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Emmanuelle Charpentier: von tracrRNA zu CRISPR-Cas9

Wann immer das Stichwort CRISPR-Cas9 fällt, ist der Name Emmanuelle Charpentier nie weit entfernt. Prof. Dr. Renneberg geht dem Werdegang der Nobelpreisträgerin nach.

Der Werdegang der Emmanuelle Charpentier

Sie wuchs in einem südlichen Vorort von Paris auf, in eher bescheidenen Verhältnissen. Ihr Vater war Wächter im nächstgelegenen Park, die Mama Leitende Schwester in der Verwaltung der Psychiatrie des örtlichen Krankenhauses. Sie erzählte mir ihre Geschichte von der 12-jährigen Emmanuelle. Eines Tages lief sie mit ihrer Mutter am weltberühmten Pasteur-Institut vorbei. "Hier werde ich mal arbeiten, Mama..., wenn ich einmal groß bin", soll die Kleine Emmanuelle selbstbewusst gerufen haben.

Tatsächlich forschte sie dann, wie von ihr prophezeit, als Doktorandin am Institut Pasteur zur Antibiotikaresistenz von Bakterien. Das ist noch heute ein weltweite Herausforderung. Danach begannen ihre Lehr-und Wanderjahre.

Streptococcus pyogenes: wichtige Rolle für CRISPR

Zunächst Amerika, an die Rockefeller University in New York, zu Professor Elaine Tuomanen. Deren Gruppe untersuchte die bakteriellen Erreger der Lungenentzündung Als die gesamte Gruppe an das St. Jude Children´s Research Hospital in Memphis umzog, ging Emmanuelle mit. Im warmen Alabama störte sie nur die Mückenplage. "Offenbar liebten die Moskitos süßes französisches Blut…" meinte Emmanuelle zu mir bei ihrem ersten Besuch bei mir in Hongkong.

Zurück an die New York University. Arbeit an Maus-Genen, die das Haarwachstum regulieren. Schließlich arbeitete sie an ziemlich “unsympathischen” Bakterien, die Haut- und Halsentzündungen verursachen und den Horror-Beinamen flesh eater tragen: Streptococcus pyogenes. Diese Streptokokken sollten später eine wichtige Rolle in der CRISPR-Story spielen.

Ohne tracrRNA und CRISPR

Nach sechs langen Jahren in Amerika kam sie 2002 zurück nach Europa, in das quirlige und laute Wien. Doch schon bald nach dem Aufbau ihrer neuen Gruppe verließ sie Österreich wieder und ging in die Stille und Einsamkeit, in das nordschwedische Umea. "Dort hatte ich Zeit zum Nachdenken…", erzählte mir die spätere Nobelpreisträgerin. Emmanuelle hatte das Motto von Louis Pasteur verinnerlicht: "Sei stets vorbereitet auf das Unerwartete!" Ein anderes Motto Pasteurs war: "Das Glück bevorzugt den vorbereiteten Geist!" Sie lebte beide Mottos. Und außerdem: "Reisen bildet!" 

Emmanuelle war mitten im Umzug nach Schweden. Da bekam sie eine E-Mail aus Wien: "Ohne tracr RNA keine Produktion von crRNA!” Sie verbrachte eine ganze  Nacht damit, Experimente zu konzipieren, ganz besessen von der tracrRNA. Nach dem Weggang ihrer Chefin hatten die Studenten in Wien natürlich wenig Lust und Zeit, tracrRNA detaillierter zu erforschen. Emmanuelle bekam viele Absagen.

tracrRNA zerstückelt lange RNA-Ketten in kleinere crRNA-Schnipsel

Glücklicherweise meldete sich die  bulgarische Magister-Studentin Elitza Deltcheva. Und dann stieß noch der Pole Krzystov Chylinski dazu. Das europäische Team aus Frankreich, Bulgarien und Polen fand schnell heraus, dass das CRISPR-Cas9-System nur drei Komponenten braucht: Cas9-Enzym, crRNA und tracrRNA!

