Digitalisierung im Gesundheitswesen: Ein Desaster Logo of esanum https://www.esanum.de

Woher kommt das Digitaldesaster?

Wären die Praxisverwaltungssysteme ein Auto, würden sie niemals eine Zulassung des Kraftfahrtbundesamtes erhalten. Ein Kommentar zum Digitaldesaster im Gesundheitswesen.

Fundamentale Probleme beim Versuch der Digitalisierung des Gesundheitswesens

Aus gutem Grund sind daher die wichtigsten Bedienelemente bei allen Typen und Herstellern gleich angeordnet, um narrensichere und intuitive, einmal erlernte Bedienungen zu ermöglichen. Ein Auto ist dazu gemacht, Menschen sicher, schnell, bequem unter nahezu allen Bedingungen jederzeit von A nach B zu bringen – und das Fahren soll auch noch Spaß machen. 

Autos werden deshalb entwickelt aus der Perspektive ihrer Nutzer und nicht der Ingenieure. In der IT-Branche ist das – zumindest zu Teilen – anders. Apple verwendet andere Slots und Stecker als die meisten Hersteller und variiert diese auch noch mit jeder Modellgeneration. Man stelle sich vor: Mit einem Mercedes passt nur noch die Aral-Zapfpistole in den Tankstutzen.

Solche Kleinigkeiten lassen sich mit Adaptern überwinden. Es gibt aber Probleme, und zwar gerade bei den lang andauernden Versuchen einer Digitalisierung unseres Gesundheitswesens, die fundamentaler Natur sind. Und die bislang nicht gelöst sind:

  1. Digitalanwendungen müssen aus dem Start heraus eine Verbesserung für Patienten, Ärzte und medizinisch-pflegerisches Personal sein: sie müssen schnellere und präzisere Diagnostik und bessere, sicherere Therapie ermöglichen; idealerweise wird dabei auch Zeit gespart. Diese Vorteile müssen vor Markteintritt in geeigneten Studien mit Anwendern unter Alltagsbedingungen nachgewiesen werden.
  2. Das erfordert, dass schon in früheren Entwicklungsstadien Anwender, ihre jeweiligen Perspektiven und ihr Verständnis, das noch von einer analogen Welt geprägt ist, einbezogen werden. Es kommt darauf an, dass der Köder dem Fisch und nicht dem Angler schmeckt.
  3. Von bislang unterschätzter Bedeutung ist die didaktische Unterstützung in der Implementationsphase. Die Teilnehmer an der Digitalumfrage im Ärztenetzwerk Berlin waren im Schnitt 55 Jahre alt; die meisten von ihnen sind noch in einer analogen, papierbezogenen Welt groß geworden. Der Sprung in die neue Digitalwelt erfordert eine gründlich, didaktisch ausgeklügelte Schulung aus der Perspektive von Anwendern. Nicht eine von Technik-verliebten Ingenieuren verfasste Gebrauchsanweisung im digitalen Fachkauderwelsch.  

Digital unterwegs im Gesundheitswesen: Schotterpiste statt Autobahn

Ich selbst habe als Journalist in den letzten 50 Jahren eine Revolution der Druck- und Medientechnik erlebt, wie es sie seit der Erfindung des Buchdrucks am ausgehenden 15. Jahrhundert nicht mehr gegeben hat. Aus der entscheidenden Implementationsphase von elektronischen Redaktionssystemen in den 1990er Jahren lässt sich einiges lernen: Verlage, die sich auf Ingenieure und IT-Spezialisten verließen, brachten ihre Mannschaften an den Rand des Nervenzusammenbruchs und gefährdeten ihre Produktion. Über Monate hinweg. 

Ich habe das Glück gehabt, dass die Digitalisierung meiner Redaktion unter einem klugen Verleger gemanagt wurde – mit diesen Maximen: der Prozess ist Chefsache; die Entwicklung erfolgt gemeinsam mit den eigenen Fachleuten aus der Perspektive von bis dato analog arbeitenden Redakteuren; die Implementation erfolgt erst nach Testläufen, die die Alltagstauglichkeit und -sicherheit bewiesen haben; die intensive Schulung wird von hauseigenen Mitarbeitern gemacht, die jeden Kollegen in die neue Digitalwelt begleiten.

Gegen die meisten dieser Prinzipien wird bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen verstoßen. Das Ergebnis ist, dass die erhoffte Datenautobahn in Wirklichkeit eine Schotterpiste ist – Panne garantiert.