsumstellung bedeuten. Und dazu muss der Patient natürlich bereit und in der Lage sein.

Sprechende Medizin, die hier unterstützend sein könnte, kommt aber oft zu kurz.

Absolut. Das ärztliche Gespräch wird fast nicht vergütet. Wertschätzende Kommunikation müsste natürlich deutlich mehr im Fokus stehen. Zum Glück gibt es immer mehr Krankenkassen, die hier immer mehr den Fokus darauf richten. Aber viele intensiveren Maßnahmen sind meist noch Privatleistungen. Sehr viele Ärztinnen und Ärzte setzen sich allerdings dafür ein, dass integratives Vorgehen in die Vergütung aufgenommen wird und damit allen Patienten zur Verfügung stehen kann. Aber auch jeder kann in seiner Praxis selbst schauen, wie er am besten dafür sorgt, dass bestimmte Komponenten mehr in die Breite kommen. Das ist ja auch ein Anliegen der MIDO Konferenz. Je mehr von uns Medizinern selbst dafür sorgen und nicht warten, bis von oben etwas kommt, desto schneller erreichen wir eine Veränderung.

Wie sieht es mit der Evidenz der Integrativen Medizin aus?

Studien zu den unterschiedlichen Systemen beispielsweise dem Ayurveda und der Traditionellen chinesischen Medizin zeigen die Evidenz auf. Hinzu kommen jede Menge Erfahrungswerte und die subjektiven Aussagen der Patientinnen und Patienten, die genau merken, was für sie gut funktioniert. Alle Krankheitsbilder können profitieren, besonders zum Beispiel Rückenbeschwerden und alle muskuloskelettalen Erkrankungen oder auch chronische Erkrankungen wie Autoimmunerkrankungen und Migräne. Der Bereich hochakuter und unfallmedizinischer Krankheiten ist etwas anders zu bewerten. Wenn ich morgen von einem Auto angefahren werde, möchte ich nicht, dass mein Akupunkteur gerufen wird. Aber auch hier ist in der langfristigen Weiterbehandlung ein langfristiges therapeutisches Konzept mit integrativen Ansätzen von Nutzen.

Ihr Vortrag befasst sich auch mit ganzheitlicher Prävention, was verstehen Sie darunter?

Im Ajurveda sagen wir: Der Aufwand, um eine Krankheit zu verhindern ist minimal im Vergleich zu ihrer Behandlung, wenn sie erst einmal ausgebrochen ist. Deshalb sollten wir immer schauen, wie wir in der Gesundheit bleiben. Da braucht es Bewegung, Ernährung, mentale Gesundheit und vieles mehr. Wenn es darum geht, jemanden gesund zu erhalten, ist die Schulmedizin nicht so stark aufgestellt. Die meisten haben im Studium beispielsweise ganze zwei Stunden Vorlesung über Ernährung.

Was würden Sie sich von Ihren Kolleginnen und Kollegen gern wünschen?

Wir wünschen uns, dass die ohnehin an integrativer Medizin Interessierten sich enger vernetzen können. Und wir möchten auch jene inspirieren, die bisher nur einen leichten Bezug zu der Thematik haben und ihnen einen Einblick geben, wie sie ihre Patienten gut beraten und weiter empfehlen können zu integrativ vorgehenden Kolleginnen.