esanum: Frau Dr. Auer, der Klimawandel ist mittlerweile spürbar im globalen Norden angekommen. Was heißt das denn für die Gesundheit unserer Kinder, wie wachsen die mit dem sich ändernden Klima auf?
Wir fangen ja hier erst an, die Folgen des Klimawandels zu spüren. Ganz lange fand der irgendwo anders statt, im globalen Süden. Spätestens seit der Überflutung im Ahrtal, die so viele Menschen das Leben gekostet hat, haben wir gemerkt, dass wir uns der Klimakrise und ihren Auswirkungen nicht entziehen können. Unsere Kinder werden natürlich noch mehr darunter leiden, weil sie noch so eine lange Lebensspanne vor sich haben, und die sind ja auch viel schutzbedürftiger als wir Erwachsenen und abhängig von den Bedingungen, unter denen sie aufwachsen.
Was bedeutet das? Zunächst mal gibt es direkte Folgen: Globale Erwärmung, Temperaturanstieg, Hitzewellen nehmen zu und werden extremer. Babys und Kinder sind besonders gefährdet und darauf angewiesen, dass Erwachsene ihre Bedürfnisse bei höherer Temperatur erkennen und sie schützen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir es mit inadäquaten Wassermengen zu tun haben werden: Wir werden einerseits mehr Dürren haben, aber auch extreme Wetterereignisse wie Starkregen, die die Ursache für Überschwemmungen darstellen, und Waldbrände. Dadurch werden Ökosysteme zerstört, es gibt eine Biodiversitätskrise, das Artensterben bedroht uns, wir haben neue potenziell krankheitsübertragende Arten wie Zecken oder Mücken, wir haben eine Zunahme an Allergien, es entstehen neue, aggressivere Arten von Pollen, und wir haben die Luftverschmutzung, die ja mit dem Klimawandel Hand in Hand geht, und Umweltgifte. Dies alles wirkt sich auf viele andere Systeme aus.
esanum: Das klingt wie eine Realität gewordene Dystopie. Wie verkraftet man das denn psychisch, das macht doch Angst?
Ja, das macht Angst. Wir sprechen ja auch von "Eco-Anxiety", also der Angst vor den Folgen des Klimawandels und auch von Solastalgie, einem Gefühl der Trauer über den Verlust der Heimat oder des Lebensraums. Man muss versuchen, die Energie, die da entsteht, umzuleiten und zu nutzen. Wenn ich sehe, das macht mich traurig oder wütend, dann kann ich entweder in Hilflosigkeit verfallen oder mich engagieren, versuchen selbst in der Familie schon etwas zu ändern. Man muss überlegen, was Maßnahmen sein könnten, die man schon im Kleinen umsetzen kann. Da sind dann die Eltern in der Verantwortung, aber oft kommen Impulse auch von Kindern und Jugendlichen selbst.
esanum: Rechnen Sie denn damit, dass psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen, und dann perspektivisch auch gesamtgesellschaftlich, noch weiter zunehmen?
Ja, damit ist zu rechnen. Je mehr Kinder von Extremwetter-Ereignissen betroffen sind, desto größer ist auch die Gefahr, dass sie dann auch unter Störungen leiden. Wenn ein Kind so etwas erlebt, dass zum Beispiel das eigene Zuhause plötzlich nicht mehr existiert, die KiTa weggeschwemmt wird oder es umziehen und sich neu orientieren muss, dann macht das natürlich etwas mit den Kindern. Wir wissen, dass Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen in solchen Fällen zunehmen, besonders, wenn das Kind ganz direkt betroffen ist und vielleicht Angehörige verletzt wurden. Die Forschung steht da aber noch am Anfang, wir wissen noch nicht genau, was uns erwartet.
esanum: Wie können Ärztinnen und Ärzte Kinder in diesem Prozess der Verarbeitung und natürlich auch schon im Bereich der Prävention unterstützen?
Prävention ist hier das Schlüsselwort. Ich glaube, zunächst einmal ist es wichtig, dass wir mit gutem Beispiel vorangehen. Als Eltern, aber auch als Ärzte müssen wir den Klimawandel ernst nehmen. Es gibt zwei große Handlungsfelder. Das eine ist der Klimaschutz, da müssen wir aufpassen, dass nicht alles noch schlimmer wird, und das andere ist die Adaptation, also die Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Indem wir zeigen, dass Klimaschutz auch Kinderschutz und Schutz der Kindergesundheit ist, tun wir schon viel für die psychische Gesundheit der Kinder.
