Wir haben im Rahmen unserer Petition fast 100.000 Unterschriften gesammelt und diese dem Bundesgesundheitsministerium übergeben. Natürlich nicht ohne noch einmal nachdrücklich darauf aufmerksam zu machen, dass mit dem GVSG die diabetologischen Schwerpunktpraxen, und nicht nur diese allein, existenziell gefährdet sind.
Es geht um alle hausärztlichen Schwerpunktpraxen - auch HIV-Praxen, Substitutionspraxen, Rheumatologische Praxen sind betroffen. Ich bin stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbandes der niedergelassenen Diabetologen Deutschlands und als solche fühle ich mich hier ausdrücklich verantwortlich. Wir waren und sind sehr aktiv. Wir haben in unseren Praxen Unterschriften gesammelt, haben unseren Patientinnen und Patienten erklärt, was das GVSG in der jetzigen Fassung für sie und ihre Versorgung bedeutet, sodass diese hohe Zahl an Unterschriften in sehr kurzer Zeit zusammenkam.
Die Übergabe am Freitag, den 13.9.2024 beim BMG war ziemlich großer Bahnhof: wir waren nicht allein. Dabei waren unter anderem Verbände wie diabetesDE Deutsche Diabetes-Hilfe, die Deutsche Diabetes Gesellschaft, Vertreterinnen und Vertreter von Schwerpunktpraxen aus vielen Teilen Deutschlands, der KV-Vorsitzende Berlins, Sprecherinnen und Sprecher im Namen von Patientinnen und Patienten sowie zwei Bundestagsabgeordnete. Parallel waren und sind wir auch im Gespräch mit Politikerinnen und Politikern und Kassenärztlichen Vereinigungen in den Ländern.
Zeit genommen hat sich für unsere Sorgen und Einwände Michael Weller, Leiter der Abteilung 2 Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung im Bundesgesundheitsministerium, bei der Übergabe und auch beim anschließenden Gespräch, das wir als sehr fair und angenehm empfunden haben.
Unsere Sorgen wurden ernst genommen, es wurde verstanden, wie groß die Gefahr für die Schwerpunktpraxen tatsächlich ist. Und es wurde deutlich signalisiert, dass es auf keinen Fall gewünscht ist, die diabetologischen Schwerpunktpraxen zu gefährden. Es wird eine Lösung geben. Ich war angenehm überrascht, wie respektvoll der Umgang mit uns war.
Nun kann man sich fragen: musste es erst soweit kommen, dass wir diesen Druck machen? Antwort: Offensichtlich ja. Es war sicherlich kein böser Wille, als das GVSG ausgearbeitet wurde. Die Verantwortlichen hatten uns einfach nicht auf dem Schirm. Daher war es absolut notwendig, so eine Welle zu machen.
Das letzte halbe Jahr war entsprechend extrem anstrengend. Aber es hat sich gelohnt. Anfangs hieß es, die Hausärzte würden entbudgetiert. Gut und schön. Aber die Regel "Ein Hausarzt, ein Patient, eine Pauschale" hätte Einnahmedefizite um bis zu 30 Prozent für uns zur Folge. Das kann keine Schwerpunktpraxis stemmen geschweige denn überleben. Die Finanzierung dieser hochwertigen und teuren Infrastruktur der diabetologischen Versorgung ist damit unmittelbar angegriffen.
Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mal eine Art Gesundheitsaktivistin werden würde. Ich habe am 1.1. 2005 in meiner Parxis angefangen und mir war von Anfang an klar, dass ich Mitstreitende und Verbündete brauche. Ein politisches Bewusstsein hatte ich also von Beginn an. Aber dass ich 20 Jahre später die Hälfte meiner Lebenszeit neben der Praxis der Berufspolitik widmen müsste, das habe ich mir nicht vorstellen können. Man muss sich immer klar machen, dass die Menschen wie ich, die sich im Berufsverband einbringen, alle auch eine Praxis stemmen müssen - und sich zusätzlich in ihrer Freizeit für die Belange aller Kolleginnen und Kollegen einsetzen. Da würde ich mir manchmal mehr Würdigung und mehr Solidarität meiner Berufskolleginnen und -kollegen wünschen.
In meiner Praxis mit 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und als Mutter bin ich eigentlich völlig ausgelastet. Es gibt aktuell so viel Neues in unserem Fach, wir haben gerade einen Innovationssprung in der Diabetologie. Auch damit möchte ich mich gern ausführlich beschäftigen. Das gehört zu meiner ursprünglichen Aufgabe als Diabetologin. Ob das die neuen Pumpensysteme sind, die sensorunterstützt arbeiten, neue GLP-1 Agonisten, neue medikamentöse Therapien. Ob man bei Typ-1-Diabetes ein Antikörperscreening durch die ganze Gesellschaft vornimmt. Das finde ich alles total spannend. Und ich muss natürlich immer auf dem neuesten Stand sein. Aber das läuft derzeit alles nebenbei, würde als Aufgabe und Erfüllung aber durchaus genügen.
Nun bin ich seit etwa 10 Jahren in diese berufspolitische Verantwortung hineingerutscht und darin gewachsen. Das ist sinnstiftend und macht gelegentlich auch richtig Spaß, weil wir ein tolles Team sind. Aber ich wünsche mir doch mehr Kolleginnen und Kollegen, die sich ebenfalls engagieren. Denn irgendwann muss das Zepter ja auch weitergereicht werden. Es gab all die Jahre immer wieder Probleme, die wir im Sinne unserer diabetologischen Praxen lösen mussten, aber so existenziell wie jetzt war es noch nie.
Und beim GVSG ist die Kuh noch nicht vom Eis. Stand jetzt: Wir wurden gehört. Die Botschaft wurde verstanden. Und es gibt die ehrlich wirkende politische Reaktion: die diabetologischen Schwerpunktpraxen sollen nicht gefährdet werden. Unsere Einwände gehen nun in den Bewertungsausschuss und dann wieder zurück an die Politik. Natürlich werden wir das Ganze kritisch und konstruktiv weiter begleiten. Wir müssen wachsam bleiben. Und wenn ich an meine Verantwortung für meine Kolleginnen und Kollegen und für unsere Patientinnen und Patienten denke: Ich würde mich immer wieder ins Getümmel werfen!
Dr. med. Iris Dötsch ist Fachärztin für Innere Medizin und Akupunktur mit den Zusatzqualifikationen zur Diabetologin DDG sowie Ernährungsmedizinerin. Dr. Dötsch ist niedergelassen in einer eigenen Diabetologischen Schwerpunktpraxis am Kurfürstendamm in Berlin. Ihre Praxis ist als Diabetologikum DDG anerkannt sowie zertifizierte Fußambulanz nach DDG. Darüber hinaus ist Dr. Dötsch im Vorstand des Bundesverbandes Niedergelassener Diabetologen (BVND) aktiv.