Wieder hat mich eine E-Mail kalt erwischt. Unsere IT-Firma hat mich daran erinnert, dass ich zum 31.12. diesen Jahres diese wunderbaren elektronischen Arztausweise erneuern muss. 2018 mussten wir diese für viel Geld kaufen, damit wir überhaupt auf die Telematik zugreifen können. Bei den meisten läuft das alles erst seit zwei, drei Jahren. Nun verlieren die Ausweise ihre Gültigkeit. Der Aufwand ist gar nicht mal gering, denn ich brauche ja einen Ausweis für die Praxis, einen als Ersatz und einen für eventuelle Vertretungen. Nun wurde ich freundlicherweise daran erinnert, einen Termin mit meiner IT-Firma zu machen. Denn es müssen auch die passenden Softwarelösungen für die neuen Ausweise geschaffen werden. Das darf nicht wahr sein! Wir haben ja sonst nichts zu tun. Wir bereiten uns ja derzeit auch noch auf das E-Rezept vor, das eigentlich keiner haben will und was auch nicht funktionieren wird, weil viele Apotheken dafür noch gar nicht eingerichtet sind. Aber wir müssen das vorbereiten, sonst werden uns ab dem 1. Januar zehn Prozent vom Honorar abgezogen. Es ist immer das Gleiche: Wir müssen funktionieren, egal ob es bei anderen funktioniert.
Dazu passt auch folgende Anekdote: Ich habe die Praxis nun seit 35 Jahren. Seit 37 Jahren habe ich meine Berufshaftpflichtversicherung. In der vorigen Woche kam ein Brief von der Kassenärztlichen Vereinigung, weil aufgefallen ist, dass sie seither niemals einen Berufshaftpflicht-Nachweis von mir eingefordert hatten. Und nun sagen sie, dass die Versicherung nicht ausreicht. Plötzlich soll eine deutlich höhere Deckungssumme hinterlegt werden. Obwohl in dieser langen Zeit, seitens der Bürokratie nichts eingefordert wurde und auch nie ein Schaden eingetreten war. Plötzlich erscheint eine neue Berufshaftpflicht notwendig? Ich bin Hausärztin und keine Chirurgin, welche Millionenschäden sind da abzusichern?
Das waren die beiden Neuigkeiten der Bürokratie aus der letzten Woche, die ich als reine Schikane empfinde. Und gleichzeitig wird uns Niedergelassenen vorgeworfen, wenn bei Honorarverhandlungen gestiegene Kosten auf den Tisch kommen, für Energie, Mieten und Gehälter der Mitarbeiterinnen. Wir würden schließlich nicht zu den Geringverdienern gehören und könnten steigende Kosten selbst stemmen. Das mag sein. Aber es geht auch um Verhältnismäßigkeit. Und auch darum, wie die Gesellschaft uns wertschätzt und behandelt. Meine Autowerkstatt beispielsweise verdient mehr. Und wenn ich mit einem Juristen ein kurzes Gespräch führe, kostet das so viel, dass ich dafür zehn Patienten ein ganzes Quartal lang behandeln muss.
Forderungen unsererseits werden also locker weggewischt, manchmal sogar moralisch abgewertet. Aber an uns werden ständig und selbstverständlich Forderungen gestellt, wie beispielsweise zuletzt die Neubeantragung meiner Weiterbildungsermächtigung.
Es geht nicht nur mir so. Ich höre derzeit von vielen alten Hasen in meinem kollegialen Umfeld, dass sie immer öfter überlegen: Muss ich mir das noch antun? Dann höre ich lieber auf! Keiner hat Lust, auf den letzten Metern der Berufstätigkeit noch einmal alles Mögliche zu erneuern. So drängt man erfahrene Kolleginnen und Kollegen aus ihrem Beruf, raus aus der medizinischen Versorgung, die doch zugleich vor immer höheren Anforderungen steht. Ich frage mich: Kann das irgendwer wollen? Es gibt doch schon zu wenige Ärzte. Allerdings erreichen uns immer öfter Anfragen, ob man die Praxis an ein MVZ verkaufen möchte. Diese Einrichtungen mögen ja Vorteile haben. Aber einen festen Ansprechpartner, der die persönlichen Umstände und Befindlichkeiten kennt, finden Patienten dort eher nicht. In der Hausarztpraxis geht es aber genau darum: Um Vertrauen, um kontinuierliche Betreuung. Hausärzte sind oft mehr Psychologen als alles andere.
Mein Fazit aus all dem: Wenn ihr uns alte Hasen vergraulen wollt, dann sagt es doch einfach. Auf Ärger habe ich keine Lust. Man braucht ein dickes Fell. Und viel Humor.