Deutschland: Medizinische Fachberufe sind nicht mehr attraktiv Logo of esanum https://www.esanum.de

Die Arbeit in den medizinischen Fachberufen ist nicht mehr attraktiv

Fachkräftemangel, Apothekensterben, Fallpauschalen – Hausärztin Dr. Petra Sandow weiß über den Zustand im Gesundheitswesen. In ihrer Kolumne erklärt sie, wie es soweit kommen konnte.

Dem Land fehlt es an Medikamenten und medizinischem Nachwuchs

Die Kolleginnen sprechen mir mit dem Protest gegen die derzeitigen Zustände im Gesundheitswesen aus der Seele. All die aufgeführten Kritikpunkte beschäftigen mich und mein Umfeld ganz genauso. Apotheken sterben - man liest von rund 400 im Jahr, sehr viele Medikamente sind nicht mehr verfügbar, aktuell sind Antibiotika betroffen. Manchmal fehlen auch bestimmte Schmerzmittel. Das wechselt. Man kann sich kaum darauf einstellen.

Allein heute ging die Hälfte meines Arbeitstages dafür drauf, mit Apotheken zu telefonieren, ob sie für meine Patientin noch etwas liegen haben. Ich kann die Patienten oft nicht so behandeln, wie ich das richtig finde, weil es in unserem reichen Land an allem Möglichen mangelt. Praxispersonal ist so gut wie nicht zu bekommen. Die Arbeit ist einfach nicht mehr attraktiv. Und die Situation in den Notaufnahmen der Kliniken ist kaum noch zu beschreiben. Ärztenachwuchs wandert nach dem Medizinstudium direkt ins Ausland ab, wo es bessere Bedingungen für sie gibt. Die Liste der Zumutungen in unserem ungesunden Gesundheitswesen ist wahrlich lang. Und leider hat man nicht den Eindruck, dass an entscheidender Stelle kräftig und sinnvoll gegengesteuert wird. Sicher, man will jetzt die Produktion von Medikamenten wieder vermehrt nach Deutschland holen. Aber wie lange wird es dauern, bis neue Produktionsstätten entstehen? Die Fehler liegen lange zurück. Und die Effekte spüren wir jetzt.

Beispiel: medizinischer Nachwuchs. Deutschland bildet aus, der Steuerzahler investiert und die Leute wandern ab. Gern nach Norwegen, in die Niederlande und in die Schweiz, auch nach Israel. Wir werben dafür Leute beispielsweise in Osteuropa ab. Und auch, dass die Rettungssanitäter keine Leute mehr finden, dass Laien oder Quereinsteiger zu Notfällen geschickt werden müssen – das ist natürlich ganz furchtbar. Das wird Menschenleben kosten. Und das ist nicht plötzlich entstanden, das ist eine lange Entwicklung. Und ich denke, wenn wir so unverändert weitermachen, haben wir in zehn Jahren eine Versorgung wie in einem Entwicklungsland – mit jeder Menge Improvisation. Dem gegenüber steht eine über Jahre gewachsene Anspruchshaltung vieler Menschen. Das alles macht unsere Arbeit immer unattraktiver. 

EBM-Reformen: Ab da ging es dann bergab

Als ich 1989 anfing, war gerade der Ausklang der goldenen Zeiten in der Gesundheitsbranche. Wenn alles so geblieben wäre, wäre ich jetzt vermutlich ziemlich reich. Aber darum geht es mir hier nicht. Danach kamen die EBM-Reformen, die mit einem einheitlichen Bewertungsmaßstab das Vergütungssystem verändert haben. Es war natürlich der Versuch, Missbrauch im System zu verhindern. Danke also mal an die schwarzen Schafe, die damals, als das noch möglich war, besonders kreativ abgerechnet haben. Ab da ging es dann generell bergab. Die einheitlichen, undifferenzierten Fallpauschalen sind einfach keine gute Lösung. Ich verdiene jetzt beispielsweise für dreimal so viele Patienten ungefähr das Gleiche wie einst. Das hängt auch direkt mit den Assistenzberufen zusammen. Wir könnten sie in dem Moment besser bezahlen, in dem sich auch unsere Gebührenordnung sinnvoll ändert.

Abrechnung nach Diagnose: Wer hat sich das ausgedacht?

Das Thema Fallpauschalen in den Krankenhäusern soll ja jetzt neu organisiert werden. Kolleginnen in den Krankenhäusern sind aber skeptisch, dass das dann funktioniert. Dabei liegt es doch klar auf der Hand, dass man nicht einfach nach Diagnosen abrechnen kann. Nicht jede Blinddarmoperation ist harmlos oder unkompliziert. Das sind oft Riesenunterschiede im Aufwand. Wer hat sich das ausgedacht? Es ist bekannt. Und es liegt lange zurück.

Vieles hängt jetzt erstens daran, dass die Prävention wieder attraktiver gemacht werden muss. Man kann nicht erst mit den Menschen arbeiten, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Das ist kein gutes Vorgehen. Es ist teuer, ineffizient und eigentlich sogar unmenschlich. Zweitens müssen die medizinischen Assistenzberufe extrem aufgewertet werden. Ohne die geht gar nichts. Doch den Job will unter den derzeitigen Umständen keiner mehr machen. Wenn aber die Ärzte eine gute Entlastung durch diese Fachkräfte haben, wird auch der Arztberuf wieder attraktiver. Das sind unter anderem Stellschrauben, die ich sehe. Bis dahin müssen wir wohl mit solchen Aktionen wie dem "Letzten Kittel" lautstark auf unsere Sorgen und krasse Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen aufmerksam machen.


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