Die Erforschung des bislang nicht kausal behandelbaren Long COVID-Syndroms hat an Fahrt aufgenommen, insbesondere auch mit dem Ziel, derzeit schon vorhandene Arzneimittel systematisch darauf zu untersuchen, ob sie mit der Therapie von Long COVID wirksam sind. Zugleich sind wichtige Schritte erfolgt, die die Versorgung verbessern. Das betrifft die Kompetenzzentren der Spitzenmedizin und ihre sich ständig erweiternden Netzwerke. In der Regel werden Hausärzte nach einer nun gültigen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses erste Ansprechpartner für Patienten sein und diese über definierte Behandlungspfade an geeignete Spezialisten der fachärztlichen Versorgung und der Kompetenzzentren zuweisen.
Das ist im Kern die Bilanz des Dritten Runden Tischs Long COVID, der im vergangenen Jahr vom Bundesgesundheitsministerium initiiert worden war und in dem Vertreter aus Wissenschaft, Versorgung und Administration des Gesundheitswesens koordiniert nach Lösungen zur Diagnostik und Therapie von Long COVID suchen. Die Sitzung am Dienstag wertete Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach als wichtigen Fortschritt.
Der aktuelle Stand: Es gibt in Deutschland rund 500.000 Patienten mit schweren und andauernden Symptomen. Eine Impfung senkt zwar das Risiko, schaltet es aber nicht aus. Die Wahrscheinlichkeit für Long COVID steigt bei einer erneuten Infektion. In hohem Maße sind auch jüngere Menschen betroffen, insbesondere junge Frauen. Angesichts der Schwere der Krankheitssymptome und deren Auswirkungen auf die physische und psychische Belastungsfähigkeit ist eine große Zahl von Patienten dauerhaft arbeitsunfähig und in der Folge von Frühverrentung betroffen. Das Ausmaß ist so erheblich, dass mit Folgewirkungen für den Arbeitsmarkt gerechnet wird, so Lauterbach.
Um die Versorgung der Betroffenen zu verbessern, wendet Deutschland insgesamt 150 Millionen Euro auf. 80 Millionen investiert der Bund aus seinem Etat in Versorgungsforschungsprojekte, mit denen die Diagnostik und Therapie für Erwachsene verbessert werden sollen. Weitere 50 Millionen Euro hat der Bund bereitgestellt, um die Versorgung für Kinder und Jugendliche auszubauen. Zur Umsetzung seiner Ende Dezember beschlossenen und vom Bundesgesundheitsministerium genehmigten Long COVID-Richtlinie stammen weitere 20 Millionen Euro aus den Mitteln des Innovationsausschusses des GBA.
Mit dieser Richtlinie, so das unparteiische Mitglied des Bundesausschusses Karin Maag, sollen Patienten mit dem Verdacht auf Long COVID zu einer schnelleren Diagnose und einer geeigneten Therapie gelangen. Als zentraler Ansprechpartner und erste Anlaufstelle sind dafür Hausärzte zuständig. Sie übernehmen während des gesamten – derzeit oft unabsehbar langen – Behandlungs-und Betreuungsprozesses die wichtige Funktion des Koordinators und Case-Managers, der seine Patienten zu geeigneten Fachärzten und/oder Kompetenzzentren weiterleitet. Der Behandlungsprozess startet mit einem Basis-Assessment, einer strukturierten Anamnese und einem darauf aufbauenden Behandlungsplan.
Das Projekt des Innovationsfonds wertet Lauterbach als wichtigen Fortschritt für die Versorgung. Von Bedeutung sei in diesem Zusammenhang die tatsächlich stattfindende Intensivierung der Fortbildung von Hausärzten und Internisten. Auch für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen sieht der Minister einen gut geeigneten Arbeitsansatz: Danach wird die Struktur des "hervorragenden Netzwerks" in der Kinderonkologie und dessen Fähigkeit, neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft schnell in die Versorgung zu transferieren, auf die Long COVID-Versorgung von Kindern und Jugendlichen übertragen.
Nach wie vor gebe es für die verschiedenen Erscheinungsformen von Long COVID keine eindeutigen Diagnosen, kausale Behandlungen sind nicht vorhanden, die Off-Label-Therapie werde allerdings gegenwärtig intensiv erforscht, so Professor Carmen Scheibenbogen, Leiterin der Immundefekt-Ambulanz und Direktorin des Charité-Fatigue-Zentrums. Erste Ergebnisse aus der Arzneimittelforschung erwartet sie im Laufe dieses Jahres.
Maßgeblich beteiligt an Forschungsprojekten sei die Charité. Untersucht werden dabei der Einsatz von Immuntherapeutika, die Methode der Immunadsorption, die Nutzung von Metformin sowie in einer von Bayer unterstützten Studie die Verwendung durchblutungsfördernder Mittel.
Ferner hat nach Angaben des BMG das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Arbeitsgruppen gebildet, um gezielt einen möglichen Off-Label-Use bereits zugelassener Arzneimittel zur Behandlung von Long COVID zu untersuchen.