Die tracrRNA zerstückelte lange RNA-Ketten in kleinere crRNA-Schnipsel. Diese zielten (wie mit einem GPS ausgestattet) auf spezifische Orte in der DNA der angreifenden Viren. Für die “Nature” wurde ein Artikel vorbereitet. Er wurde im März 2011 veröffentlicht. Fairerweise von Charpentier war die Studentin Deltcheva Erst-Autorin! Im Oktober 2010 stellte Emmanuelle die Neuigkeit auf einer CRISPR-Konferenz in den Niederlanden vor. Die tracrRNA spielte tatsächlich eine wichtige Rolle. Und Charpentiers Team wusste das zuerst. Was sie nun brauchte: Hilfe von einer Biochemikerin wie Jennifer Doudna in Kalifornien.

S. pyogenes verfügt über weitere RNA

Charpentier verstand als Erste, wie das CRISPR/Cas9-System vom Typ II funktioniert. Zur Zeit ihrer Pionierarbeit an der Universität Umeå in Nordschweden arbeitete sie über den humanpathogenen Organismus Streptococcus pyogenes und versuchte zu verstehen, wie seine Virulenz-Gene möglicherweise von kleinen RNAs reguliert werden. In S. pyogenes gibt es viele solcher regulatorischer RNAs. Charpentier und ihre Kollegen entschieden sich, sie alle zu identifizieren. Während sie den authentischen RNA-Zoo durchsiebten, erregte eine kleine RNA ihr Interesse, deren Gen in der Nachbarschaft eines CRISPR-Typ-II-Locus lokalisiert war. 

Da es sich also um ein cas-Gen handeln musste, welche Rolle spielte es in der CRISPR-vermittelten Immunität? Alle zu dieser Zeit bekannten CRISPR-Systeme waren ziemlich komplex: Sie gebrauchten viele Proteine, aber nur ein spezifisches RNA-Molekül, CRISPR-RNA (crRNA). S. pyogenes hatte aber noch eine weitere RNA!

Charpentier erkannte Potenzial für biotechnologische Anwendungen

Emmanuelle Charpentier fühlte intuitiv, dass das System von Streptococcus. pyogenes mit seiner zusätzlichen kleinen RNA anders war. Was wäre, wenn diese zusätzliche RNA tatsächlich eine der Aufgaben übernahm, die in anderen CRISPR-Systemen von Proteinen ausgeführt wurden? Was, wenn diese neue RNA (die später trans-activating oder tracrRNA genannt werden sollte) mit der crRNA wechselwirken würde, um die DNA-schneidende Nuclease zu einer bestimmten Sequenz im Genom zu lenken? 

Es zeigte sich, dass Charpentier nicht nur mit ihrer Intuition richtig lag, sondern auch, dass das von ihr entdeckte System außerordentlich einfach war, da es aus nur zwei RNAs, crRNA und tracrRNA und einem Protein, Cas9, bestand. Das bedeutete, dass man es möglicherweise für biotechnologische Anwendungen umwandeln könnte!  Es war wieder Emmanuelle Charpentier, die das alles als Erste erkannte.

Gesteuerte DNA-Schneidemaschine 

Anfangs 2011 traf sich Charpentier erstmals mit der Strukturbiologin Jennifer Doudna, die an der University of California in Berkeley arbeitete. Doudna, welche die Strukturen unterschiedlicher CRISPR/Cas-Enzyme untersucht hatte, war die ideale wissenschaftliche Partnerin für Charpentier, um genauer zu verstehen, wie das System funktionierte und wie es aufgebaut war. Zusammen deckten die Teams von Charpentier und Doudna die Abfolge der Ereignisse im Innersten der CRISPR-vermittelten Immunität auf.

Der erste Schritt ist die Bildung eines partiellen tracrRNA:crRNA-Duplex. RNA-Moleküle liegen meist einzelsträngig vor, ihre Basen können sich aber wie DNA paaren. Die doppelsträngige Region der Duplex besteht aus nichtvariablen tracrRNA- und crRNA-Sequenzen. 

Aber ein Teil der crRNA bleibt einzelsträngig. Die Sequenz dieses Teils ist variabel und entspricht dem Ziel. Dieser variable Teil wirkt wie eine Orientierungshilfe für Cas9, sozusagen ein “mikrobielles GPS”, um einen  Schnitt des DNA-Doppelstrangs genau und nur da durchzuführen, wo er benötigt wird. Der Aufbau der gesteuerten DNA-Schneidemaschine war vollkommen einleuchtend.

Quelle:

1. Renneberg R (2023 in Vorbereitung): CRISPR/Cas9 -die Story. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg.

2. Isaacson W (2022) Der Code Brecher. Ecowin Verlag.