Der Gesundheitssektor hat eine riesengroße Verantwortung, denn er ist weltweit selbst für die Emission von 5% aller Treibhausgase verantwortlich. Das ist eine unglaubliche Zahl, wenn man bedenkt, dass der Gesundheitssektor eigentlich für Erhalt und Wiederherstellung der Gesundheit zuständig ist. Wenn man dann bedenkt, dass er maßgeblich dazu beiträgt, dass Gesundheitsgefahren entstehen, dann ist das völlig absurd. Das müssen wir bei unserer Arbeitsplatzgestaltung berücksichtigen, in den Praxen, aber auch in den Kliniken muss man das ansprechen. Es gibt tolle Programme, um den Arbeitsplatz klimaneutral zu gestalten, wie Klik Green oder von KLUG, BMU und UBA . Aber auch in den Familien müssen wir das ansprechen und gucken, was kann dort getan werden, um das Klima zu schützen und was sind die Co-Benefits. Energie, Ernährung, Mobilität, das sind alles Sachen, die direkte Auswirkungen auf den Klimawandel und die Kindergesundheit haben.
esanum: Das heißt, die Aufgabe ist, die Eltern zu erreichen und zu Partnern zu machen, ein Bewusstsein zu schaffen und Aufklärungsarbeit zu leisten?
Ja, absolut. Und dafür sind wir ja prädestiniert, weil wir total nah an den Familien sind. Besonders Kinderärzte haben die einmalige Chance, Familien so eng und auch lange zu begleiten. Da entsteht ein Vertrauensverhältnis, auf uns Ärzte wird gehört. Das ist eine Riesenverantwortung, aber auch eine Riesenchance. Und selbst, wenn man mit dem Thema Klimawandel nicht überzeugen kann, dann auf jeden Fall mit dem Thema Gesundheit, denn alle Eltern wollen ja gesunde Kinder. Da kann man bei der Erziehung viel machen, den Lebensstil ändern, öfter das Fahrrad nehmen, auf gesunde Ernährung achten. Ein gesundes Aufwachsen kommt der Gesundheit und dem Klima zugute.
esanum: Was ist Ihnen noch besonders wichtig, was müssen Ärztinnen und Ärzte wissen?
Was man sagen kann, ist, dass wir mit unserem Lebensstil im globalen Norden maßgeblich dafür verantwortlich sind, dass die Situation im globalen Süden so ist, wie sie ist. Da leben Menschen unter weitaus schwierigeren Bedingungen als wir. Wir haben eine Verantwortung dafür zu sorgen, dass die Folgen der Klimakrise nicht allein von den Menschen in den Ländern getragen werden müssen, die fast nichts zu ihrer Entstehung beigetragen haben. Das ist eine moralisch-ethische Verantwortung, aber das schützt natürlich auch unsere eigene Sicherheit und Gesundheit und Freiheit. Und wenn man es schon nicht aus ethischen Gründen macht, dann kann man es immer noch aus Gründen der Selbsterhaltung machen. Wir sind gefordert, dafür zu sorgen, dass die Strukturen in den Ländern des globalen Südens verändert werden, dass Zugang zu Gesundheitssystemen ermöglicht wird für alle, dass Bildung auch unter schwierigen Bedingungen ermöglicht wird und dass Ernährungssicherheit gegeben ist. Dass wir in Infrastrukturen investieren und Technologien, zum Beispiel im Bereich der erneuerbaren Energien, weitergeben.
Wir in den Gesundheitsberufen haben eine besondere Verantwortung, wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir die Handlungsspielräume, die wir haben, auch nutzen. Das ist der Arbeitsplatz, den wir haben, wo wir an unsere Arbeitgeber appellieren können oder auch selbst innerhalb der Klinik oder Praxis aktiv werden können. Sei es in Bezug auf Energie, wie wird geheizt, oder auch die Organisation der Wege zum Arbeitsplatz oder beim Müll, der auch ein großer Faktor ist.
Im Privaten gilt das auch und auch im Politischen. Wir können durch unser Wahlverhalten eine ganze Menge beeinflussen, wir können überlegen, wo wir unser Geld angelegt haben und ob wir damit vielleicht unbeabsichtigt weiterhin fossile Brennstoffe fördern. Es gibt so viele Hebel, die man bedienen kann. Wir alle müssen in den Dialog kommen und uns gegenseitig immer wieder gute Beispiele geben und darüber reden, was wir alles umsetzen können. Man muss natürlich kommunizieren, wie ernst die Lage ist, aber es ist auch ganz wichtig, dass wir uns an positiven Zukunftsentwürfen orientieren, weil uns das zum Handeln motiviert. Und da ist Gesundheit ein ganz zentraler Aspekt. Gerade als Ärzte müssen wir uns den präventiven Aufgaben zuwenden, anstatt nur die Krankheit zu behandeln. Wir müssen die Zusammenhänge verstehen und darüber aufklären. Wir sind viele in den Gesundheitsberufen und wir haben da auch eine Macht. Wir müssen sie nur richtig nutzen.